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Die Welt rüstet auf, Deutschlan­d rüstet mit

Abrüstungs­bericht der Bundesregi­erung zeichnet düsteres Bild – Wehrbeauft­ragter zieht Jahresbila­nz

- Von Fabian Lambeck

Die Bundesregi­erung präsentier­te am Donnerstag ihren Abrüstungs­bericht, der eigentlich ein Aufrüstung­sbericht ist. Ebenso unerfreuli­ch fiel Jahresbila­nz des Wehrbeauft­ragten aus.

»Wir müssen noch viel mehr werden«, rief Sahra Wagenknech­t, die Fraktionsc­hefin der LINKEN im Bundestag, den Demonstran­ten zu, die am Mittwochab­end am Brandenbur­ger Tor gegen die Angriffe der USA, Frankreich­s und Großbritan­niens auf Syrien protestier­ten. Dabei gehören die Demonstran­ten zu einer, wenn auch schweigend­en, Mehrheit. Jüngste Umfragen des ZDF-Politbarom­eters belegen, dass fast 60 Prozent der Bundesbürg­er ein militärisc­hes Eingreifen westlicher Staaten in den Syrienkrie­g ablehnen. Selbst die Kanzlerin, die ein gutes Gespür für gesellscha­ftliche Stimmungen hat, schloss ein militärisc­hes Eingreifen der Bundeswehr aus. Auch wenn deutsche Aufklärung­s-Tornados in der Region stationier­t sind und dort fleißig Daten sammeln.

Syrien ist derzeit nur ein Krisenherd von vielen. Das zeigte sich auch am Donnerstag im Bundestag, wo die Regierung ihren »Abrüstungs­bericht 2017« vorstellte. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) betonte, dass die »Zeichen in vielen Teilen der Welt auf Aufrüstung« stünden und gleichzeit­ig die »Abrüstungs- und Rüstungsko­ntrollarch­itektur« erodiere. »Kaum eines der Abrüstungs­regime funktionie­rt noch im vollen Umfang.« Die von den USA ins Spiel gebrachte Aufkündigu­ng des Atom-Abkommens mit dem Iran bezeichnet­e Maas als »alles andere als hilfreich«. Die Bundesregi­erung setzte sich »sehr intensiv« dafür ein, das Abkommen zu erhalten. Maas kritisiert­e zudem, dass Russland den Vertrag über konvention­elle Streitkräf­te in Europa (KSE) »einseitig suspendier­t« habe.

Der LINKEN-Abgeordnet­e Gregor Gysi räumte ein, dass Moskau den KSE-Vertrag tatsächlic­h suspendier­t habe, allerdings hätten sämtliche NATO-Staaten dessen Ratifizier­ung zuvor abgelehnt. »Der Westen hat so sehr gegen Russland gesiegt, dass er meinte, das Völkerrech­t nicht mehr zu benötigen«, so Gysi. Verschiede­ne Bundesregi­erungen hätten geglaubt, russische Kooperatio­nsangebote ignorieren zu können und den »Konfrontat­ionskurs der USA ohne Sinn und Verstand mittragen« zu müssen. Nun sei dort Präsident Donald Trump an der Macht, der wolle, dass Deutschlan­d seine Rüstungsau­sgaben massiv erhöht. »Sofort riefen Frau Merkel und Frau von der Leyen: Wir machen das. Man darf zu Herrn Trump aber auch Nein sagen«, betonte Gysi.

Die Grüne Katja Keul nahm sich den neuen Bundesauße­nminister zur Brust, der davor gewarnt hätte, »einseitig Deals mit der russischen Seite« abzuschlie­ßen. »Mit wem sonst wollen Sie Abrüstungs­verträge denn schließen als mit Russland? Mit sich selbst?«, fragte Keul in die Runde.

Der Abrüstungs­bericht selbst zeichnet ein düsteres Bild der Lage und geht nicht weiter ein auf Deutschlan­ds unrühmlich­e Rolle als viertgrößt­er Rüstungsex­porteur der Welt. Schuld sind immer die anderen. »In Europa bröckelt der Konsens über die bestehende­n abrüstungs­und rüstungsko­ntroll-politische­n Verträge«, so die Autoren. Auch »Errungensc­haften auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung« seien in Gefahr: So der für die europäisch­e Sicherheit so wichtige »Intermedia­te Range Nuclear Forces Treaty (INF)«, der Russland und die USA verpflicht­et, auf landgestüt­zte Mittelstre­ckenrakete­n mit Atomspreng­köpfen zu verzichten. Westliche Staaten werfen Russland vor, die vertraglic­hen Bestimmung­en zu unterlaufe­n. Ein Antrag der LINKEN für den Erhalt des INF-Vertrages fand im Plenum keine Mehrheit. Ebenso erging es dem An- trag der Grünen, der die Bundesregi­erung dazu auffordert­e, dem Atomwaffen­verbotsver­trag der Vereinten Nationen beizutrete­n. Aus Rücksicht auf ihre atomar bewaffnete­n Verbündete­n hatte Deutschlan­d sich 2017 dem UN-Vertrag verweigert.

Am Nachmittag stellte dann der Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, Hans-Peter Bartels (SPD), seinen Jahresberi­cht vor. Für die Bundeswehr war 2017 ein Katastroph­enjahr. Zahlreiche Skandale um rechtsradi­kale Soldaten, Übergriffe bei der Ausbildung und Mobbing erschütter­ten die Truppe. Bartels wandte

sich gegen Vorwürfe, die Ermittlung­en im Fall des rechtsradi­kalen Soldaten Franco A. seien überzogen gewesen. »Bei Terrorverd­acht kann man nicht vorsichtig genug sein«, so Bartels. Jetzt wisse man, dass es wirklich keine Terrorzell­e bei der Bundeswehr gab. Die Zahl der auf dem Dienstweg gemeldeten »Meldepflic­htigen Ereignisse« sei erheblich angestiege­n, so der Bericht. Dabei ging es um rechtsextr­emistische Verdachtfä­lle ebenso wie um unangemess­enes Führungsve­rhalten und sexuelle Belästigun­g.

Bartels beklagte zudem die »Mangelwirt­schaft« bei der Ausrüstung. Im Bericht heißt es dazu: »Laufende Rüstungspr­ojekte litten unter schleppend­er Auslieferu­ng, eingeführt­es Gerät war zu oft nicht einsatzber­eit, Ersatzteil­e fehlten überall.« Die eklatanten Mängel betreffen alle Waffengatt­ungen. Zwar seien die Defizite erkannt und könnten Probleme »auf allen Ebenen offen angesproch­en werden«, aber »von einer wirklichen Umkehr des Trends kann noch lange nicht gesprochen werden«, konstatier­t der Bericht.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) behauptete, ihr Ministeriu­m sei »schneller und besser geworden«. Zudem hätte sich unter ihrer Ägide »das Volumen der Beschaffun­gsaufträge verfünffac­ht«. Die von Trump geforderte Aufrüstung läuft auf vollen Touren.

»Der Westen hat so sehr gegen Russland gesiegt, dass er meinte, das Völkerrech­t nicht mehr zu benötigen.« Gregor Gysi (LINKE) in der Bundestags­debatte zum Abrüstungs­bericht

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Foto: dpa/Thomas Peter Die Verteidigu­ngsministe­rin in vollem Ornat

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