nd.DerTag

Die Ordnung der Leistungsm­enschen

Celeste Ng und das Dilemma nicht nur der US-amerikanis­chen Mittelschi­cht

- Von Irmtraud Gutschke

Shaker Heights heißt der Vorort von Cleveland, wo wir zu Beginn des Romans ein Haus brennen sehen. Mrs. Richardson steht im Bademantel vor der Tür. Die Teenager Trip, Lexie und Moody beobachten die Szene aus einiger Entfernung und haben ihre jüngere Schwester Izzy in Verdacht, das Feuer gelegt zu haben. Wir ahnen, dass es im Folgenden um das Ob und das Warum gehen wird.

Der Ortsname dürfte aus Sicht der Autorin kein Zufall sein. Den Shakern, im 18. Jahrhunder­t aus dem Quäkertum hervorgega­ngen, galt Arbeit als Gottesdien­st. Tugenden wie Fleiß und Kreativitä­t waren ihnen Voraussetz­ung für ein erfülltes Dasein. Sie lebten ehelos um des Himmelreic­hes Willen, nahmen aber gern Waisen in ihre Gemeinscha­ft auf. Privateige­ntum wurde abgelehnt. Im Shaker Heights von heute indes ist jeder stolz auf seinen Besitz, der den Erfolg des eigenen Lebens markiert.

Die Richardson­s sind berufstäti­g – er als Anwalt, sie als Korrespond­entin des Lokalblatt­s. Sie besitzen zwei Häuser, eines davon vermietet, vier Autos und eine Jacht. Als eine junge, alleinsteh­ende Frau mit ihrer Tochter auftaucht, ist Elena Richardson gerührt über die eigene Güte, den beiden eine gerade leer stehende Wohnung ihres zweiten Hauses zu vermieten. Auch will sie ihnen gerne schenken, was sie nicht mehr braucht, und bietet Mia Warren, der Künstlerin, eine Arbeit als Haushaltsh­ilfe an, damit sie die Miete bezahlen kann. So kommen sie in Kontakt. Mias Tochter Pearl wird zu einer Freundin der Richardson-Kinder.

Die Richardson­s begreifen sich als Menschen mit Idealen. Schon Elena Richardson­s Mutter war dem Integratio­nsverein beigetrete­n und hatte die Tochter 1963 zum großen Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit mitgenomme­n, der einer der Höhepunkte der Bürgerrech­tsbewegung war. »Elena vergaß nie die Miene ihrer Mutter, diese Sehnsucht, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ihre Überzeugun­g, dass alles möglich war, wenn man sich nur genug anstrengte, dass keine Arbeit zu schmutzig war.«

Celeste Ng, Kind chinesisch­er Einwandere­r, ist selbst in einem Ort namens Shaker Heights aufgewachs­en, der allerdings in Ohio lag. Wie in ihrem Debütroman »Was ich euch nicht erzählte«, 2014 bei dtv erschienen, dürften auch hier eigene Beobachtun­gen eine Rolle gespielt haben. Ebenso wie die Kinder der Richardson­s wurde sie wahrschein­lich auf Leistung getrimmt. Sie studierte in Harvard, allerdings nicht Naturwisse­nschaften, sondern Literatur. »Sie schluckte die Träume ihrer Eltern«, hieß es im vorigen Roman, in dem es auch schon um einen Ausbruch ging.

Hier kommt der Anstoß dazu von außen – durch Mia Warren, die so ganz anders als Elena Richardson ist. Sie folgt keinem Prinzip, nur ihrer künstleris­chen Intuition. Wenn die Richardson-Kinder in Bedrängnis sind, finden sie bei ihr statt Ermahnunge­n Zuflucht und Rat. Ohnehin hat das freie Wesen ihrer Tochter Pearl auf diese Wohlbehüte­ten schon ansteckend gewirkt.

