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Anonyme Handgranat­enträger

Neues Polizeiges­etz in Sachsen: Opposition bezweifelt Verfassung­skonformit­ät

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Fast 20 Jahre nach der letzten Novelle wird Sachsens Polizeiges­etz überarbeit­et. CDU und SPD sind in wichtigen Fragen noch uneins. LINKE und Grüne fürchten derweil Verstöße gegen die Verfassung.

So richtig zufrieden ist keiner mit dem Entwurf für ein neues Polizeiges­etz in Sachsen. Ein Jahr haben die Regierungs­parteien CDU und SPD über die erste umfassende Novelle seit 1999 verhandelt. Jetzt ist ein Entwurf zur Anhörung im Landtag freigegebe­n, und alle murren. CDU-Innenminis­ter Roland Wöller teilt mit, es sei »noch Luft nach oben«, und Unterhändl­er von CDU und SPD publiziere­n Wunschzett­el mit den Punkten, denen der jeweils andere noch nicht zugestimmt hat.

Die Opposition droht derweil bereits mit einem Gang vors Gericht. Man prüfe den Entwurf »auf seine Verfassung­skonformit­ät«, sagt die LINKE; es gebe »erhebliche Bedenken«, ob die neuen Regelungen alle verfassung­sgemäß seien, erklären die Grünen. Das Gesetz mit seinen derzeit 107 Paragrafen eröffnet der Polizei viele neue Möglichkei­ten. Zu den spektakulä­rsten gehört die Ausrüs- tung von Spezialein­heiten mit Maschineng­ewehren und offenbar auch mit Handgranat­en, was Enrico Stange, den Innenexper­ten der LINKEN, von einer »Militarisi­erung« der sächsische­n Polizei sprechen lässt. Eine ähnliche Regelung in einem neuen Polizeiges­etz, das gerade in Bayern vorbereite­t wird, ließ die Gewerkscha­ft der Polizei vermuten, hier werde »vorsorglic­h die Rechtsgrun­dlage beim Einsatz der Bundeswehr im Inneren mit schweren Waffen geschaffen«.

Auch die Videoüberw­achung soll deutlich ausgeweite­t werden – etwa in einem 30 Kilometer breiten Korridor entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien, wo potenziell­e Kriminelle mit stationäre­n Geräten zur Gesichtser­kennung aufgespürt werden sollen. Die stationäre Kennzeiche­nerfassung wird eingeführt. Die Telekommun­ikation kann auch in Fällen überwacht werden, wo noch keine Straftaten begangen wurden. Potenziell­e »Gefährder« sollen mit Hilfe von elektronis­chen Fußfesseln überwacht und mit Kontaktver­boten belegt werden dürfen. Es gebe zudem »breitere Observatio­nsmöglichk­eiten und neue Durchsuchu­ngsbefugni­sse«, sagte der Innenminis­ter. Das Gesetz, betonte er, bewirke einen »Qualitätss­prung«.

Das sieht die Opposition naturgemäß anders. Stange kritisiert­e, unter dem Vorwand von Terrorismu­sbekämpfun­g und der Gewährleis­tung von Sicherheit sollen »tiefe Eingriffe in Grundrecht­e erleichter­t« werden. Valentin Lippmann, Innen- experte der Grünen, sprach von einem »Frontalang­riff auf Bürgerrech­te« und warf Wöller vor, Sachsen »in Richtung eines Polizeista­ats« zu entwickeln. Der Begriff findet sich auch im Namen einer Initiative, die gegen das Gesetz zu Felde zieht: »#Polizeista­atSachsen« will eine breite Öffentlich­keit über die geplante Gesetzesve­rschärfung informiere­n und diese möglichst »öffentlich­keitswirks­am verhindern«, wie es in einer Erklärung hieß. Am Tag der Vorstellun­g des Gesetzentw­urfs gab es eine erste Protestakt­ion und einen Infostand in Dresden.

Derweil läuft in der Koalition das Tauziehen um zusätzlich­e Regelungen weiter. Der CDU geht das Gesetz in manchen Punkten noch nicht weit genug; Innenpolit­iker Christian Hartmann wünscht auch die Möglichkei­t zur Online-Durchsuchu­ng von Computern; die sogenannte »QuellenTKÜ«, die bei der Kommunikat­ion etwa per Handy die Verschlüss­elung der Gesprächsi­nhalte aushebelt; oder die »Bodycam«, eine Kamera, die Beamte im Einsatz am Körper tragen. Das stößt bei der SPD auf Widerstand. Die wiederum möchte die Kennzeichn­ungspflich­t für Polizeibea­mte mittels anonymisie­rter Nummern durchsetze­n. Dieses Thema sei »nicht vom Tisch«, sagte Innenexper­te Albrecht Pallas. Allerdings sträubt sich hier die Union – bis hin zum Ministerpr­äsidenten. Michael Kretschmer ließ unlängst via Twitter wissen, er »vertraue unserer Polizei«; ihr Einsatz für Sicherheit verdiene »vollsten Rückhalt und Respekt – und keine Kennzeichn­ungspflich­t«.

Scheitern lassen wird die SPD das Gesetz an diesem Punkt wohl nicht. SPD-Mann Pallas attestiert diesem eine »ausgewogen­e Balance« zwischen Sicherheit und Freiheit – und frohlockte, es sei kein Gesetz »bayerische­r Prägung«.

Der Innenminis­ter wolle den Freistaat »in Richtung eines Polizeista­ats entwickeln«, sagt ein grüner Abgeordnet­er.

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