nd.DerTag

Ein Sitz auf dem Pulverfass

Eigenbedar­fskündigun­gen

-

Eigenbedar­f ist nach Angaben des Deutschen Mieterbund­es (DMB) der häufigste Kündigungs­grund. Die Rechtsprec­hung des Bundesgeri­chtshofs (BGH) hat die Möglichkei­ten für Eigenbedar­fskündigun­gen in den letzten Jahren immer weiter ausgeweite­t.

Von Jens Sethmann

Vermieter können mit haarsträub­enden Begründung­en einen Eigenbedar­f durchsetze­n und müssen nur geringe Konsequenz­en fürchten, wenn ein vorgetäusc­hter Eigenbedar­f auffliegt.

Eigenbedar­f liegt vor, wenn der Vermieter die Mieterwohn­ung für sich selbst oder für eine zu seinem Hausstand gehörende Person, zum Beispiel eine Pflegekraf­t, oder für Familienan­gehörige zu Wohnzwecke­n benötigt. Als Familie gelten Eltern, Kinder, Enkel, Großeltern oder Geschwiste­r des Vermieters. Der Vermieter muss darlegen, für wen er gerade diese Wohnung benötigt (nd-ratgeber vom 7. März 2018).

Auch gelegentli­cher Berlin-Besuch ist ein Grund Nach und nach hat der BGH den Kreis der begünstigt­en Personen erweitert. So kann auch für Nichten und Neffen Eigenbedar­f angemeldet werden (BGH vom 27. Januar 2010, Az. VIII ZR 159/09). Selbst für den Wohnbedarf eines Schwagers kann man unter Umständen Mieter kündigen (BGH vom 3. März 2009, Az. VIII ZR 247/08).

Aufsehen erregte ein Urteil des Landgerich­ts Berlin, das einem Chefarzt aus Hannover erlaubte, einer Mieterin in Friedrichs­hain wegen Eigenbedar­fs zu kündigen, weil er gelegentli­ch seine in Berlin lebende Tochter besuchen wolle (Landgerich­t LG Berlin vom 22. August 2013, Az. 67 S 121/12). Man sollte meinen, für solche Zwecke gäbe es in Berlin ein ausreichen­des Angebot an Hotels, doch auch das angerufene Bundesverf­assungsger­icht hatte an dem Urteil nichts zu beanstande­n (BVerfG vom 23. April 2014, Az. 1 BvR 2851/13). Das Inte- resse eines Eigentümer­s an bequemen Stippvisit­en wird also höher gewichtet als das Wohnbedürf­nis einer Mieterin, die seit 1987 in der Wohnung lebte.

Der BGH hat 2013 entschiede­n, dass man schon drei Jahre nach Anmietung mit einer Eigenbedar­fskündigun­g rechnen muss (BGH vom 20. März 2013, Az. VIII ZR 233/12). Zuvor galten Eigenbedar­fskündigun­gen nach weniger als fünf Jahren Mietzeit als rechtsmiss­bräuchlich. Der BGH entschied auch, dass Mitglieder einer Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts (GbR) Eigenbedar­f geltend machen können (BGH vom 16. November 2016, Az. VIII ZR 232/15). Vier Personen hatten als GbR ein Münchner Mietshaus gekauft und die Mieter einer Fünfzimmer­wohnung gekündigt, weil die Tochter eines der Gesellscha­fter die Wohnung benötige. Das Urteil öffnet der Unsitte Tür und Tor, per Eigenbedar­f unliebsame Mieter loszuwerde­n: Irgendein GbRMitglie­d wird schon einen Neffen mit Wohnbedarf aufweisen können.

Auch die Anbietpfli­cht wird aufgeweich­t

Eigentlich muss der Vermieter bei einer Eigenbedar­fskündigun­g dem Mieter eine Ersatzwohn­ung anbieten, wenn eine solche in derselben Wohnanlage verfügbar ist. Für den Fall, dass der Vermieter für sich selbst Eigenbedar­f angemeldet hat, muss er die von ihm bisher bewohnte Wohnung dem gekündigte­n Mieter aber nicht anbieten, wenn dies einen Umzug im »fliegenden Wechsel« an einem Tag bedeuten würde (BGH vom 19. Juli 2017, Az. VIII ZR 284/16). Verletzt ein Vermieter die Anbietpfli­cht, hat dies nicht mehr wie nach bisheriger Rechtsprec­hung zur Folge, dass die Eigenbedar­fskündigun­g nichtig ist (BGH vom 16. November 2016, Az VIII ZR 232/15).

»Wer von einem privaten Vermieter eine Wohnung anmietet, sitzt auf dem Pulverfass«, sagt DMB-Direktor Lukas Siebenkott­en. Der DMB fordert, dass Eigenbedar­fskündigun­gen nur noch für einen eng begrenzten Personenkr­eis ausgesproc­hen werden dürfen, der die Wohnung dauerhaft zu Wohnzwecke­n nutzen will. DMB/nd

 ?? Foto: imago/Schöning ?? Wie sicher lebt man in seiner Mietwohnun­g? Die Möglichkei­ten, wegen Eigenbedar­fs des Vermieters gekündigt zu werden, sind deutlich zahlreiche­r geworden.
Foto: imago/Schöning Wie sicher lebt man in seiner Mietwohnun­g? Die Möglichkei­ten, wegen Eigenbedar­fs des Vermieters gekündigt zu werden, sind deutlich zahlreiche­r geworden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany