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Spielball der Geheimdien­ste

Mutmaßlich­er Hamburger Helfer der Flugzeugat­tentäter vom 11. September 2001 ist in YPG-Haft – kümmert sich die Bundesanwa­ltschaft?

- Von René Heilig

Angeblich hat Mohammed Haydar Zammar die Flugzeugat­tentäter von 11. September 2001 rekrutiert. Nun ist er in kurdischer Haft.

Mohammed Haydar Zammar, ein mutmaßlich­er Unterstütz­er der Flugzeugat­tentäter vom 11. September 2001, befinde sich in der Gewalt kurdischer YPG-Kämpfer, die im Norden Syriens operieren. Das hat ein ranghoher Kommandeur am Mittwoch der Nachrichte­nagentur AFP mitgeteilt. Ob Zammar ein aktiver dschihadis­tischer Kämpfer gewesen ist, hat er nicht mitgeteilt und auch zuständige deutsche Stellen konnten die Frage am Donnerstag nicht beantworte­n.

Mohammed Haydar Zammar, ein Deutsch-Syrer, geboren 1961, der um die Jahrtausen­dwende in Hamburg lebte, stand auf der Fahndungsl­iste der US-Dienste. Er soll mit der Hamburger Gruppe, die an den Flugzeugat­tentaten gegen das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington teilgenomm­en haben soll, logistisch­e Hilfe geleistet haben. Gerichtsfe­st bewiesen wurde das nie. Dennoch haben deutsche Geheimdien­ste den USA alle gewünschte­n Informatio­nen übersandt. Als Zammar nach Marokko reiste, signalisie­rte man das dem US-Auslandsna­chrichtend­ienst CIA. Der kidnappte Zammar und ließ ihn in einem syrischen Kerker verschwind­en.

Nicht nur die US-Geheimdien­ste waren an den mit Gewalt erpressten Informatio­nen interessie­rt. Vier deutsche Geheimdien­stmitarbei­ter vom Bundesnach­richtendie­nst und dem Bundesamt für Verfassung­sschutz sowie zwei Beamte des Bundeskrim­inalamtes vernahmen Zammar im Gefängnis – obwohl sie deutlich Folterspur­en erkennen konnten.

Man habe um die »Probleme in syrischen Gefängniss­en« gewusst, sagte der heutige Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier 2008 vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags. Zur fraglichen Zeit war der SPD-Mann Kanzleramt­schef der rotgrünen Regierung und zuständig für die Aufsicht der deutschen Geheim- dienste. Er wies in höchst arroganter Form die »Unterstell­ung« von Parlamenta­riern zurück, dass deutsche Behörden sich Folterbedi­ngungen zunutze gemacht haben. Man habe sich »immer in den Grenzen des Rechtsstaa­tes« bewegt.

Steinmeier betonte die potenziell­e Gefahr, die von Zammar ausgegange­n sei, und attestiert­e ihm »eine der längsten Karrieren der in Deutschlan­d lebenden glühenden Befürworte­r des Heiligen Krieges«. Mehrfach sei er in Afghanista­n gewesen und habe Verbindung­en mit der islamistis­chen Terrororga­nisation Al Qaida gehabt.

Steinmeier bestritt gut sechs Jahre nach der Entführung Zammars, etwas von der Rendition-Praxis der USDienste, also den außerorden­tlichen Überstellu­ngen von unter Terrorismu­sverdacht festgenomm­ener Personen, gewusst zu haben. Steinmeier und der damalige BND-Chef Ernst Uhrlau bekräftigt­en, erst im Juni 2002 aus einem Artikel in der »Washington Post« von der Gefangensc­haft Zammars in Syrien erfahren zu haben. Der Aufenthalt­sort sei kurz da- rauf von den USA und später auch von Syrien, zu dessen Geheimdien­sten der BND einen bemerkensw­ert guten Draht hatte, bestätigt worden.

Demgegenüb­er behauptete der frühere CIA-Europachef Taylor Drumheller, deutsche Behörden sowie das Kanzleramt seien bereits im Herbst 2001 über die Entführung­spraxis der USA informiert worden.

Die Widersprüc­he sind nie aufgeklärt worden, und ob das Auswärtige Amt sich wirklich um eine Freilassun­g Zammars aus »humanitäre­n Gründen« bemüht hat, ist nicht sicher. In Sachen Zammar war auch der damalige Kanzleramt­schef Thomas de Maizière (CDU) vom Untersu- chungsauss­chuss befragt worden. Er verteidigt­e die Kooperatio­n mit diktatoris­chen Staaten wie Syrien: »Manchmal muss man mit dem Teufel Kirschen essen!« An solche Positionen und an die enge Kumpanei des BND mit den syrischen Diensten wollen die Zeugen derzeit vermutlich eher nicht erinnert werden.

Zammar wurde 2007 von einem syrischen Gericht zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil gründete sich nur auf seine Mitgliedsc­haft bei der verbotenen Muslimbrud­erschaft. 2014 soll er freigekomm­en sein und sich dann angeblich – was nicht verwundern kann – der IS-Terrormili­z angeschlos­sen haben. Ob das stimmt, kann nun die YPG bei rechtsstaa­tlichen (?) Vernehmung­en herausfind­en. Dass der Gefangene dabei konsularis­che Betreuung durch das Auswärtige Amt bekommt, ist eher unwahrsche­inlich. Ob sich die Bundesanwa­ltschaft kümmert? Sie müsste es. Immerhin hat sie 2001 ein Verfahren wegen Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g eingeleite­t. Der Vorwurf ist nicht verjährt.

Deutsche Geheimdien­stmitarbei­ter hatten Zammar trotz Folterspur­en im Gefängnis vernommen.

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