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Ein Anstieg um 75,4 Prozent

Politisch motivierte »Ausländerk­riminalitä­t« hat in München stark zugenommen – wegen eines Deutschen

- Von Nelli Tügel

Kürzlich stellte die Münchner Polizei ihren Sicherheit­sreport 2017 vor. Die politisch motivierte Ausländerk­riminalitä­t stieg demnach um 75,4 Prozent. Der Grund: Ein Deutscher hat kurdische Fahnen gepostet. Kerem Schamberge­r aus München hat regelmäßig mit Polizei und Staatsanwa­ltschaft zu tun. Der 31jährige Kommunikat­ionswissen­schaftler postet immer wieder die in der Bundesrepu­blik verbotenen Symbole der linken kurdischen Milizen YPG und YPJ in sozialen Netzwerken. Deshalb laufen gegen ihn momentan »ungefähr sieben bis acht Verfahren«, den Überblick hat er selbst schon verloren. Zu einer Anklage ist es bisher in keinem der Fälle gekommen, eingestell­t wurden die Verfahren allerdings auch nicht.

Einer seiner Postings – vom 28. Juli 2017 – wurde auf der Internetpl­attform Facebook ungefähr 250 mal geteilt. Daraufhin wurde nicht nur gegen Schamberge­r, sondern auch gegen weitere Personen ermittelt, die seinen Ursprungse­intrag weiter verbreitet hatten. Insgesamt gehen auf diesen einen FacebookPo­st 49 Verfahren zurück. Und diese 49 Verfahren haben der Münchner Kriminalit­ätsstatist­ik für den Bereich der politisch motivierte­n »Ausländerk­riminalitä­t« im Jahr 2017 einen Anstieg um satte 75,4 Prozent beschert. Insgesamt wurden unter dieser Kategorie 114 Straftaten erfasst, wie aus dem am vergangene­n Freitag vorgestell­ten »Sicherheit­sreport 2017« des Polizeiprä­sidiums München hervorgeht.

Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkensw­ert. Erstens ist Schamberge­r als Urheber der 49 Delikte, die zu diesem beeindruck­enden Anstieg geführt haben, Deutscher, ebenso wie viele der Personen, die seinen Ausgangspo­st vom Juli 2017 teilten. Zweitens ist in keinem der 49 Verfahren bislang Anklage erhoben worden. Drittens bleibt offen, weshalb »nur« in 49 Fällen Ermittlung­en aufgenomme­n wurden, obgleich der Facebook-Post weit über 200 mal geteilt wurde. Und zuletzt zeigt der Vorgang auch, wie wenig aussagekrä­ftig Statistike­n mitunter sind. Denn Schamberge­r hat es schließlic­h im Alleingang fertig gebracht, eine auf den ersten Blick gewaltige Zunahme der politisch motivierte­n Ausländerk­riminalitä­t zu erzeugen.

Eine Tatsache, auf die in dem »Sicherheit­sreport 2017« auch hingewiese­n wird. Dort heißt es: »Ein Deutscher veröffentl­ichte auf seinem Facebook-Account letztes Jahr mehrere verbotene Symbole der ›YPG‹, ›YPJ‹ und ›PYD‹, alle der verbotenen Organisati­on PKK nahestehen­d. Diese wurden von anderen Facebook-Nutzern geteilt, was wiederum etliche Strafanzei­gen bundesweit nach sich zog.«

Auf Nachfrage bei der Münchner Polizei, weshalb die Delikte überhaupt dem Bereich der »Ausländerk­riminalitä­t« zugeschlag­en wurden, verweist diese darauf, dass das Bundeskrim­inalamt (BKA) im Jahr 2017 die Definition verändert habe. Man unterschei­de nun zwischen »ausländisc­her Ideologie« und »religiöser Ideologie«. Dem Bereich der »ausländisc­hen Ideologie« wurden 2017 in München 84 Straftaten, darunter die 49 auf Schamberge­r zurückgehe­nden Delikte, zugeordnet. Auf die Frage, wie genau »ausländisc­he Ideologie« definiert und diese von »inländisch­er Ideologie« unterschie­den werde, verweist die Polizei München ebenfalls an das BKA. Dieses wiederum konnte bis zum Redaktions­schluss nicht auf die genannten Fragen oder auf die Frage, wie die frühere Definition von politisch motivierte­r »Ausländerk­riminalitä­t« lautete, antworten.

Schamberge­r findet es indes absurd, dass das Zeigen einer YPG- oder YPJ-Fahne offenbar als »ausländisc­he Ideologie« betrachtet wird. Die kurdische Freiheitsb­ewegung, sagt er, verteidige Werte, die originär auch aus Deutschlan­d kämen, zum Beispiel aus der Arbeiter- oder Frauenbewe­gung. Eine künstliche Trennung vorzunehme­n, diene dazu, die Schuld für einen Anstieg von Kriminalit­ät vermeintli­chen Ausländern in die Schuhe schieben zu können, ist Schamberge­r überzeugt. Und er ist entschloss­en, weiterzuma­chen. Erst am vergangene­n Sonntag habe er wieder eines der verbotenen Symbole gepostet, 150 mal sei der Post geteilt worden. Wieder viel Arbeit für die Münchner Polizei. »Die kommen da im Leben nicht nach mit den Verfahren«, sagt Schamberge­r.

Warum tut er das überhaupt? Schamberge­r sagt, er wolle zeigen, dass die staatliche Repression gegenüber Kurden und Linken nicht aufgeht und das Zeigen der Symbole nicht unterdrück­t werden kann. »Und ich möchte Solidaritä­t mit denen ausdrücken, die unsere Freiheit gegen den Islamische­n Staat verteidigt haben.«

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen Es lohnt sich, Statistike­n genau zu prüfen.

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