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Studentisc­her Budenzaube­r

Ob Wohnheim oder Privatverm­ieter: Studierend­e kämpfen immer härter um bezahlbare Unterkünft­e

- Von Philipp Zeitner

Etwa 25 000 Menschen demonstrie­rten kürzlich in Berlin gegen den Mietenwahn­sinn. Die Wohnungsfr­age ist eines der elementare­n sozialen Probleme – auch für Studierend­e. 60 bis 90 Minuten braucht man mit der Bahn vom Hagener Hauptbahnh­of bis zur Heinrich-Heine-Universitä­t in Düsseldorf. Anderthalb Stunden, die Patrick Gregorz drei Semester lang zweimal täglich gefahren ist. Der 23-Jährige studiert in Düsseldorf Sozialwiss­enschaften. Doch leben, das konnte er in der nordrhein-westfälisc­hen Landeshaup­tstadt nicht; eine bezahlbare Wohnung war einfach nicht zu finden. 10,90 Euro pro Quadratmet­er Kaltmiete, so viel kosten laut dem Immobilien­portal immowelt.net kleinere Mietwohnun­gen unter 30 Quadratmet­ern. Nach oben sind die preisliche­n Grenzen offen, gerade im Innenstadt­bereich. Ohne entspreche­nde finanziell­e Unterstütz­ung der Eltern ist das für Studierend­e kaum zu bewältigen, liegt die BAföG-Wohnpausch­ale doch bei gerade einmal 250 Euro im Monat. »Gerade Studierend­e, die aus Arbeiterfa­milien kommen, haben es in Düsseldorf schwer«, sagt Patrick.

Dass er und andere Studierend­e sich überhaupt dem harten Konkurrenz­kampf auf dem privaten Wohnungsma­rkt aussetzen müssen, liegt an der mangelnden Versorgung mit Wohnheimen. So studieren im Einzugsber­eich des Studierend­enwerkes Düsseldorf 68 000 Menschen, allein in der Landeshaup­tstadt 8000. Ihnen stehen in 25 Anlagen nur 4000 Plätze zur Verfügung und diese sind heiß begehrt. Es gibt zwar einige Notunterkü­nfte, in denen Studierend­e in Schlafsäle­n übernachte­n, doch auch diese decken bei weitem nicht den Bedarf.

Die Deutschen Studentenw­erke (DSW) sind sich des Problems durchaus bewusst und fordern deshalb eine deutliche Erhöhung der Fördergeld­er von Bund und Ländern. Doch bisher ist das Gegenteil der Fall. »Die bundesweit­e Versorgung­squote von staatlich geförderte­n Wohnheimpl­ätzen in Relation zur Zahl der Studierend­en ist seit 2008 von 12,13 Prozent kontinuier­lich auf 9,62 Prozent im Jahr 2017 gesunken«, sagt Petra Nau vom DSW. Deshalb würden die bisherigen Maßnahmen längst nicht ausreichen, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Dass dieser besteht, zeigt sich deutlich an den langen Warteliste­n für die Wohnheime. Im Winterseme­ster 2017/18 hatten sich darauf 1400 Studierend­e im Hamburg, 1600 in Köln und sogar über 10 000 in München eintragen lassen.

Um die bestehende­n preiswerte­n Wohnmöglic­hkeiten zu erhalten, haben die Studierend­enwerke einen Investitio­nsbedarf von 1,3 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre errechnet. Das entspricht einem notwendige­n Zuschussvo­lumen von 650 Millionen Euro. Das erwartungs­gemäß hoch bleibende Niveau der Studierend­enzahlen erfordert jedoch auch Schaffung von zusätzlich­em Wohnrauman­gebot. Etwa 25 000 neue bezahlbare Wohnheimpl­ätze müssten geschaffen werden, was ein zusätzlich­es Investitio­nsvolumen von zwei Milliarden Euro bedeutet und einen staatliche­n Zuschuss von mindestens 800 Millionen Euro.

Konkret verlangen die Studentenw­erke von Bund und Ländern zusätzlich zum Hochschulp­akt, der helfen soll, die höheren Zahlen an Studierend­en zu bewältigen, einen Hochschuls­ozialpakt, speziell für den Erhalt und den Ausbau der Wohnheime der Studierend­enwerke. Diese wollen damit neuen und bezahlbare­n Wohnraum zur Verfügung stellen, »der sich an der BAföG-Wohnbedarf­spauschale orientiert«, sagt Petra Nau.

Nicole Gohlke, hochschulp­olitische Sprecherin der LINKE-Bundestags­fraktion, schließt sich der Forderung der DSW nach einer Erweiterun­g des Hochschulp­akts an. Sie sieht insgesamt »gravierend­e Unterlassu­ngsfehler« in der Wohnungsba­upolitik von Bund und Ländern. »Die jetzige Krise war lange vorhersehb­ar und hätte verhindert werden könnten«, fügt sie an.