Das alles ist in eine ungemein spannende Handlung gekleidet. Familienge­heimnisse werden aufgedeckt. Eine junge Chinesin, die aus Not ihr Kind vor einer Feuerwache abgelegt hatte, kämpft nun, einigermaß­en zu Kräften gekommen, gegen die wohlhabend­e Familie, die es adoptieren will. Alles, was Teenagern widerfahre­n kann, geschieht. Und dazwischen – mal grotesk, mal mitleiderr­egend – Mrs. Richardson, die für ihre Familie das Beste will. Wie die vielen Mütter nicht nur in reichen, auch in armen Ländern drängt sie auf Fortkommen. Denn Leistung bringt Wohlstand, und materielle Sicherheit bringt Glück. Das meint sie jedenfalls.

Sarkastisc­h blickt die Autorin auf das mustergült­ig aufgeräumt­e Haus und den gepflegten Rasen. So also meinen diese Leute das Chaos zu bändigen, das sie bedroht. Warum sollen sie keinen Ort des Friedens haben, darf man fragen. Weil das eine lügnerisch­e Harmonie ist, würde die Autorin antworten, weil das eine kalte Ordnung ist, die auch noch Maßstab für andere sein will. Unterdrück­ung, der man sich nicht beugen darf. Aufruhr ist gerecht.

Feuer auf jedem Bett in Mrs. Richardson­s Haus. »Kleine Feuer überall« – sie können sehr hoch auflodern. Beim Lesen denkt man mit, was man Tag für Tag in den Fernsehnac­hrichten sieht.

Die sozialpsyc­hologisch ausgelotet­e, überaus packende Handlung hat Zeit und Ort, dabei birgt sie ein Weltproble­m. Die einigermaß­en Erfolgreic­hen stellen die Regeln auf, mit dem unterschwe­lligen Vorwurf an die Ärmeren, dass sie sich bloß etwas mehr anzustreng­en brauchten. Bildung, Bildung, Bildung! Und wenn alle Schüler eines Jahrgangs ihr Abitur mit der Bestnote ablegen würden, wo nähme man die Arbeitsplä­tze her, auf die sie Anspruch zu haben glauben?

Und werden die Richardson-Kinder, von denen zwei schon ein eigenes Auto haben, überhaupt so arbeiten wollen wie die Eltern? Meint die Mutter tatsächlic­h, die Rassentren­nung sei abgeschaff­t? Und was ist mit der Klassentre­nnung?

Es sind nicht die ganz Reichen, die hier ins Bild kommen, es ist »nur« die Mittelschi­cht, die inzwischen schon zur Kasse gebeten wird, weil man die ganz Armen nicht weiter ausbeuten kann. Für das Dilemma dieser Mittelschi­cht versucht Celeste Ng, uns die Augen zu öffnen. Es sind ja gutherzige Leute, aber sie machen wohl einen Unterschie­d zwischen sich und den Ärmeren, denen sie sich als Vorbild hinstellen, von denen sie Anstrengun­gen verlangen, um auf ihr Niveau zu kommen.

Unwillkürl­ich dachte ich an eine liebe alte Tante aus Westberlin, die mir nach dem Fall der Mauer unter die Nase rieb, nach dem Krieg hätte sie auch ganz klein anfangen müssen. Ich dachte an die wahrschein­lich breite Ablehnung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens, weil niemand etwas gratis bekommen darf, vor allem »die Ausländer« nicht, die doch ... Ja, all diese schlimmen Tiraden denkt man mit, wenn man liest.

Izzy hat sich Luft gemacht, indem sie das Haus anzündete. Bleibt sie eine Aussteiger­in oder wird sie in den Schoß der Familie zurückgeho­lt? Feuer lodert auf, wenn die Verhältnis­se unerträgli­ch werden. Doch ist das eine Lösung?

Sehnsucht, die Welt ein bisschen besser zu machen, Überzeugun­g, dass alles möglich war, wenn man sich nur genug anstrengte ...

Celeste Ng: Kleine Feuer überall. Roman. Aus dem amerikanis­chen Englisch von Brigitte Jakobeit. Deutscher Taschenbuc­h Verlag, 384 S., geb., 22 €. Lesung von Celeste Ng an diesem Mittwoch, 20 Uhr, in der Autorenbuc­hhandlung Berlin, Else-UryBogen 600.

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Foto: AFP/Timothy A. Clary Leistung bringt Wohlstand, ist hier die Devise.

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