Das Ende dreijähriger Provisorien
Rund um den Jahrestag des großen Erdbebens am 25. April steht der Wiederaufbau in Nepal kurz vor dem Abschluss
Vor drei Jahren erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 auf der Richterskala Nepal und kostete 9000 Menschen das Leben. Für viele, die obdachlos wurden, haben die Provisorien erst seit Kurzem ein Ende. Mühsam windet sich der Jeep die schmale Bergstraße hinauf. Immer weiter bergauf, eine deutliche Staubwolke hinter sich herziehend. Die letzte Etappe der Reise von Kathmandu muss über unbefestigten Untergrund erfolgen. Auf der normalen Route herrscht Stau, der bereits aus der Ferne zu sehen gewesen war. Deswegen der Schleichweg, den der ortskundige Begleiter, im Zielort aufgewachsen, genau kennt. Die Landschaft in dieser Gegend ist besonders karg. Eben noch, unten am Flussbett des Tamakoshi, strömte das Wasser. Inzwischen, am Berghang rund 600 Höhenmeter aufwärtsgewunden, wird aber ersichtlich, dass Wasser hier eigentlich Mangelware ist. Die Wolken entladen ihre Niederschlagslast jenseits der nächsten großen Höhenzüge. Dennoch mühen sich Bauern, dem staubtrockenen Boden ein paar Ernteerträge abzuringen. Mais, Buchweizen und Raps sind die Kulturen, die unter den denkbar schwierigen Bedingungen noch gedeihen können. Ein Paar pflügt sein Feld und trottet dem Ochsen hinterher.
Es sind zwar nur 140 Kilometer von Kathmandu, der mittlerweile boomenden und in vielen Aspekten modernen Hauptstadt, bis nach Ramechhap. Die Fahrt dauert trotz eines Starts um 6 Uhr früh und damit noch den Staus des morgendlichen Berufsverkehrs entgehend, ungefähr fünf Stunden. Bis Bhaktapur, einem der Vororte, reicht noch die insgesamt vierspurige Magistrale. Danach wird es deutlich enger mit nur noch einer Spurbreite pro Richtung und ab dem späteren Morgen tendenziell immer mehr langsamen Lastwagen. Auch das Überholen ist bei den vielen Kurven schwierig. Im Anschluss folgt die unlängst erneuerte Straße in unterschiedlicher Höhe dem Flusslauf des Tamakoshi.
Ramechhap war neben dem benachbarten Sindhupalchok und Gorkha weiter westlich, wo seinerzeit das Epizentrum des Hauptbebens lag, eine der am stärksten von der Zerstörung betroffenen Städte. »Kaum ein Haus stand hier noch«, erzählt der im Ort geborene Puskal Karki, der inzwischen in Kathmandu lebt und als Reiseleiter arbeitet. Der 32- Jährige kann sich auch noch gut daran erinnern, als es zu seinen Kindertagen die jetzige Hauptverbindung noch nicht gab und die Reise über eine alternative Strecke ein bis drei Tage dauerte, um bis nach Kathmandu zu kommen.
Ramechhap Bazar, der Hauptort, hat ein paar Geschäfte aufzuweisen, ist aber ansonsten ein größeres Dorf mit gewisser Zentrumsfunktion für die umliegenden Weiler. Hier befindet sich unter anderem auch die Shree Gaurishankar Secondary School, die schwer von dem Beben vor drei Jahren getroffen wurde. Drei von fünf Gebäuden im Altbestand brachen völlig zusammen, das vierte ist im Haupttrakt nur noch eine Ruine. Nun entstehen drei Neubauten mit 34 Klassenzimmern, sagt Direktor Nir Bahadur Karki, ein Onkel Puskals, mit stolzem Blick in die Runde. Noch wird überall gehämmert und Arbeiter karren Baumaterial in Schubkarren umher. Erst Ende Mai soll alles fertig sein. Das bedeutete beim Besuch Ende März, dass die Schuljahresabschlussprüfung in dem einzigen intakten Altbaugebäude stattfand. 200 Mädchen und Jungen mussten dann noch einmal auf engstem Platz zusammenrücken.
Solcherlei Provisorien sind die Nepalis gewöhnt. Zweieinhalb Jahre hatte sich abseits der Hauptstadtmetropole, wo genügend privates Geld vorhanden ist und Schäden teilweise binnen weniger Wochen und Monate beseitigt wurden, recht wenig getan in Sachen Wiederaufbau. Und das, obwohl die meisten internationalen Nichtregierungsorganisationen sogar ausreichend eigene Finanzmittel mitgebracht hatten. Da die zuständige Behörde sich jedoch erst einmal konstituieren, dann einen Chefwechsel überstehen und schließlich ihre Regularien ausarbeiten musste, verstrich immer mehr wertvolle Zeit – Monate und schließlich Jahre, in denen die Betroffenen gezwungen waren, mit Zwischenlösungen zu leben.
