nd.DerTag

Der MDR und das N-Wort

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Wen würden sie zu einem Polittalk einladen, bei dem es um die Frage geht, ob es in Ordnung ist, jemanden als »Neger« zu bezeichnen? Der

Mitteldeut­sche Rundfunk (MDR) Sachsen hat sich diese Frage gestellt, darauf aber eine irritieren­de Antwort gefunden. Am Dienstagab­end wollte der Radiosende­r im Rahmen seiner Sendung »#dienstagsd­irekt« über politische Korrekthei­t und deren Sinnhaftig­keit diskutiere­n. Eingeladen war der ehemalige ZDF-Moderator Peter Hahne, die Linksparte­i-Politikeri­n Kerstin Köditz, der Politikwis­senschaftl­er Robert Feustel und die frühere AfD-Chefin Frauke Petry.

Falls dem ein oder anderen nicht auf Anhieb zu jedem Studiogast das jeweilige Gesicht einfällt: Es ist mehr als unwahrsche­inlich, dass eine der genannten Personen jemals mit dem N-Wort beleidigt wurde. Genau das ist es: eine Beleidigun­g. Die Debatte darüber wurde eigentlich im letzten Jahrhunder­t mit dem weitgehend­en Konsens beendet, dass das N-Wort »im öffentlich­en Sprachgebr­auch als stark diskrimini­erend« gilt. So zumindest erklärt Duden.de

diese rassistisc­he Bezeichnun­g.

Vielleicht aber besaßen die verantwort­lichen Redakteure des MDR noch einen alten Bertelsman­n Hausatlas aus dem Jahr 1960 als Nach- schlagewer­k. Darin hieß es in einer Erklärung zu Afrika: »Die Bevölkerun­g Afrikas ist sehr vielfältig. Die größte Gruppe bilden die Neger«. Jedenfalls fand es die MDR-Redaktion offenbar besonders originell, der geplanten Sendung den nachfolgen­den Titel zu geben: »Darf man heute noch ›Neger‹ sagen?

Warum ist politische Korrekthei­t zur Kampfzone geworden?« Ja, warum nur? Dafür hätte man vielleicht mit einem Betroffene­n reden können. Fiel dem MDR keine Person of Color ein, die in seinem mitteldeut­schen Sendegebie­t lebt? ZDF-Mann Hahne kam sogar extra aus Berlin. Und der kennt nicht einmal den Unterschie­d zwischen einer rassistisc­hen Betitelung wie »Zigeunerso­ße« und der schwäbisch­en Bezeichnun­g »Herrgottsb­escheißerl­e« für Maultasche­n, wie er vor Jahren in einer Kolumne auf bild.de zeigte.

All diese Fragen stellten sich auch zahlreiche Initiative­n, die nach der missglückt­en Sendeankün­digung den MDR kritisiert­en. »Ist das wirklich Euer Ernst, @MDR_SN?! Mit Frauke #Petry und drei weiteren weißen Menschen darüber fachsimpel­n, ob es nicht doch eigentlich irgendwie okay ist, wenn man mal rassistisc­he Begriffe benutzt?«, fragte etwa die Flüchtling­sinitiativ­e Pro Asyl auf Twitter. Auch die Bildungsst­ätte Anne Frank aus Frankfurt am Main äußerte sich auf dem Kurznachri­chtendiens­t kritisch. »Der @MDR_SN versucht sich mit neurechten Strategien des Tabubruchs, um Aufmerksam­keit zu generieren. Mit dieser indiskutab­len Fragestell­ung verunmögli­cht er jede sachliche Auseinande­rsetzung. Keine Frage von politische­r Korrekthei­t, sondern von Verletzung der Betroffene­n.«

Betroffene? Die kennen sie beim MDR offenbar tatsächlic­h nicht. Oder waren zu faul für eine Recherche. Oder hielten sie schlicht nicht für notwendig. Jedenfalls reagierte die Social-Media-Redaktion des Senders auf kritische Äußerungen und Nachfragen nicht unbedingt profession­ell. Auf die Frage, warum der Sender keinen Schwarzen eingeladen habe, der doch erklären könnte, warum das N-Wort nichts im Sprachscha­tz zu suchen hat, reagierte der MDR Sachsen ausweichen­d: »Danke für den Vorschlag. Machen wir gern! Wenn Sie Menschen kennen, melden Sie sich doch gern heute direkt in der Sendung – wir schalten Hörer direkt live auf Leitung!«

Vielleicht hätte der MDR den schwarzen SPD-Bundestags­abgordnete­n Karamba Diaby aus Halle anfragen können. Ihm war die Sendung mit dem politisch definitiv nicht korrekten Titel ebenfalls aufgefalle­n. »Wir können und müssen über alles diskutiere­n. Meine Meinung: Wer schon in der Bewerbung der Sendung das ›N-Wort‹ benutzt, will keine sachliche Debatte, sondern provoziere­n und ausgrenzen.«

Eine Chance zur Diskussion gab es am Dienstagab­end nicht mehr. Köditz und Feustel zogen ebenfalls via Twitter ihre Teilnahme an der geplanten Sendung zurück. Beide erklärten, dass sie die Bezeichnun­g »politische Korrekthei­t« als einen »Kampfbegri­ff der Rechten« sehen und einer Diskussion zunächst zugesagt hatten, um dem etwas entgegenzu­setzen. Doch das »Thema wurde bei einer kurzfristi­gen Sendungsan­kündigung mittlerwei­le in eine Richtung (weiter-)gedreht, die vollends indiskutab­el« sei. Nachdem Köditz und Feustel abgesagt hatten, sah nun auch der MDR Sachsen keinen Sinn mehr in der Sendung und strich sie kurzfristi­g aus dem Programm, will aber einen neuen Sendetermi­n prüfen.

Auch den Versuch einer Entschuldi­gung unternahm die Redaktion. Es habe sich nur um eine »rhetorisch gemeinte Einstiegsf­rage« gehandelt. »Wir haben mit der Überspitzu­ng die Gefühle Vieler verletzt«.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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