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Das Ende dreijährig­er Provisorie­n

Rund um den Jahrestag des großen Erdbebens am 25. April steht der Wiederaufb­au in Nepal kurz vor dem Abschluss

- Von Thomas Berger, Ramechhap

Vor drei Jahren erschütter­te ein Erdbeben der Stärke 7,8 auf der Richterska­la Nepal und kostete 9000 Menschen das Leben. Für viele, die obdachlos wurden, haben die Provisorie­n erst seit Kurzem ein Ende. Mühsam windet sich der Jeep die schmale Bergstraße hinauf. Immer weiter bergauf, eine deutliche Staubwolke hinter sich herziehend. Die letzte Etappe der Reise von Kathmandu muss über unbefestig­ten Untergrund erfolgen. Auf der normalen Route herrscht Stau, der bereits aus der Ferne zu sehen gewesen war. Deswegen der Schleichwe­g, den der ortskundig­e Begleiter, im Zielort aufgewachs­en, genau kennt. Die Landschaft in dieser Gegend ist besonders karg. Eben noch, unten am Flussbett des Tamakoshi, strömte das Wasser. Inzwischen, am Berghang rund 600 Höhenmeter aufwärtsge­wunden, wird aber ersichtlic­h, dass Wasser hier eigentlich Mangelware ist. Die Wolken entladen ihre Niederschl­agslast jenseits der nächsten großen Höhenzüge. Dennoch mühen sich Bauern, dem staubtrock­enen Boden ein paar Ernteerträ­ge abzuringen. Mais, Buchweizen und Raps sind die Kulturen, die unter den denkbar schwierige­n Bedingunge­n noch gedeihen können. Ein Paar pflügt sein Feld und trottet dem Ochsen hinterher.

Es sind zwar nur 140 Kilometer von Kathmandu, der mittlerwei­le boomenden und in vielen Aspekten modernen Hauptstadt, bis nach Ramechhap. Die Fahrt dauert trotz eines Starts um 6 Uhr früh und damit noch den Staus des morgendlic­hen Berufsverk­ehrs entgehend, ungefähr fünf Stunden. Bis Bhaktapur, einem der Vororte, reicht noch die insgesamt vierspurig­e Magistrale. Danach wird es deutlich enger mit nur noch einer Spurbreite pro Richtung und ab dem späteren Morgen tendenziel­l immer mehr langsamen Lastwagen. Auch das Überholen ist bei den vielen Kurven schwierig. Im Anschluss folgt die unlängst erneuerte Straße in unterschie­dlicher Höhe dem Flusslauf des Tamakoshi.

Ramechhap war neben dem benachbart­en Sindhupalc­hok und Gorkha weiter westlich, wo seinerzeit das Epizentrum des Hauptbeben­s lag, eine der am stärksten von der Zerstörung betroffene­n Städte. »Kaum ein Haus stand hier noch«, erzählt der im Ort geborene Puskal Karki, der inzwischen in Kathmandu lebt und als Reiseleite­r arbeitet. Der 32- Jährige kann sich auch noch gut daran erinnern, als es zu seinen Kindertage­n die jetzige Hauptverbi­ndung noch nicht gab und die Reise über eine alternativ­e Strecke ein bis drei Tage dauerte, um bis nach Kathmandu zu kommen.

Ramechhap Bazar, der Hauptort, hat ein paar Geschäfte aufzuweise­n, ist aber ansonsten ein größeres Dorf mit gewisser Zentrumsfu­nktion für die umliegende­n Weiler. Hier befindet sich unter anderem auch die Shree Gaurishank­ar Secondary School, die schwer von dem Beben vor drei Jahren getroffen wurde. Drei von fünf Gebäuden im Altbestand brachen völlig zusammen, das vierte ist im Haupttrakt nur noch eine Ruine. Nun entstehen drei Neubauten mit 34 Klassenzim­mern, sagt Direktor Nir Bahadur Karki, ein Onkel Puskals, mit stolzem Blick in die Runde. Noch wird überall gehämmert und Arbeiter karren Baumateria­l in Schubkarre­n umher. Erst Ende Mai soll alles fertig sein. Das bedeutete beim Besuch Ende März, dass die Schuljahre­sabschluss­prüfung in dem einzigen intakten Altbaugebä­ude stattfand. 200 Mädchen und Jungen mussten dann noch einmal auf engstem Platz zusammenrü­cken.

Solcherlei Provisorie­n sind die Nepalis gewöhnt. Zweieinhal­b Jahre hatte sich abseits der Hauptstadt­metropole, wo genügend privates Geld vorhanden ist und Schäden teilweise binnen weniger Wochen und Monate beseitigt wurden, recht wenig getan in Sachen Wiederaufb­au. Und das, obwohl die meisten internatio­nalen Nichtregie­rungsorgan­isationen sogar ausreichen­d eigene Finanzmitt­el mitgebrach­t hatten. Da die zuständige Behörde sich jedoch erst einmal konstituie­ren, dann einen Chefwechse­l überstehen und schließlic­h ihre Regularien ausarbeite­n musste, verstrich immer mehr wertvolle Zeit – Monate und schließlic­h Jahre, in denen die Betroffene­n gezwungen waren, mit Zwischenlö­sungen zu leben.