Bis heute stehen auch in Ramechhap so einige der Notunterkünfte, manche davon bis vor Kurzem noch bewohnt. Doch steht daneben nun zumeist bereits das neue Haus – diesmal in erdbebensicherer Bauweise. Gleich dreimal – nach dem Fundament, beim Rohbau und schließlich dem Aufsetzen des Daches – machen die Ingenieure der Behörde ihre Runde zur Kontrolle, erklärt Puskal die Verfahrensweise beim Bau.
Schon im zweiten Halbjahr 2017 hatten die meisten ihre zweite Rate der Entschädigungszahlung erhalten, inzwischen ist auch der fehlende Endbetrag in vielen Fällen ausgereicht worden. Und wer bisher nicht gebaut hat, der muss sich nun sputen. Eigentlich galt die Frist bis Ende März, dann wurde jedoch noch mal um zwei Monate bis zum Mai verlängert. Wessen Haus bis dahin nicht komplett fertiggestellt ist, der muss einen großen Teil der erhaltenen Beihilfen zurückzahlen. So fallen hier noch zwei frische Fundamente auf, während an einem anderen Bau nebenan doch schon in zwei Metern Höhe vorletzte Hand angelegt wird.
Die meisten neu gebauten Quartiere haben Standardcharakter, drei Räume, nicht sonderlich üppig viel Platz. Aber wieder ein ordentliches Dach über dem Kopf und dann noch eines, das etwaigen künftigen Erschütterungen unbedingt standhalten soll. Manche Fälle wurden vorrangig bearbeitet. Wie beispielsweise der einer alleinstehenden älteren Frau, deren neues Zuhause mit einem leuchtend blauen Dach nun in Sichtweite kommt. In anderen Fällen, bestätigt Puskal auf Nachfrage das, was tags zuvor in einem Zeitungsartikel berichtet wurde, haben nicht vorhandene, unvollständige oder mit der Realität nicht in Einklang stehende Landrechtstitel den Wiederaufbaubeginn und die Mittelauszahlung erheblich verzögert. Auch Ramechhap kennt solche Beispiele.
Für den ohnehin schon viel von ausländischer Unterstützung lebenden Himalayastaat war das Beben mit so massiver Zerstörung nicht nur privater Unterkünfte, sondern auch der Infrastruktur eine massive Belastung. Da ist man froh, dass im Falle der insgesamt acht Schulen im Distrikt die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) als Partner Unterstützung bietet. 60 Millionen Rupien, etwa eine halbe Million Euro, fließen in vier neue Klassenräume, die in der örtlichen Grundschule gerade gebaut werden.
Narang Karki, der Schulleiter der Shree Jaiya Shwori School, ist überaus dankbar für diese Investition. Dennoch bleibt seine Freude verhalten, denn viele Probleme bleiben bestehen. So muss er für seine 150 Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen eins bis fünf weiter mit vier Lehrkräften auskommen. Lediglich drei davon stehen im regulären Stellenplan, für den die Regierung die Gehälter sichert, die vierte ist bereits eine aus eigenen Ressourcen von der lokalen Gemeinschaft zusätzlich finanzierte Stelle. Selbst damit bleibt aber für den Einzelnen eine enorme Mehrbelastung über dem normalen Pensum von sechs bis sieben Stunden täglich.
»An vielen Tagen sind wir so erschöpft, wenn wir nach Hause kommen, dass wir uns nicht einmal mehr mit unseren eigenen Kindern und Frauen unterhalten können«, klagt der Direktor. Eigentlich wollen seine Kollegen und er wirklich gute Bildung für die junge Generation bieten. Doch ohne ausreichend Mittel selbst für Möbel und Lehrmaterial sei dies schwierig. Eine traurige Bestandsaufnahme, in die auch sein Amtskollege an der nahen Oberschule einfällt. Dort sieht es in vielen Punkten ähnlich aus: 20 Lehrer stehen Nir Bahadur Karki für 700 Schüler zur Verfügung. In seinem Fall sind nur 14 regulär angestellt, sechs aus eigenen Ressourcen finanziert. Der Wiederaufbau mag demnächst erfolgreich abgeschlossen sein – doch etliche Probleme, nicht nur an den Schulen, bleiben ungelöst.
Bis heute stehen auch in Ramechhap so einige der Notunterkünfte, manche davon bis vor Kurzem noch bewohnt. Doch steht daneben nun zumeist bereits das neue Haus – diesmal in erdbebensicherer Bauweise.