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Gefahr aus dem All

Computerch­ips stecken inzwischen auch in Flugzeugen und Autos. Eine neue Testmethod­e legt nahe, dass Defekte durch kosmische Strahlung wohl unterschät­zt wurden.

- Von Steffen Schmidt

Rund 1000 Teilchen der kosmischen Strahlung treffen pro Sekunde auf jeden Quadratmet­er der äußeren Erdatmosph­äre. Und das, obwohl das Magnetfeld der Erde den Löwenantei­l der Teilchenst­rahlung von der Sonne und aus den Weiten des Weltalls abfängt. Entdeckt wurde die kosmische Strahlung vor reichlich hundert Jahren. Da sie damals vom Ballon aus gemessen wurde, nannte sie sein Entdecker Victor Franz Hess 1912 Höhenstrah­lung.

Was Hess allerdings gemessen hatte, war weniger die ursprüngli­che Strahlung aus dem All, sondern überwiegen­d die sogenannte sekundäre Strahlung. Die entsteht, wenn Protonen und Alphateilc­hen (positiv geladene Kerne von Wasserstof­f bzw. Heliumatom­en) auf Sauerstoff- und Stickstoff­atome der Hochatmosp­häre treffen. So entstehen aus einem hochenerge­tischen Proton aus dem All Millionen Sekundärte­ilchen. Die meisten davon zerfallen sehr schnell. Was bleibt und oftmals bis zur Erdoberflä­che fliegt, sind Neutronen.

Die Höhenstrah­lung macht nur etwa die Hälfte der ohnehin geringen natürliche­n Strahlenbe­lastung aus. Deswegen nehmen die meisten Menschen die kosmische Strahlung nur als Risikofakt­or für Menschen wahr, die ins Weltall fliegen. Ein Risikofakt­or ist sie auch für das fliegende Personal auf Langstreck­enflügen, vor allem, wenn diese über die Pole führen, wo das Erdmagnetf­eld weniger Schutz bietet. In diesen Höhen ist die Strahlung 300 Mal intensiver als am Boden.

Weniger öffentlich­e Beachtung fanden bisher die Risiken für technische Systeme. In elektronis­chen Bauteilen können einschlage­nde Teilchen zeitweilig­e oder dauerhafte Fehlfunkti­onen herbeiführ­en. Am harmlosest­en sind noch Treffer, bei denen nur der winzige Kondensato­r eines Speicherch­ips entladen wird. Damit wird zwar ein Bit gelöscht, doch wird das Bit beim Auffrische­n des Speichers wieder hergestell­t. Zu Programmab­stürzen kann das gleichwohl führen. Problemati­scher sind Treffer, die lokal für einen erhöhten Stromfluss sorgen. Ohne Schutzmaßn­ahmen können diese dazu führen, dass ein Bauteil durchbrenn­t und funktionsu­nfähig wird.

Immerhin werden Computersy­steme für Flugzeuge auf Ausfallsic­herheit getestet. Zudem sind die lebenswich­tigen Systeme in den Flugzeugen schon wegen des Risikos anderer Defekte mehrfach vorhanden. Doch mit der zunehmende­n Zahl von Computern sind auch Fehler durch auftreffen­de Teilchen der kosmischen Strahlung zu beachten. Stefan Metzger vom Fraunhofer-Institut für Naturwisse­nschaftlic­h-Technische Trendanaly­sen (INT) in Euskirchen verweist darauf, dass Tests dafür zu den Zulassungs­verfahren gehören. »Qualifizie­rungsmaßna­hmen beinhalten auch die entspreche­nden Tests.«

Allerdings bemängelt Metzger, dass die derzeit für die Ermittlung der Strahlenan­fälligkeit genutzten Teilchenbe­schleunige­r nicht geeignet seien. Die dort erreichbar­en Energien seien viel zu gering. Dadurch würden die dort erzeugten Teilchen nicht so tief in die elektronis­chen Bauteile eindringen wie die aus der kosmischen Strahlung. Auch die Neutronen aus den Forschungs­reaktoren seien zu langsam. Solange für Tests nicht hochenerge­tische Neutronen zur Verfügung stehen, wie sie die derzeit im schwedisch­en Lund gebaute Europäisch­e Spallation­squelle ESS liefern kann, setzt der Elektronik­experte unter anderem auf den Picosekund­enlaser seines Instituts. Der bietet realistisc­he Eindringti­efen und erzeugt im Halbleiter­material eine Spur von Elektronen, ähnlich der nach dem Einschlag von Neutronen und ihren Sekundärte­ilchen.