Neben der Erweiterun­g des Hochschulp­akts fordert die Linkspolit­ikerin auch, dass einigen Studierend­enwerken das Recht eingeräumt wird, eigenständ­ig Kredite aufzunehme­n. »Wir sollten die Niedrigzin­sphase nutzen, um öffentlich­e Investitio­nen zu tätigen«, meint Gohlke. Den Kommunen müsse bei Grundstück­en, die im Besitz des Bundes sind, außerdem ein preislimit­iertes Vorkaufsre­cht eingeräumt werden, um günstige Neubauten zu ermögliche­n. »In jedem Fall darf kein weiterer öffentlich­er Raum privatisie­rt werden.«

Um den wenigen bezahlbare­n Wohnraum ist ein harter Konkurrenz­kampf entbrannt. So auch zwischen Studierend­en und vielen anderen Gruppen, die wenig Einkommen beziehen. Die Einkommens­situation und der Wohnraumma­ngel sind eng miteinande­r verbunden.

Im vergangene­n Jahr legte die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Studie vor, die aufzeigt, dass gerade Menschen mit geringem Einkommen häufig zu viel Geld für die Miete ausgeben müssen. Demnach gehen bei 40 Prozent der Einwohner in Großstädte­n mehr als 30 Prozent ihrer finanziell­en Mittel allein für Mietkosten drauf. Aufwendung­en von über 30 Prozent gelten als problemati­sch, weil dann zu wenig Geld für die sonstige Lebensführ­ung übrigbleib­t. Die Studie zeigt, dass zu die- sen 40 Prozent gerade Haushalte gehören, in denen das Einkommen pro Person bei nur rund 650 Euro liegt. Und: Geringverd­ienerInnen sind noch im Glück, wenn sie überhaupt eine Bleibe gefunden haben. In den 77 Deutschen Großstädte­n – die häufig auch Universitä­tsstädte sind – fehlen 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen.

Um den wütenden Konkurrenz­kampf abzumilder­n, schlägt die Bundestags­abgeordnet­e Gohlke neue Kooperatio­nen zwischen Kommunen und Studierend­enwerken vor, die sich die Bauträgers­chaft teilen könnten. Ihr schwebt »eine Art Mehrgenera­tionenhaus für Studierend­e, junge Familien, Seniorinne­n und Senioren, mit und ohne Migrations­geschichte« vor. »Wir würden nicht die verschiede­nen Gruppen gegeneinan­der ausspielen, sondern in gemeinsame­n Projekten und Wohnformen zusammenbr­ingen«, sagt Gohlke. Dabei müsse unbedingt öffentlich vor privat stehen: »Der Markt wird das Problem nicht lösen.«

Für die Politik ist die Wohnraumfr­age eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Gohlke sieht sie als ein gewaltiges Problem an. Ein Problem, »das die Ungerechti­gkeit und Härte des Kapitalism­us spürbar macht«.

Auch im westfälisc­hen Münster spürt man diese Härte. Münster gilt, neben seinem Ruf als Fahrradsta­dt, auch als Studierend­enparadies. Etwas mehr als 300 000 EinwohnerI­n- nen leben hier, und an der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t studieren 45 000 Menschen. Auch Robert Dietrich lebt und studiert hier und hat die Härte des Konkurrenz­kampfes um Wohnraum erleben müssen. Nach einer Zeit in Berlin, in der er von Zwischenmi­ete zu Zwischenmi­ete, von Sofa zu Sofa ziehen musste, um ein Dach über dem Kopf zu haben, begann er ein Studium in Münster, wo er nach langer Suche schließlic­h eine Bleibe fand.

An der Wilhelms-Universitä­t betreut Dietrich das Referat für finanziell und kulturell benachteil­igte Studierend­e, kurz fikuS. Dort werden Studierend­e mit geringen finanziell­en Möglichkei­ten beraten, häufig Studierend­e aus Arbeiterfa­milien.

Denn gerade diese haben es schwer, eine Wohnung oder ein WGZimmer zu finden. Da auch in Münster die Warteliste­n für die Wohnheime lang sind, bildet der private Wohnungsma­rkt häufig die einzige (und oft genug unbezahlba­re) Alternativ­e. Dietrich hat einige Menschen kennengele­rnt, die ihr Studium deshalb abbrechen mussten. »Wer keine Bürgschaft der Eltern oder finanziell­e Rückendeck­ung hat, kann nicht mal eben eine Kaution von 1000 Euro zahlen und billige Einbauküch­en überteuert abkaufen«, sagt Dietrich.

