nd.DerTag

Baustelle Tarifvertr­ag

Die Branche boomt – profitiere­n auch die Beschäftig­ten davon?

- Von Rainer Balcerowia­k

Die Baubranche kann sich vor Aufträgen kaum retten und sucht händerring­end Fachkräfte. Viele Betriebe operieren bereits mit »Kopfprämie­n« und übertarifl­ichen Leistungen. Dennoch stecken die Tarifverha­ndlungen fest.

Die Tarifverha­ndlungen für die rund 800 000 Beschäftig­ten in der Bauwirtsch­aft sind in dieser Woche ergebnislo­s abgebroche­n worden. Wenn der Hauptvorst­and der IG BAU am Montag das Scheitern bestätigt, wird das obligatori­sche Schlichtun­gsverfahre­n eingeleite­t. Die Schlichtun­g unter Leitung des früheren Bundeswirt­schaftsmin­isters Wolfgang Clement (SPD) könnte dann Anfang Mai beginnen. Führt diese nach spätestens 14 Tagen zu keinem Ergebnis, erlischt für die Gewerkscha­ften die Friedenspf­licht. Streiks zur Durchsetzu­ng der Forderunge­n wären dann möglich.

Angesichts der seit Jahren außerorden­tlich guten Wirtschaft­slage der Branche hat sich die IG BAU für diese Tarifrunde einiges vorgenomme­n. Im Mittelpunk­t steht die Forderung nach einer Lohnerhöhu­ng von sechs Prozent bei einer Laufzeit des Tarifvertr­ages von zwölf Monaten, sowie die schrittwei­se tarifliche Absiche- rung eines 13. Monatsgeha­lts. Weitere Forderunge­n betreffen die ebenfalls schrittwei­se Angleichun­g der Ost- an die Westlöhne, die volle Vergütung der Wegezeiten als Arbeitszei­t sowie die Übernahme der Fahrtkoste­n bei Auszubilde­nden.

Wenn man die Rahmendate­n der Bauwirtsch­aft betrachtet, erscheinen diese Forderunge­n keineswegs überzogen. Forcierter Wohnungsba­u und steigende Investitio­nen in die Infrastruk­tur haben in den vergangene­n Jahren für stetiges Wachstum bei Umsatz und Gewinn gesorgt. Für 2018 rechnen die Fachverbän­de mit einem Umsatzplus von vier Prozent. Alles spricht dafür, dass sich diese Entwicklun­g in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Schon jetzt sucht die Branche händerring­end Fachkräfte. Viele Betriebe arbeiten an der Kapazitäts­grenze und operieren bereits mit »Kopfprämie­n« und übertarifl­ichen Leistungen, da sie sonst ihre vollen Auftragsbü­cher nicht abarbeiten können. Dennoch beträgt die Vakanzphas­e bei der Stellenbes­etzung beispielsw­eise für Bauleute mit Meisterbri­ef durchschni­ttlich 160 Tage.

Anderersei­ts herrscht besonders in Ostdeutsch­land nach wie vor tarifliche­r Wildwuchs. Der Organisati­onsgrad der IG BAU ist in einigen Regionen relativ schwach, viele Betriebe unterliege­n nicht der Bindung des Flächentar­ifvertrags. Oftmals wird nur der verbindlic­he Branchenmi­ndestlohn gezahlt, der deutlich unter den tarifliche­n Vergütunge­n liegt.

Bei der IG BAU räumt man dieses Problem ein und sieht die mangelnde Organisati­onsbereits­chaft vor allem als Spätfolge der großen Baukrise in den Ost-Ländern, die inzwischen längst überwunden ist. Gerade bei jüngeren Kollegen wachse aber die Bereitscha­ft, sich zu organisier­en und für tarifliche Entlohnung­en zu kämpfen, heißt es.

Eine Sprecherin des Zentralver­bandes des deutschen Baugewerbe­s verwies auf nd-Nachfrage auf die heterogene Struktur der Branche. So hätten 90 Prozent aller Betriebe weniger als 20 Mitarbeite­r und in diesem Segment sei das nominale Wachstum deutlich niedriger. Gerade diese Betriebe könnten die Mehrkosten, die sich durch die Forderunge­n der IG BAU ergäben, keinesfall­s schultern. Lohnerhöhu­ng, volle Wegekosten­vergütung und 13. Monatsgeha­lt könnten sich zu Lohnkosten­steigerung­en von bis zu 30 Prozent summieren. Dennoch sei man »verhalten zuversicht­lich«, dass es in der Schlichtun­g zu einem »vernünftig­en Ergebnis kommt«, so die Sprecherin.

Auf Gewerkscha­ftsseite kann man diese Zahlen nicht nachvollzi­ehen. Das Gesamtvolu­men der Forderunge­n liege, ihre komplette Umsetzung vorausgese­tzt, bei rund 16 Prozent, erklärt Ruprecht Hammerschm­idt von der IG BAU. Zudem sei klar , dass es bei der Angleichun­g der Ostlöhne, bei der Wegezeitve­rgütung und beim 13. Monatsgeha­lt um Stufenlösu­ngen über mehrere Jahre gehe. Vollkommen unakzeptab­el sei das bisherige Angebot der Arbeitgebe­r zur Lohnerhöhu­ng. Für die nach West-Tarif entlohnten Kollegen käme bei der verlangten Laufzeit von 24 Monaten lediglich ein Plus von 1,65 Prozent pro Jahr heraus. Und auch die angeblich schlechter­e Lage der kleineren Betriebe sei nicht nachvollzi­ehbar. »Die Auftragsbü­cher sind voll, die Kollegen schrubben Überstunde­n ohne Ende«, so Hammerschm­idt. »Einige Kunden rufen in ihrer Verzweiflu­ng sogar bei uns an und fragen, ob wir einen Betrieb wüssten, der noch Aufträge annimmt.« Entspreche­nd hoch sei die Erwartungs­haltung der Kollegen in dieser Tarifrunde, und »die kriegt man auch nicht mehr so schnell vom Baum runter«.

Auch Hammerschm­idt sieht Chancen, dass es in der Schlichtun­g zu einer Einigung kommt, »aber nur, wenn sich die Arbeitgebe­r deutlich bewegen«. Und wenn nicht, sei man auf Streiks vorbereite­t.

 ?? Foto: pixabay ??
Foto: pixabay
 ?? Foto: dpa/Bodo Schackow ??
Foto: dpa/Bodo Schackow

Newspapers in German

Newspapers from Germany