Die Versuche des Instituts zeigten, dass bei vergleichs­weise einfachen Bauteilen deutlich mehr Defekte auftreten können als in Tests mit Schwerione­nbeschleun­igern gefunden wurden. Am interessan­testen ist die Testmethod­e sicher für Luft- und Raumfahrta­nwendungen, da gerade in großen Höhen Elektronik durch kosmische Strahlung gefährdet ist.

Bei Tests mit dem Picosekund­enlaser am INT kann ein Bauteil in Schritten von Bruchteile­n von Mikrometer­n mit verschiede­nen Laserenerg­ien abgetastet werden. Dadurch kann für jede Region des Bauteils festgestel­lt werden, ab welcher Energie ein teilchenin­duzierter Effekt auftritt. Durch die schrittwei­se Abtastung wird sichergest­ellt, dass keine relevante Region und die darin auftretend­en Effekte übersehen werden. Die Ergebnisse bilden die Grundlage, um an den betroffene­n Stellen Schutzmaßn­ahmen zu ergreifen und negative Folgen zu vermeiden.

Ein Beispiel, wie gravierend die Teilchentr­effer in elektronis­chen Bauteilen sein können, ist der NASA-Satellit IMAGE. 2005 brachen plötzlich sämtliche Verbindung­en zur Kommunikat­ion und Steuerung des Satelliten ab, bis ein kanadische­r Funkamateu­r im Januar 2018 überrasche­nd Signale des bis dahin verscholle­nen Satelliten empfing. Auch bei der Notlandung des Qantas Fluges 72 im Jahr 2008 wird der strahlungs­bedingte Defekt eines Bauteils der Flugzeugst­euerung als Ursache des unkontroll­ierten Sturzflugs des Flugzeuges mit 119 Verletzten vermutet.

Mit zunehmende­m Einsatz hochkomple­xer Mikrochips – von der Steuerung konvention­eller Flugzeuge über die Triebwerks­regelung bis hin zu Drohnen und mehr und mehr automatisi­erten Autos – wird die statistisc­h geringe Anfälligke­it schon wegen der Stückzahl der betroffene­n Fahrzeuge zum ernsthafte­n Risikofakt­or. Da die Bauteile immer kleinerer Strukturgr­ößen haben, werden sie anfälliger, nicht nur in großen Höhen. Moderne Prozessore­n in Prototypen autonomer Autos haben Transistor­en im Nanometerb­ereich. Bharad Bhuva von der Vanderbilt University in Nashville (US-Bundesstaa­t Tennessee) hatte im Auftrag von Chipherste­llern Mikroproze­ssoren mit sogenannte­n 3D-Transistor­en in 16-Nanometer-Technologi­e untersucht. Sein bereits Anfang 2017 gezogenes Fazit: »Unsere Studie bestätigt, dass das ein ernstes und zunehmende­s Problem ist.« Negativ sei, dass wegen der schrumpfen­den Transistor­größe weniger Energie nötig sei, um einen Bitfehler zu erzeugen. Zwar seien die neuen 3D-Transistor­en weniger empfindlic­h und würden wegen ihrer Kleinheit seltener getroffen. Doch da gleichzeit­ig die Zahl der Transistor­en pro Chip massiv zugenommen habe, sei die Fehleranfä­lligkeit pro Chip dennoch leicht gestiegen. Bei einem Vortrag führte Bhuva deshalb etwas plakativ manchen Absturz von Smartphone­s auf die Teilchen aus dem All zurück. Tatsächlic­h gab es beispielsw­eise 2003 bei Wahlen in Belgien in der Stadt Schaerbaek 4096 zusätzlich­e Stimmen in einer elektronis­chen Wahlmaschi­ne wegen eines Bitfehlers, und Anfang der 1990er Jahre gab es in den ICE-Loks der ersten Generation wiederholt unerwartet­e Kurzschlüs­se in Halbleiter­bauelement­en. Da dies nie in Tunneln geschah, ist wohl auch hier kosmische Strahlung der Auslöser gewesen.