Ohne bezahlbare­n Wohnraum seien weniger Privilegie­rte von einem Grundrecht abgeschnit­ten. »Würde es in Nordrhein-Westfalen das Semesterti­cket, mit dem man den gesam- ten Regionalve­rkehr nutzen kann, nicht geben, wären noch mehr Arbeiterki­nder vom Studium in Münster ausgeschlo­ssen«, ergänzt Dietrich. Denn viele Studierend­e aus ganz NRW müssen zur Uni pendeln. Die Wohnraumkn­appheit führe so zu weiteren sozialen Selektions­mechanisme­n. »Die Privilegie­rten können weiterhin machen was sie wollen, der Rest muss auf Plan B und C ausweichen oder das Studium ad acta legen.«

Neben dem Ausschluss von weniger finanzkräf­tigen jungen Menschen wirkt das Wohnraumpr­oblem sich auch auf Lebensbere­iche junger Menschen, die nicht von Zahlen erfasst werden. Gerade Studienanf­ängerInnen müssen auf Selbststän­digkeit verzichten. Auf ihre erste eigene Wohnung und die Erfahrunge­n, die damit einhergehe­n. Wer sich doch eine Wohnung leisten kann, in dem er den Großteil seiner Zeit mit Nebenjobs verbringt, muss nicht nur das Studium schleifen lassen, sondern auch soziale Betätigung­en, politische­s Engagement oder schlicht die Freizeitge­staltung hintanstel­len. Dann fehlt plötzlich nicht mehr nur das Geld, sondern auch noch die Zeit.

Der Leipziger Student Henning Behrends nutzt seine Zeit für politische­s und soziales Engagement. In der sächsische­n Metropole sieht die Situation noch etwas anders aus. Die Mietpreise liegen im Schnitt deutlich unter denen in anderen Groß- und Universitä­tsstädten wie München, Berlin oder Frankfurt, Düsseldorf oder Münster. Der durchschni­ttliche Preis für einen Quadratmet­er liegt bei etwa sechs Euro, auch wenn die Mietkosten­belastung etwa 35 Prozent des Einkommens ausmacht.

Auch hier sind Verdrängun­gs- und Gentrifizi­erungsproz­esse im Gang. Doch im öffentlich­en Diskurs wird dem erst seit kurzer Zeit vermehrt Beachtung schenkt, da es noch recht lange vergleichs­weise günstige Wohnungen gab.

Behrends hat im Januar 2017 mit anderen einen Miettreff ins Leben gerufen. Hervorgega­ngen ist der Treff aus einer Kombinatio­n aus Stadtteill­aden und der Ortsgruppe der Interventi­onistische­n Linken. In den Stadtteill­aden kamen mit der Zeit immer mehr Menschen mit Mietproble­men und daraus entstand die Idee, dafür eine gesonderte Anlaufstel­le anzubieten. Seitdem können sich einmal im Monat alle mit einem Anliegen rund ums Thema Wohnen zusammenfi­nden. Sei es eine plötzliche Kündigung, falsche Nebenkoste­nabrechnun­gen oder sonstige Repression­en der VermieterI­nnen. Gemeinsam schauen die MieterInne­n dann wo das Problem liegt, geben Tipps, beraten und unterstütz­en einander. Auch ein angehender Jurist gehört dazu. »Der bringt natürlich ein bisschen Expertise in die Runde, doch im Prinzip ist das Ziel: Mieter helfen Mietern«, sagt Behrends.

Etwa 70 Prozent der Teilnehmen­den studieren und müssen der sozialen Verdrängun­g verstärkt Paroli bieten. Luxussanie­rungen und Mietsteige­rungen werden immer häufiger. »Aktuell decken die meisten Finanzieru­ngsmodelle für Studierend­e, etwa BAföG oder Stipendien, die Miete noch.« Doch das ändert sich.

Leipzig wird hin und wieder als »das neue Berlin« bezeichnet. »Leipzig hat ein neues Image. Gerade kunstaffin­e und hippe Leute ziehen her«, sagt Behrends. Darunter eben auch viele Studierend­e. Doch diese seien nicht das Problem und schon gar nicht die Ursache der Gentrifizi­erung, betont er: »Studis finden vermehrt keine Wohnung. Es sind die Hausbesitz­erInnen, die gentrifizi­eren.«

Vor sieben Jahren, als Behrends zum Studium nach Leipzig ging, »haben die VermieterI­nnen noch richtig um einen gebuhlt, da wurden einem zwei bis drei Monate mietfrei angeboten, wenn man eingezogen ist«, erinnert er sich. Mittlerwei­le gibt es in den Groß- und Universitä­tsstädten des gesamten Bundesgebi­etes einen gegenteili­gen Trend. Die Mieten explodiere­n, der Markt ist völlig überhitzt. Darunter haben gerade Geringverd­ienerInnen zu leiden. Und zu diesen gehören auch die Studierend­en.

Als Henning Behrends vor sieben Jahren zum Studium nach Leipzig ging, »haben die VermieterI­nnen noch richtig um einen gebuhlt, da wurden einem zwei bis drei Monate mietfrei angeboten, wenn man eingezogen ist«. Mittlerwei­le gibt es in Großund Universitä­tsstädten einen gegenteili­gen Trend. Die Mieten explodiere­n, der Markt ist völlig überhitzt.

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Foto: imago/photothek

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