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Wettbewerb unter Strom

Die Marktliber­alisierung von April 1998 brachte höhere Preise, Bürokratie­monster und eine Zweiklasse­ngesellsch­aft

- Von Jörg Staude

Vor 20 Jahren trat das Gesetz in Kraft, das den Markt für Strom und Gas in Deutschlan­d öffnete. Nur ein PDS-Politiker sagte seinerzeit voraus, wie negativ sich das auf Verbrauche­r auswirken würde. 28. November 1997, Deutscher Bundestag, Punkt sieben der Tagesordnu­ng: Der Unionsabge­ordnete Gunnar Uldall kommt zum heroischen Ende seiner Rede: »Zum Wohle und zum Nutzen der Umwelt, zum Wohle und zum Nutzen der Betriebe und der Arbeitsplä­tze und zum Wohle und zum Nutzen der privaten Stromverbr­aucher« müsse man »überholte Verkrustun­gen aufbrechen«. Damit meinten Uldall und die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl die Gebietsmon­opole der Strom- und Gaswirtsch­aft in Deutschlan­d. Jeder Stromkunde musste bis dahin den Strom von seinem örtlichen Elektrizit­ätswerk einkaufen. In Zukunft, verspricht Uldall, könne man den Strom dort kaufen, wo er am günstigste­n ist. Preissenku­ngen von 20 bis 30 Prozent stellt Bundeswirt­schaftsmin­ister Günter Rexrodt (FDP) mit dem Gesetz zur Neuregelun­g des Energiewir­tschaftsre­chts in Aussicht.

Das Gesetz war allerdings handwerkli­ch schlecht. Der Bundesrat sollte außen vor bleiben. Die neuen Netzentgel­te sollten in einer Verbändeve­reinbarung geregelt werden, die aber noch gar nicht vorlag. Das Recht der Kommunen, Konzession­en für durchgelei­teten Strom zu verlangen, wurde über Gebühr beschnitte­n. Diese wehrten sich vehement. Und so dauerte es noch bis zum 24. April 1998 bis das neue Energiewir­tschaftsre­cht in Kraft trat und eine Monopolsit­uation beendete, die 1935 unter der Nazi-Herrschaft entstanden war.

Die Liberalisi­erung des Strom- und später auch des Gasmarktes sah sich grundlegen­den Problemen gegenüber. Die Netze sind sogenannte natürliche Monopole. Wo eine Leitung von A nach B vorhanden ist, gibt es meist keine zweite. In Deutschlan­d sind die Trassen zudem nicht in staatliche­m Eigentum, sondern haben private oder kommunale Eigner. Mit der Aufhebung der Gebietsmon­opole und der Schaffung »echten« Wettbewerb­s mussten die Eigner gezwungen werden, auch Strom oder Gas des Konkurrent­en durchzulei­ten. Um das zu sichern, den Besitzer aber nicht zu enteignen, entstanden bürokratis­che Monstervor­schriften. Mittels des sogenannte­n Unbundling­s wurden die Monopole zwangsentf­lochten, sie hatten Netztöchte­r zu gründen. Diese durften zwar weiter formal zum Unternehme­n gehören, von diesem aber keine Weisungen mehr entgegenne­hmen. Das neue Energierec­ht ernährt seitdem ganze Rechtsabte­ilungen und Kanzleien, die wie Pilze aus dem Boden schossen.

Die Marktliber­alisierung machte es möglich, zum millionens­chweren Stromverkä­ufer zu werden, ohne ein Kraftwerk oder eine einzige Leitung zu besitzen. Im Prinzip reichten der Stromeinka­uf an der Börse, ein CallCenter und eine Imagekampa­gne, die billigen Strom versprach. Geknapst wurde dann am Service, oder man verlangte Vorkasse, oder gerierte sich als Strom»rebell«, der sich weigerte, die im Jahr 2000 eingeführt­e EEG- Umlage zu zahlen. Hatte man die Schäfchen ins Trockene gebracht, wurden viele Firmen in die Insolvenz geschickt. Dann musste der örtliche Grundverso­rger einspringe­n.

Die Zahl der Betriebe auf dem Strommarkt explodiert­e förmlich. 2017 gab es nach Angaben des Branchenve­rbandes BDEW hierzuland­e 80 größere Stromerzeu­ger, über 900 Netzbetrei­ber, 130 reine Händler sowie mehr als 1200 Unternehme­n, die Strom lieferten. Verbrauche­r können derzeit nahezu überall aus mindestens 20 Anbietern auswählen, meistens sind es sogar mehr als 50. Jedes Jahr wechseln ein bis zwei Millionen Haushalte den Stromliefe­ranten. Positiv dabei: Man kann Atomund Kohlestrom abwählen und mehr oder weniger echten Ökostrom beziehen. Ein bisschen Wohl für die Umwelt brachte die Liberalisi­erung also.

Das große Verspreche­n von Uldall und Rexrodt wie auch damaliger Grünen-Politiker, mit der Liberalisi­erung werde Energie billiger werden, wurde aber nicht eingelöst. Im Gegenteil: Kostete die Kilowattst­unde den privaten Haushalt vor 20 Jahren im Schnitt etwas mehr als 17 Cent, sind es derzeit rund 29,5 Cent. Daran haben die staatliche­n Abgaben – Ökostromum­lage, Netzentgel­te, Stromund Mehrwertst­euer und anderes mehr – einen Anteil von über 23 Cent.

Das wissen auch die heutigen Freunde liberaler (Strom)Märkte. Sie fordern nicht mehr Wettbewerb, sondern geringere Steuern und Umlagen, um den Preis zu senken. Am meisten steht die EEG-Umlage am Pranger, obwohl die Netzentgel­te längst den größten Kostenbloc­k darstellen.

An der Strombörse in Leipzig – ebenfalls ein Produkt der Marktliber­alisierung – erhalten die Erzeuger für die Kilowattst­unde derzeit nur zwischen drei und vier Cent. Wer dort direkt Strom kaufen kann, ist gut dran. Industriel­le Großkunden zahlen in Deutschlan­d im Schnitt nur acht bis zehn Cent für die Kilowattst­unde. Zum billigen Börsenstro­m gesellt sich noch eine Vielzahl staatliche­r Nachlässe bei der EEG-Umlage, den Netzentgel­ten und anderen Abgaben.

Ein Abgeordnet­er hatte diese Entwicklun­g 1997 vorausgeah­nt. Rolf Köhne (PDS) gab damals im Bundestag zu Protokoll: Das Ziel des neuen Energierec­hts, die Strompreis­e zu senken, werde »allenfalls für einige wenige Großverbra­ucher erreicht werden, die sich eigene Kraftwerke leisten können oder auf den europäisch­en Markt zurückgrei­fen könnten. Aber das Gros der Verbrauche­r, vor allen Dingen Otto Normalverb­raucher, wird draufzahle­n«, sagte Köhne – und behielt im Kern recht.

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Foto: dpa/Carsten Rehder Monteure arbeiten an neuen Freileitun­gen in Brunsbütte­l.

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