nd.DerTag

Eine Legende

Folge 136 der nd-Serie »Ostkurve«: Joachim Streich über den Aufstieg des FCM und seine Zeit als erster DDR-Trainer in der 2. Bundesliga

- Foto: imago/Picture Point

DDR-Rekordfußb­aller Joachim Streich ist bei jedem Spiel des 1. FC Magdeburg dabei. Den sieht er bestens aufgestell­t für die Zweite Bundesliga.

Also, diese Frage erübrigt sich! Meine Frau und ich waren im Stadion.

Sind Sie nur zu dieser Gelegenhei­t hingegange­n?

Nein, nein. Ich habe vielleicht ein Heimspiel verpasst, aber sonst bin ich immer da gewesen. Ich hab vom FCM eine Karte fürs ganze Jahr.

Wie war’s am Samstag für Sie?

So gut wie in den vergangene­n Heimspiele­n auch: Die Mannschaft wird unterstütz­t und nach vorn getrieben. Da hatte man gar nicht das Gefühl, dass dies jetzt das entscheide­nde Spiel für den Aufstieg in die zweite Liga sein soll. Die Stimmung war so wie immer: genial. Nur die letzte Minute standen die Fans praktisch schon um die Spielfeldm­arkierung herum und haben auf den Pfiff gewartet.

Ein großer Moment.

Ja, ein Gänsehautm­oment, weil man sehr lange gebraucht hat – fast 20 Jahre – um wieder in diesen Profiberei­ch zu kommen. Den Spielern, aber auch den Fans war anzusehen, wie erleichter­t alle waren. Geschafft! Die Freude war riesig.

Waren Sie auch auf dem Rasen? Nein (lacht). Aus unserem Block, wo sehr viele ehemalige Spieler sitzen, ist ist keiner auf den Rasen. Wir waren da lange genug drauf. Diese Aufmerksam­keit gehört der jetzigen Ge- Joachim Streich hat in dieser Saison nur ein Heimspiel des 1. FC Magdeburg verpasst. Die Stadt hat der gebürtige Wismarer auch lieben gelernt. 1975 wechselte der Stürmer von Hansa Rostock zum FCM – und wurde zur Legende. Mit 229 Treffern ist er der ewige Torschütze­nkönig der Oberliga und mit 102 Länderspie­len Rekordnati­onalspiele­r der DDR. Mit

Jirka Grahl sprach der 67-Jährige über den jetzigen Aufstieg des FCM, warum er einst gar nicht nach Magdeburg wollte und wie er 1990 erster Osttrainer im Westen wurde. neration und nicht der alten. Aber man ist noch eine Zeit im Stadion geblieben und hat sich mitgefreut.

Sind Sie schon dazu gekommen, zu gratuliere­n: dem Trainer, dem Präsidente­n, den Spielern?

Das war nicht möglich und, wie gesagt, auch gar nicht gewollt. Die Akteure sollen diesen Erfolg genießen. Es wird sich sicherlich bald die Gelegenhei­t zum Gratuliere­n ergeben.

Was war Ihr großer Gänsehautm­oment mit dem 1. FC Magdeburg? Nun, aufsteigen konnten wir ja nicht, wir haben immer 1. Liga gespielt. Nie vergessen werde ich wohl das Spiel gegen den FC Barcelona mit Maradona 1983, obwohl das 1:5 die höchste Niederlage für den FCM war.

Wieso?

Barcelona war damals schon eine der populärste­n Mannschaft­en Europas – dazu noch mit Superstar Maradona. Und viele gute andere Fußballer, die aber hinter Maradona verblasste­n, so wie heute hinter Messi in Barcelona.

Hat Maradona das Geschehen auf dem Platz so sehr beherrscht?

Es waren zwei: Maradona und Bernd Schuster. Diese beiden, dieses Zusammensp­iel, dieses blinde Verstehen! Letztendli­ch haben diese zwei Spieler uns auseinande­rgenommen wie eine Weihnachts­gans.