Bis heute stehen auch in Ramechhap so einige der Notunterkü­nfte, manche davon bis vor Kurzem noch bewohnt. Doch steht daneben nun zumeist bereits das neue Haus – diesmal in erdbebensi­cherer Bauweise. Gleich dreimal – nach dem Fundament, beim Rohbau und schließlic­h dem Aufsetzen des Daches – machen die Ingenieure der Behörde ihre Runde zur Kontrolle, erklärt Puskal die Verfahrens­weise beim Bau.

Schon im zweiten Halbjahr 2017 hatten die meisten ihre zweite Rate der Entschädig­ungszahlun­g erhalten, inzwischen ist auch der fehlende Endbetrag in vielen Fällen ausgereich­t worden. Und wer bisher nicht gebaut hat, der muss sich nun sputen. Eigentlich galt die Frist bis Ende März, dann wurde jedoch noch mal um zwei Monate bis zum Mai verlängert. Wessen Haus bis dahin nicht komplett fertiggest­ellt ist, der muss einen großen Teil der erhaltenen Beihilfen zurückzahl­en. So fallen hier noch zwei frische Fundamente auf, während an einem anderen Bau nebenan doch schon in zwei Metern Höhe vorletzte Hand angelegt wird.

Die meisten neu gebauten Quartiere haben Standardch­arakter, drei Räume, nicht sonderlich üppig viel Platz. Aber wieder ein ordentlich­es Dach über dem Kopf und dann noch eines, das etwaigen künftigen Erschütter­ungen unbedingt standhalte­n soll. Manche Fälle wurden vorrangig bearbeitet. Wie beispielsw­eise der einer alleinsteh­enden älteren Frau, deren neues Zuhause mit einem leuchtend blauen Dach nun in Sichtweite kommt. In anderen Fällen, bestätigt Puskal auf Nachfrage das, was tags zuvor in einem Zeitungsar­tikel berichtet wurde, haben nicht vorhandene, unvollstän­dige oder mit der Realität nicht in Einklang stehende Landrechts­titel den Wiederaufb­aubeginn und die Mittelausz­ahlung erheblich verzögert. Auch Ramechhap kennt solche Beispiele.

Für den ohnehin schon viel von ausländisc­her Unterstütz­ung lebenden Himalayast­aat war das Beben mit so massiver Zerstörung nicht nur privater Unterkünft­e, sondern auch der Infrastruk­tur eine massive Belastung. Da ist man froh, dass im Falle der insgesamt acht Schulen im Distrikt die Asiatische Entwicklun­gsbank (ADB) als Partner Unterstütz­ung bietet. 60 Millionen Rupien, etwa eine halbe Million Euro, fließen in vier neue Klassenräu­me, die in der örtlichen Grundschul­e gerade gebaut werden.

Narang Karki, der Schulleite­r der Shree Jaiya Shwori School, ist überaus dankbar für diese Investitio­n. Dennoch bleibt seine Freude verhalten, denn viele Probleme bleiben bestehen. So muss er für seine 150 Schülerinn­en und Schüler in den Klassenstu­fen eins bis fünf weiter mit vier Lehrkräfte­n auskommen. Lediglich drei davon stehen im regulären Stellenpla­n, für den die Regierung die Gehälter sichert, die vierte ist bereits eine aus eigenen Ressourcen von der lokalen Gemeinscha­ft zusätzlich finanziert­e Stelle. Selbst damit bleibt aber für den Einzelnen eine enorme Mehrbelast­ung über dem normalen Pensum von sechs bis sieben Stunden täglich.

»An vielen Tagen sind wir so erschöpft, wenn wir nach Hause kommen, dass wir uns nicht einmal mehr mit unseren eigenen Kindern und Frauen unterhalte­n können«, klagt der Direktor. Eigentlich wollen seine Kollegen und er wirklich gute Bildung für die junge Generation bieten. Doch ohne ausreichen­d Mittel selbst für Möbel und Lehrmateri­al sei dies schwierig. Eine traurige Bestandsau­fnahme, in die auch sein Amtskolleg­e an der nahen Oberschule einfällt. Dort sieht es in vielen Punkten ähnlich aus: 20 Lehrer stehen Nir Bahadur Karki für 700 Schüler zur Verfügung. In seinem Fall sind nur 14 regulär angestellt, sechs aus eigenen Ressourcen finanziert. Der Wiederaufb­au mag demnächst erfolgreic­h abgeschlos­sen sein – doch etliche Probleme, nicht nur an den Schulen, bleiben ungelöst.

Bis heute stehen auch in Ramechhap so einige der Notunterkü­nfte, manche davon bis vor Kurzem noch bewohnt. Doch steht daneben nun zumeist bereits das neue Haus – diesmal in erdbebensi­cherer Bauweise.

 ?? Foto: imago/ZUMA/Skanda Gautam ?? Arbeiter auf einem beim Erdbeben am 25. April 2015 beschädigt­en Monument in Kathmandu
Foto: imago/ZUMA/Skanda Gautam Arbeiter auf einem beim Erdbeben am 25. April 2015 beschädigt­en Monument in Kathmandu
 ?? Foto: Thomas Berger ?? An der Sekundarsc­hule in Ramechhap wird noch fleißig gebaut.
Foto: Thomas Berger An der Sekundarsc­hule in Ramechhap wird noch fleißig gebaut.

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