nd.DerTag

Sozialist

- Jörn Schütrumpf

Die

wissenscha­ftlichen Einrichtun­gen der SED waren keine Orte, an denen Helden gezeugt worden wären – Verbiegen war keineswegs die letzte Bürgerpfli­cht. Umso verstörter reagierte der »Apparat«, wenn jemand mal Nein sagte. Als Wolf Biermann im November 1976 zum ersten Deutschen wurde, der nach der Nazizeit aus einem deutschen Staat ausgebürge­rt wurde, veranstalt­ete die SED-Führung unter ihrem Personal eine Unterschri­ftensammlu­ng. Dem Soziologen Dietmar Wittich winkte damals eine kommode Zukunft: 1977 stand seine Berufung zum Professor an der Akademie für Gesellscha­ftswissens­chaften beim Zentralkom­itee der SED an. Doch er sagte Nein.

Professor ist der demokratis­che Sozialist Dietmar Wittich (Jahrgang 1943) nicht mehr geworden, stattdesse­n wurde er 1989 einer der Aktivisten der sich mühsam aus dem stalinisti­schen Sumpf herausarbe­itenden PDS und blieb dabei doch Wissenscha­ftler. Das »Institut für Sozialdate­nanalyse« (ISDA), das er mitbegründ­ete, lieferte über Jahre hinweg eine verlässlic­he Wahlforsch­ung. Reich wurde damit niemand; im Gegenteil. Als das Institut nicht mehr zu halten war, machte Dietmar Wittich mit seinem früh verstorben­en Kollegen Michael Chrapa (1950 – 2003) allein weiter.

1990 zählte Dietmar Wittich zu den Gründungsv­ätern der heutigen Rosa-Luxemburg-Stiftung; lange Jahre arbeitete er ehrenamtli­ch in der Redaktion des Theoriebla­ttes »UTOPIE kreativ« mit. Seine letzte große Arbeit war eine akribische Studie über die »Atlantikbr­ücke« – ein Zweckbündn­is, in dem Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien, jeweils aus dem oberen Zehntel, Ideen, Strategien und Taktiken entwickeln. Das Personal der Bundesregi­erung erledigt oft nur noch »den Vertrieb«. Dass diese Studie keinen »Verwerter« fand, dürfte nur die ganz Naiven überrasche­n. Am 17. April ist Dietmar Wittich verstorben.

»Der Mensch ist nichts anderes als sein Entwurf; er existiert nur in dem Maße, als er sich entfaltet.« Jean-Paul Sartre

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