1975 kamen Sie vom abgestiege­nen F.C. Hansa Rostock zum 1. FC Magdeburg. Sie wollten eigentlich woanders hin, oder?

Ja. Wir hatten mit der Nationalma­nnschaft sehr oft Lehrgänge in Jena, so lernte ich Trainer Hans Meyer kennen, der mich schließlic­h zum FC Carl Zeiss holen wollte. Das passte gut – eine Spitzenman­nschaft, die Europapoka­l spielte. Es war zudem ein sehr lukratives Angebot. Ich wollte da hin.

Was war ein lukratives Angebot zu damaliger Zeit? Ungefähr?

Ich weiß nicht so genau, was damals viel war. Andere werden vielleicht mehr gekriegt haben, ich hätte von Jena für den Wechsel 5000 Mark bekommen. Und die ersten fünf Tore wären noch mal extra zur Mannschaft­sprämie honoriert worden. Für mich war das viel. In Rostock gab es nichts dergleiche­n. Aus dem Wechsel nach Jena wurde dennoch nichts. Warum?

Ich musste dann nach Berlin zum damaligen Verbandsch­ef Günter Schneider, der zerriss die Anmeldung und sagte: »Du gehst nach Magdeburg, Schluss aus!« Sportlich hatte ich ja den Wunsch, internatio­nal zu spielen, und das war dort auch gegeben. So sind wir eben nach Magdeburg gezogen.

Und Sie haben es nicht bereut? Nein, ich kannte einen Großteil der Spieler aus der Nationalma­nnschaft, wir waren ja ’72 bei der Olympiade, und ’74 bei der WM zusammen.

Und finanziell?

Außer ein höheres Grundgehal­t war es in Magdeburg nicht viel anders als in Rostock. Sportlich herrschte ein anderes Niveau, im Training und na- türlich auch in den Europapoka­lspielen. So habe ich dann meine zehn Jahre als Spieler in Magdeburg bestritten und bin 1985 gleich noch Cheftraine­r geworden – ungewollt.

Wieso ungewollt?

Ich hatte ein Sportlehre­rstudium absolviert und wollte als Nachwuchst­rainer arbeiten. Raus aus dem Licht der Öffentlich­keit! Europacup, Meistersch­aft, Nationalma­nnschaft – immer war man auf dem Präsentier­teller. Doch dann kam dieser Anruf: Ich musste in die Bezirkslei­tung, wo man mir mitteilte, dass ich Cheftraine­r werden würde. 1985 war das. Und ich kam nicht aus der Nummer raus.

Wurde es eine gute Zeit?

Es war eine gute Zeit wenn man so zurückblic­kt, obwohl das erste Jahr mehr als holprig war. Aber nächste Saison erreichten wir den UEFA-Cup.

1990 wurden Sie der erste Osttrainer in der Bundesliga – beim Zweitligis­ten Braunschwe­ig.

In der Oberliga herrschte große Unsicherhe­it, also nahm ich das Angebot an. Es war ein Unterschie­d wie Tag und Nacht. In Magdeburg war das Team eine Einheit. Gute Leute, Nationalsp­ieler dabei. In Braunschwe­ig dachten manche, sie seien reif für die erste Liga, waren aber, jetzt bin ich höflich, nicht mehr als Durchschni­tt.

Was raten Sie FCM-Trainer Jens Härtel für die zweite Liga?

Der FCM ist in sehr guten Händen, was Präsidium und sportliche Leitung anbetrifft. Ich werde mich hüten, denen da reinzurede­n.

 ?? Foto: imago/Picture Point ??
Foto: imago/Picture Point
 ?? Foto: imago/Kruczynski ?? Typisch Torjäger: Joachim Streich (r.), hier im Oberligasp­iel bei Wismut Aue, schoss von 1975 bis 1985 für den 1. FC Magdeburg 171 Tore.
Foto: imago/Kruczynski Typisch Torjäger: Joachim Streich (r.), hier im Oberligasp­iel bei Wismut Aue, schoss von 1975 bis 1985 für den 1. FC Magdeburg 171 Tore.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany