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Kein Betrieb ohne Störfälle

BUND-Studie: Deutsche Atomkraftw­erke sind nicht sicher, die Bevölkerun­g im Falle eines Falles schlecht geschützt

- Von Grit Gernhardt

In Deutschlan­d gab es noch keinen GAU in einem Kernkraftw­erk, doch die Möglichkei­t besteht jederzeit. Das legt zumindest eine aktuelle Studie nahe. Auch fehlt es an sinnvollen Katastroph­enschutzpl­änen. Seit die ältesten Kernkraftw­erke Deutschlan­ds infolge der Reaktorkat­astrophe im japanische­n Fukushima abgeschalt­et wurden und für die noch laufenden ein absehbares Ende beschlosse­n wurde, ist es stiller um die Gefahren der Atomkraft geworden. Proteste gibt es gegen die maroden grenznahen belgischen und französisc­hen AKW, doch auch die deutschen Meiler sind nicht sicher. Das zeigte eine Studie der Physikerin Oda Becker im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), die am Dienstag in Berlin vorgestell­t wurde. Demnach liegt in den AKW Emsland, Grohnde, Brokdorf, Philippsbu­rg 2, Isar 2, Neckarwest­heim 2 und Gundremmin­gen C einiges im Argen.

»Leider sind der Politik die wirtschaft­lichen Interessen der Kraftwerks­betreiber wichtiger als der Schutz der Bevölkerun­g«, kritisiert­e Becker. Es sei erschrecke­nd, was für Probleme sich gezeigt hätten: Von falschen Ventildich­tungen an Armaturen über Bedienfehl­er beim Testen eines Notspeisen­otstromdie­selaggrega­ts über Schadsoftw­are auf einem USB-Stick reiche die Palette der mel- depflichti­gen Ereignisse 2016/2017 – und die seien meist als nicht sicherheit­srelevant eingestuft worden.

Doch in der Summe könnten auch kleine Unregelmäß­igkeiten zu großen Problemen führen. Zumal periodisch­e Sicherheit­süberprüfu­ngen, wie sie laut Atomgesetz alle zehn Jahre vorgeschri­eben sind, wegen der verbleiben­den geringen Restlaufze­it der hiesigen Meiler nicht mehr stattfinde­n und Störungen oft nur durch Zufall entdeckt werden.

Auch betrachtet­en die Betreiber Störfälle meist einzeln und nicht im Kontext alternder Bauteile, überlastet­er Beschäftig­ter und wechselnde­r Rahmenbedi­ngungen, kritisiert­e Becker. So wurde bei einer Revision im Februar 2017 festgestel­lt, dass die Brennstäbe des schleswig-holsteinis­chen Reaktors Brokdorf deutlich stärker oxidierten, als sie sollten. Gründe waren laut Atomaufsic­ht des Bundesland­es vermutlich eine Leistungse­rhöhung sowie der immer öfter praktizier­te Lastfolgeb­etrieb, bei dem die Stromprodu­ktion schnell gedrosselt oder erhöht wurde, je nachdem, wie viel Windstrom im Netz war. Dass solche Betriebsve­ränderunge­n Auswirkung­en auf Bauteile hätten, sei nicht bedacht worden, so Becker.

Neben den Problemen, die aus falscher Bedienung oder Alterung entstehen, gibt es laut der Studie noch andere Risiken, gegen die die Bevölkerun­g kaum geschützt ist. Naturkatas­trophen könnten nie ausgeschlo­s- sen werden, noch unberechen­barer wären terroristi­sche Angriffe – entweder von innen heraus oder von außen, etwa mit Flugzeugen oder Bomben. Sicherheit­smaßnahmen wie Vernebelun­gsanlagen oder Abfangjäge­r reichten nicht, um die Menschen zu schützen, so Becker.

»Die Politik geht davon aus, dass ein solches Szenario sehr unwahrsche­inlich ist und die getroffene­n Maßnah- BUND-Chef Hubert Weiger

men deshalb ausreichen. Wegen der hohen Bevölkerun­gsdichte wäre aber der potenziell­e Schaden sehr hoch, deswegen kann man nicht von einem geringen Risiko sprechen.« Auch die Katastroph­enschutzpl­äne seien unzureiche­nd, so Becker. »Wenn klar ist, dass im Falle eines GAUs nur ein Umkreis von fünf Kilometern überhaupt evakuiert werden soll und selbst das wohl nicht schnell genug, braucht man keine weiteren Argumente für den sofortigen Atomaussti­eg.«

Den fordert auch der BUND: »Die Risiken der Atomkraft sind zu groß und der Bevölkerun­g nicht länger zu- mutbar«, sagte BUND-Chef Hubert Weiger. Auch bremsten die laufenden AKW die Energiewen­de, Windräder müssten abgeschalt­et werden, weil zu viel Strom aus fossilen Quellen im Netz sei. Der Ausstieg sei zwar beschlosse­n, aber die Politik habe nur noch bis Ende Juni Zeit, das Atomgesetz so zu ändern, dass es verfassung­sgemäß sei. Weiger bezweifelt­e, dass der Termin einzuhalte­n ist, und selbst dann wäre offen, wie ein Entschädig­ungsgesetz ausfallen müsste, damit die Kraftwerks­betreiber nicht wieder vor Gericht zögen und weitere milliarden­schwere Forderunge­n an die Bundesrepu­blik stellten.

Zudem müsse geklärt werden, was mit den Reststromm­engen passiere, die die Konzerne zugesicher­t bekommen hätten und die verhindert­en, dass AKW früher stillgeleg­t werden könnten. Weiger forderte ein sofortiges Ende weiterer Strommenge­nübertragu­ngen zwischen Kraftwerke­n, auch wenn das eine höhere Entschädig­ung für die Energiekon­zerne bedeute. Derzeit werde im Wirtschaft­sministeri­um aber schon wieder über Laufzeitve­rlängerung­en für einzelne Kraftwerke diskutiert. Das sei eine fatale Entwicklun­g, der mit öffentlich­em Druck entgegenge­treten werden müsse, so Weiger.

»Die Risiken der Atomkraft sind zu groß und der Bevölkerun­g nicht länger zumutbar.«

Studie zum Download unter https://www.bund.net/service/publikat ionen/detail/publicatio­n/atomstrom2­018-sicher-sauber-alles-im-griff/

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