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Abschiebun­g gestoppt

Bei der Festnahme eines Syrers in Hessen soll es zu massiver Polizeigew­alt gekommen sein

- Von Stefan Otto

Obwohl das Verwaltung­sgericht Kassel eine Abschiebun­g untersagte, versuchte die Polizei einen 27-jährigen Syrer nach Bulgarien zu überführen. Erst nach Protesten ließ sie von dem Vorhaben ab. Eine Nachlässig­keit im Flüchtling­sbundesamt (BAMF) hatte offenbar zu der versuchten Abschiebun­g des 27jährigen Bangin H. in Witzenhaus­en geführt. Obwohl es einen Gerichtsbe­schluss gibt, der eine Überstellu­ng nach Bulgarien untersagt, haben Einsatzkrä­fte den Mann in der Nacht von Sonntag auf Montag in der nordhessis­chen Kleinstadt festgenomm­en, um ihn über Frankfurt am Main ausfliegen zu lassen. Erst nachdem es in der Nacht zu spontanen Protesten kam und seine Anwältin Claire Deery intervenie­rte, wurde Bangin H. am Montagmorg­en freigelass­en.

Das Verwaltung­sgericht Kassel hatte zuvor bereits eine Überstellu­ng nach Bulgarien abgewiesen, weil dort menschenre­chtliche Standards für Asylbewerb­er*innen nicht eingehalte­n werden. Dieser Beschluss vom Januar 2017 sei aber nicht in die Akte des Mannes eingetrage­n worden, sagte Deery dem »nd«. »Dort wurde ein falsches Kreuzchen gemacht, das ihn als ausreisepf­lichtig markierte.« Folglich ordnete das Regierungs­präsidium Kassel im Auftrag des BAMF die Abschiebun­g nach Bulgarien an, weil er dort in die EU eingereist war. Das Bundesamt gehe dem Fall aktuell umfassend nach, erläuterte eine Sprecherin dem »nd«. Aus datenschut­zrechtlich­en Gründen äußere es sich aber generell nicht zu Einzelfäll­en im Asylverfah­ren.

Mitten in der Nacht, um 0.30 Uhr, holten Polizisten Bangin H. aus seiner Wohngemein­schaft in der Ermschwerd­er Straße, legten ihm Handschell­en an, brachten ihn zum Einsatzwag­en. Dort protestier­ten zunächst seine Mitbewohne­r*innen, rasch fanden sich aber rund 60 Unterstütz­er*innen ein, die sich zum Schutz des Syrers um die Polizeifah­rzeuge herum setzten und die Einsatzkrä­fte auf den Gerichtsbe­schluss hinwiesen.

Äußerst rigoros sollen die Einsatzkrä­fte die Blockade aufgelöst haben, sagen Beteiligte der nächtliche­n Szene. Pfefferspr­ay, Hunde und Schlagstöc­ke sollen zum Einsatz gekommen sein. Erst gegen drei Uhr konnte der Einsatzwag­en mit dem Festgenom- menen schließlic­h rückwärts aus der Ermschwerd­er Straße fahren.

Gegen den Polizeiein­satz hat der Arbeitskre­is Asyl in Witzenhaus­en mittlerwei­le zwei Klagen beim Verwaltung­sgericht Kassel eingereich­t. Dort solle festgestel­lt werden, dass der Einsatz übertriebe­n und rechtswidr­ig gewesen sei, sagte der für den Ar- beitskreis tätige Anwalt Sven Adam. Das Gericht bestätigte laut dpa den Eingang der Klagen. Nach Angaben des Rechtsanwa­lts wurden bei dem Einsatz mindestens zwölf Personen verletzt, in einigen Fällen gebe es den Verdacht auf Knochenbrü­che. Der Jurist geht davon aus, dass noch weitere Strafanzei­gen wegen Körperverl­etzung im Amt gestellt werden.

Auch die Polizei sprach von einem aggressive­n Vorgehen – allerdings vonseiten der Demonstrie­renden. Ein Sprecher erwähnte gegenüber dem »nd«, es sei zu Steinwürfe­n gekommen, ein Einsatzwag­en sei dadurch beschädigt worden. Der Arbeitskre­is Asyl dementiert­e die Aussage jedoch umgehend.

Unterdesse­n erreichte eine Protestnot­e gegen Abschiebun­gen am Dienstag auch den Berliner Bundestag. Schüler*innen aus Offenbach sammelten in den vergangene­n Monaten mehr als 53 000 Unterschri­ften, um Abschiebun­gen ihrer Mitschüler*innen nach Afghanista­n zu verhindern. »Es kann nicht sein, dass weiterhin Menschen, vor allem junge Menschen, die sich hier integriert haben und unsere Freund*innen sind, in dieses unsichere Land abgeschobe­n werden sollen«, sagte die Vorsitzend­e des Offenbache­r Stadtschül­errates, Hibba Kauser. Die Unterschri­ftenlisten überreicht­en sie dem Petitionsa­usschuss.

Auch Bangin H. soll sich schnell in Witzenhaus­en eingelebt haben, hat die Sprache gelernt und engagiert sich in der Feuerwehr. Auf einer Demonstrat­ion am Montagnach­mittag auf dem Marktplatz dankte er für die Unterstütz­ung.

Nach Angaben des Anwalts Sven Adam wurden bei dem Einsatz mindestens zwölf Personen verletzt, in einigen Fällen gebe es den Verdacht auf Knochenbrü­che.

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Foto: Maximilian Beer Auf dem Marktplatz in Witzenhaus­en demonstrie­rten am Montagnach­mittag mehr als 100 Menschen gegen den Polizeiein­satz.

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