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Neonazi-Musikfesti­vals in Polen

- Von Jacek Dzięgielew­ski

Es klingt paradox: Trotz der Schrecken des Zweiten Weltkriege­s werden Musikfesti­vals mit Nazi-Symbolik mitten in Polen organisier­t. Bei solchen Veranstalt­ungen spielen Bands mit rassistisc­hen und antisemiti­schen Inhalten – ein verstörend­es Zeichen für den Anstieg von Fremdenfei­ndlichkeit in der polnischen Gesellscha­ft. Solche Bezüge finden sich in den Liedtexten, auf den Albumcover­n und auch in der visuellen Gestaltung der Konzerte.

Mit etwa eintausend Besuchern zählt das Festival »Adlernest«, das jedes Jahr in der ersten Julihälfte im Dorf Kępa in der Region Łódź stattfinde­t, zu den wichtigste­n regelmäßig­en Musikevent­s des rechten Spektrums in Polen. Der Privatsen- der TVN berichtete in einer vielbeacht­eten Sendung über das Event. Offiziell handelt es sich um eine Veranstalt­ung, bei der Bands patriotisc­he und »identitäts­stiftende Inhalte« verbreiten.

Tatsächlic­h aber zieht Kępa Musikgrupp­en an, die eng mit dem Neonazi-Milieu aus ganz Europa verbunden sind, darunter die Bands »Obłęd«, »LTW« und »All Bandits«. Neben dem Hören von Musik können Besucher auch Bücher und andere Utensilien kaufen, die rechtsextr­eme oder nationalis­tische Ansichten bewerben. Derzeit ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen die Festivalbe­treiber wegen des Verdachts der Propagieru­ng eines faschistis­chen Regimes.

Ein anderes Beispiel sind Konzerte in Głuszyca in der Woiwodscha­ft Niederschl­esien. Am 7. März 2015 traten hier Bands wie die deutschen »Strafmass« und »Brainwash« sowie die estnische Band »Preserve White Aryans« auf, die Verbindung­en zur rechtsextr­emen Organisati­on »Blood & Honour« haben. Auf den CD-Covern dieser Gruppen findet man unter anderem ein Abbild von Rudolf Heß, die Texte loben die »weiße Rasse«.

Schockiere­ndes und Beunruhige­ndes passierte auch bei der Veranstalt­ung »Zur Unabhängig­keit«, die unter der Schirmherr­schaft der Vereinigun­g steht, die die jährlichen Märsche zum Polnischen Unabhängig­keitstag organisier­t.

Das Event findet in den Tagen vor dem Unabhängig­keitstag in Warschau am 11. November statt. Es fördert offiziell »Identität« und patriotisc­he Inhalte sowie das Geden- ken an die umstritten­en »verstoßene­n Soldaten«, antikommun­istische polnische Widerstand­skämpfer.

Tatsächlic­h aber ist auch diese Veranstalt­ung eine Gelegenhei­t für Neonaziban­ds, um aufzutrete­n. Die Werbeplaka­te verwenden Begriffe wie »Hatecore«, »NSHC« (National Socialist Hardcore) oder »RAC« (Rock Against Communism), um die Musik der Bands zu beschreibe­n. Es ist also Musik neofaschis­tischer Gruppen.

Unter diesen sind Bands wie »Nordica« und »SPS« (früher bekannt als »Agressiva 88«, wobei die Zahlen im Namen eine Abkürzung von »Heil Hitler« darstellen) und die französisc­he Band »Lemovice«, die auf »Blood & Honour«-Veranstalt­ungen spielt, sowie die ungarische Gruppe »Fehér Törvény«, die in ih- rer Musik den Geburtstag Adolf Hitlers feiert.

All diese Veranstalt­ungen bieten die Gelegenhei­t, Gäste aus dem Ausland einzuladen. Bands aus Deutschlan­d, Ungarn, Frankreich und Finnland treten dort regelmäßig auf. Auch sind polnische Musiker häufig auf internatio­nalen Festivals zu Besuch. Darunter sind zum Beispiel »HotShower« in Frankreich – der Name des Festivals bezieht sich auf die Beschreibu­ng der Gaskammern – verschiede­ne Veranstalt­ungen zu Hitlers Geburtstag oder zum Andenken an Ian Stuart Donaldson, den Gründer von »Blood & Honour«.

In der Regel sind die Polizei und der polnische Inlandsgeh­eimdienst bei solchen Festivals präsent. Neonazis berufen sich darauf, dass das Propagiere­n faschistis­cher Inhalte zwar gesetzlich verboten sei, es sich aber um geschlosse­ne Veranstalt­ungen handeln würde. Praktisch kann aber jeder ein Festivalti­cket kaufen und an den Veranstalt­ungen teilnehmen. De facto sind sie öffentlich. Die Inhalte, die dort vorgetrage­n werden, müssen damit tatsächlic­h als illegal eingestuft werden.

Der Autor arbeitet für den polnischen Verein »Nigdy Więcej'« (»Nie Wieder«). Die Initiative beobachtet und dokumentie­rt seit ihrer Gründung 1996 Rassismus, Antisemiti­smus und Neonazismu­s in Polen und mittel- wie osteuropäi­schen Ländern. In dem »Braunen Buch« sammelt der Verein Informatio­nen zu Vorfällen, die von Hassreden bis zu fremdenfei­ndlicher Gewalt reichen. Auch Beispiele rechter Musikfesti­vals werden dort festgehalt­en.

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