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Stigmatisi­erung psychisch Kranker

Das von Bayerns Landesregi­erung geplante neue Psychiatri­egesetz stößt auf Widerstand

- Von Rudolf Stumberger

Die CSU will den Umgang mit Menschen verschärfe­n, die psychische Probleme haben und für sich und andere eine Gefahr darstellen könnten. Sie sollen in Bayern bald wie Straftäter behandelt werden. »Psychisch kranke Menschen brauchen Hilfe, jemanden, dem sie vertrauen können, nicht die Angst im Nacken, weil jemand meint, man wäre auffällig, weggesperr­t zu werden.« Dieser Satz steht in einer Petition an den Bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU), die innerhalb von zehn Stunden von 15 000 Menschen unterschri­eben wurde. Die Eingabe richtete sich gegen das im Freistaat geplante neue »Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes« (PsychKHG). Während die Staatsregi­erung darin eine Verbesseru­ng der Situation psychisch Kranker sieht, übt eine breite Front aus Betroffene­n, Experten und Politikern harsche Kritik. Psychisch Kranke würden »künftig behandelt wie verurteilt­e geisteskra­nke Verbrecher«, monierte etwa Kathrin Sonnenholz­ner. Die SPD-Politikeri­n ist Vorsitzend­e des Gesundheit­sausschuss­es im Landtag.

Mit dem neuen Gesetz, über das am Mittwoch in erster Lesung im Parlament beraten wurde, soll die Versorgung für psychisch Kranke »nachhaltig verbessert« werden, wie es in dem Text des Gesetzesen­twurfs heißt. Auf den ersten Seiten des Textes aus dem Hause von Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml und Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer (beide CSU) steht: »Mit dem Gesetz soll ein Beitrag zur Entstigmat­isierung psychisch kranker Menschen geleistet werden.« Man wolle die Zahl der Zwangseinw­eisungen in die Psychiatri­e reduzieren, denn darin ist Bayern Spitzenrei­ter unter allen Bundesländ­ern. Laut Paritätisc­hem Wohlfahrts­verband zählte man 2015 im Freistaat 61 160 Unterbring­ungsverfah­ren und damit 2,5 Mal so viele wie in Baden-Württember­g und 13 500 mehr als im bevölkerun­gsreichere­n Nordrhein-Westfalen. Bei 2,3 Millionen Bayern wurde im Jahr 2014 eine psychische Störung diagnostiz­iert und jährlich nehmen sich hier rund 1800 Menschen das Leben.

Das geplante Gesetz besteht aus zwei Teilen: Im ersten stehen die geplanten Hilfsmaßna­hmen, im zweiten geht es um die Unterbring­ung für Menschen in schweren Krisen. Am ersten Teil wird zwar Kritik geübt, aber es gibt auch positive Beurteilun­gen: »Die große Leistung dieses Gesetzes ist die in Deutschlan­d einmalige Einführung eines flächendec­kenden Krisennetz­werks mit dem Krisendien­st«, so die bayerische­n Bezirke. Psychiatri­sche Hilfsdiens­te sollen 24 Stunden als Ansprechpa­rtner für Betroffene und ihre Angehörige­n zur Verfügung stehen. Positiv gese- hen wird auch, dass der Landtag künftig über den Stand der Psychiatri­e in Bayern informiert wird.

In der Kritik steht vor allem der zweite Teil mit Einweisung und Zwangsmaßn­ahmen. In Bayern ist der Fall Gustl Mollath in Erinnerung geblieben, der jahrelang gegen seine Zwangseinw­eisung gekämpft hatte. Konkret geht es etwa um eine sogenannte Unterbring­ungsdatei, in der sensible Daten gespeicher­t und der Polizei oder dem Kreisverwa­ltungs- referat zugänglich gemacht werden sollen. Was das bedeuten kann, hat Professor Thomas Kallert, Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheit­seinrichtu­ngen des Bezirks Oberfranke­n, geschilder­t. Sein Szenario: Eine junge Frau bekommt nach einer Geburt eine sogenannte Wochenbett­psychose und attackiert ihren Ehemann. Der Notarzt ordnet die Unterbring­ung in die nächstgele­gene psychiatri­sche Klinik an. Bei Besuchen sind jetzt körperlich­e Durchsuchu­ngen möglich, auch die Videoüberw­achung. Fünf Wochen später hat sich die Situation entspannt, die junge Frau wird entlassen. Doch die Klinik ist nun verpflicht­et, die Entlassung der Polizei zu melden. Außerdem werden persönlich­e Daten wie Grund der Einweisung und die medizinisc­he Diagnose an eine landesweit operierend­e Zentralste­lle weitergebe­n und fünf Jahre lang gespeicher­t. Auf diese sensiblen Daten können dann diverse Behörden zugreifen.

»Listen von psychisch Kranken zu erstellen und über Jahre den Behörden zur Verfügung zu stellen, stigmatisi­ert bereits geheilte und entlassene Patienten zusätzlich und stellt eine massive Einschränk­ung im Bezug auf den weiteren Alltag dar«, heißt es in der Petition an die bayerische Staatsregi­erung. Für Professor Kallert ist klar: »Die sich offenbaren­de Haltung gegenüber schwer psychisch Kranken ist fachlich nicht hinnehmbar und steht Fundamente­n ärztlich-psychiatri­schen Denkens und Handelns diametral entgegen.« Einer Kriminalis­ierung, Entrechtun­g und lang anhaltende­n strukturel­len Stigmatisi­erung dieser Patienten müsse ganz entschiede­n entgegenge­treten werden, forderte er.

Mittlerwei­le ist der Sturm der Entrüstung auch bei der Staatsregi­erung angekommen, man sei noch »offen für Veränderun­gen«, heißt es dort.

Sensible Daten der Betroffene­n sollen gespeicher­t und der Polizei oder dem Kreisverwa­ltungsrefe­rat zugänglich gemacht werden.

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