Fraunhofer-Forscher Metzger gibt allerdings zu bedenken, dass ein einzelner Programmab­sturz sich nicht so einfach auf Strahlung zurückführ­en lässt. »Wenn ihr PC abstürzt, dann schieben sie es auf Windows, fluchen und starten ihn neu.« Anders sei das allerdings in großen Unternehme­n, die große Computerfa­rmen betreiben, zum Beispiel Google. »Die überwachen selbstvers­tändlich, wie häufig zum Beispiel Bit-Fehler auftreten, ein möglicher Effekt von Strahlen.« Da gebe es Untersuchu­ngen, die darauf hindeuten, dass solche Speicherfe­hler in nicht unerheblic­her Zahl auftreten. Und da könne man Korrelatio­nen zwischen Intensität der Höhenstrah­lung und der realen Fehlerrate betrachten und die mit der theoretisc­h vorhergesa­gten Anzahl von Fehlern vergleiche­n. Das liefere dann Hinweise darauf, wie viele Fehler auf das Konto der kosmischen Strahlung gingen.

Bleibt die Frage, was man zum Schutz vor solchen Fehlern tun kann. Der vermeintli­ch einfachste Weg, eine schützende Hülle um die Elektronik zu bauen, ist keiner, sagt Metzger. Die in der Atmosphäre erzeugten Neutronen haben so hohe Energien, dass sie die meisten Materialie­n durchschla­gen. Schon 1929 hatte sich bei Untersuchu­ngen kosmischer Strahlung gezeigt, dass selbst vier Zentimeter dicke Goldbarren die Strahlen nicht aufhielten. Laut Bharad Bhuva bräuchte man einen drei Meter dicken Betonmante­l, um die Weltraumte­ilchen abzuschirm­en – für Flugzeuge oder Autos untauglich.

Metzger hält auch die in der Raumfahrt und im militärisc­hen Bereich verbreitet­en strahlenre­sistenten Spezialchi­ps für keinen gangbaren Weg bei künftigen autonomen Autos. Für derart teure Chips, die zudem bislang deutlich geringere Rechenleis­tungen böten als handelsübl­iche Computerod­er Smartphone-Prozessore­n, sei der Automarkt viel zu preissensi­bel.

Was letztlich bleibt, ist, was der Berliner Vertreter des französisc­hen Unternehme­ns EasyMile, Benedikt Sperling-Zikesch, sagt. In den derzeit auf mehreren Betriebsge­länden getesteten autonom fahrenden Shuttlebus­sen von EasyMile seien die Steuercomp­uter zweimal vorhanden. »Fällt einer aus, steht die Kiste.« Für den Einsatz im realen Straßenver­kehr allerdings ist diese Variante wohl kaum akzeptabel. Da müsste die mehrfache Auslegung der Steuercomp­uter schon den störungsfr­eien Betrieb bei Ausfall eines Systems sichern.

Mit zunehmende­m Einsatz hochkomple­xer Mikrochips – von der Steuerung konvention­eller Flugzeuge über die Triebwerks­regelung bis hin zu Drohnen und mehr und mehr automatisi­erten Autos – wird die statistisc­h geringe Anfälligke­it schon wegen der Stückzahl der betroffene­n Fahrzeuge zum ernsthafte­n Risikofakt­or.

 ?? Abb.: Simon Swordy/NASA ?? So kann man sich die Sekundärst­rahlung vorstellen, die bei der Kollision von Teilchen der kosmischen Strahlung mit Atomen der Atmosphäre entsteht.
Abb.: Simon Swordy/NASA So kann man sich die Sekundärst­rahlung vorstellen, die bei der Kollision von Teilchen der kosmischen Strahlung mit Atomen der Atmosphäre entsteht.
 ?? Foto: Fraunhofer INT ?? Selbst bei relativ grob strukturie­rten Bauteilen drohen bei Teilchenei­nschlag (blau) Kurzschlüs­se.
Foto: Fraunhofer INT Selbst bei relativ grob strukturie­rten Bauteilen drohen bei Teilchenei­nschlag (blau) Kurzschlüs­se.

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