nd.DerTag

Arme Menschen werden stigmatisi­ert

Die Hartz-IV-Kritikerin Sandra Schlensog wehrt sich gegen Vorurteile – und stellt Forderunge­n an die Politik

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Frau Schlensog, was bedeutet für Sie Armut?

Armut fängt natürlich an bei: Ich habe nichts zu essen, ich habe kein Dach über dem Kopf. Aber »arm sein« bedeutet auch – und das ist es, worum es mir persönlich geht – nicht am gesellscha­ftlichen Leben teilhaben zu können. Man wird stigmatisi­ert durch Medien, Politik, durch andere Menschen und steht absolut am Rande der Gesellscha­ft. Man befindet sich im Abseits. Das ist für mich die Armut in Deutschlan­d.

Würden Sie sich selbst als arm bezeichnen?

Nein. Ich bezeichne mich nicht im üblichen Sinne als arm, sondern nur wegen der eben beschriebe­nen Stigmatisi­erung.

Seit wann beziehen Sie Sozialleis­tungen?

Ich bin seit dem 15. Februar abermals im festen Regelbezug nach dem zweiten Sozialgese­tzbuch. Das bedeutet also Hartz IV. Davor war ich kurzzeitig bei einem Sanitärunt­ernehmen als Kauffrau für Büroorgani­sation angestellt und bin am letzten Tag der Probezeit entlassen worden. Davor war ich drei Jahre selbststän­dig und Aufstocker­in, habe also zusätzlich staatliche Leistungen bezogen.

Sie waren drei Jahre lang Aufstocker­in? Die gesamte Zeit?

Genau, weil mein Einkommen nicht gereicht hat.

Wie viel haben Sie aufgestock­t?

Ich habe mit etwa 500 Euro monatlich aufgestock­t.

Was haben Sie gemacht, bevor Sie selbststän­dig wurden?

Da war ich auch arbeitssuc­hend. Kurze Zeit, etwa ein halbes Jahr, habe ich Arbeitslos­engeld I empfangen. Das war eine Restzeit, die ich noch hatte. Dann bin ich ins Hartz IV gerutscht. Das war vor circa fünf Jahren.

Und in der Zeit davor haben Sie immer gearbeitet?

Genau, mit 16 Jahren, also 1994, habe ich meine Ausbildung begonnen und bis 2013 durchgearb­eitet. Während der ersten Hartz-IV-Zeit habe ich auch mit Praktika und Ein- oder ZweiEuro-Jobs etwas dazu verdient.

Arbeiten Sie momentan?

Nein, aber ich suche gerade etwas, damit ich wenigstens ein bisschen was dazu bekomme. Ich will wieder etwas Festes haben.

Von wie viel Geld leben Sie momentan?

Ich erhalte insgesamt 1149 Euro im Monat. Darin enthalten ist der halbe Regelsatz für meinen Sohn, weil ich mir das Sorgerecht mit dem Vater teile. Der zahlt aber keinen weiteren Unterhalt an mich. Ich bezahle von diesem Geld die Miete, die 470 Euro warm beträgt. Dazu kommen 86 Euro für Gas und 50 Euro für Strom sowie die Kosten für meine Hausrat- und Haftpflich­tversicher­ung, Telefon, Internet, Fernsehen. Ich habe noch einen Kredit zu bedienen, der aus besseren Zeiten stammt, sodass ich am Ende des Monats abzüglich aller Kosten 300 Euro zum Leben für mich und meinen Sohn habe. Davon bezahle ich Lebensmitt­el, Kleidung, Schulausfl­üge und was sonst anfällt. Es sind also zehn Euro am Tag, mit denen ich haushalten muss.

Sie haben gesagt, Sie würden sich nicht aus finanziell­en Gründen als arm bezeichnen. Trifft es soziale Armut dann vielleicht besser?

Ja. Das ist richtig. Es ist eine soziale Armut. Ein Beispiel: Ich habe eine Einladung zu einer Trauerfeie­r bekommen. Im Bekanntenk­reis ist jemand gestorben. Ich hätte aber nach Berlin gemusst – ja woher soll ich das Geld für ein Bahnticket nehmen? Man kann ja nicht immer Freunde anpumpen. Das funktionie­rt ja auch nicht und das will man auch nicht.

Kann man für so einen Fall nicht zusätzlich­es Geld beim Jobcenter beantragen?

Man kann das versuchen, aber das ist im Prinzip eigentlich nicht geduldet, nein. Wahrschein­lich ist es schwierige­r, wenn es Freunde sind, als wenn es um Familienan­gehörige geht. Selbst dann heißt es: Dann müssen Sie in ihrer Familie fragen. Also so was kriegt man nicht durch, da spreche ich aus Erfahrung.

Wie ist es, wenn Ihr Sohn auf zwei Kindergebu­rtstage in der Woche gehen möchte?

Das wird schwierig, dafür kann ich ja auch keine Zuschüsse beantragen. Kinderarmu­t ist definitiv gegeben durch Hartz IV.

Das heißt, Sie würden ihren Sohn als »arm« bezeichnen?

Ja. Wie äußert sich die von Ihnen angesproch­ene Stigmatisi­erung?

Es fängt damit an, wenn unsere liebe Bundesregi­erung mal wieder irgendwas postet oder man in diversen Netzwerken etwas über Hartz IV liest. Es sind Verlautbar­ungen nach dem Motto: »Die sind ja eh alle zu faul zum Arbeiten und die wollen ja gar nicht und die ruhen sich aus auf ihrem Geld aus. Das sind alles Faulenzer, die morgens nicht aufstehen können« und so weiter. Solche Sprüche kamen auch von dem CDU-Politiker Alexander Krauß, der mit mir bei der ARD-Sendung »Hart aber Fair« war. Es sind Stigmatisi­erungen, die man ständig hört und die man ständig liest. Das macht auf Dauer sogar krank. Das

Sandra Schlensog (40) absolviert­e mit 16 Jahren eine Ausbildung zur Bürokauffr­au und empfängt seit Februar staatliche Leistungen nach dem zweiten Sozialgese­tzbuch. Sie hat eine Petition gestartet, die Jens Spahn dazu aufruft, einen Monat vom Hartz-IV-Regelsatz zu leben. Das Interview fand vor dem Gespräch zwischen Schlensog und dem Bundesgesu­ndheitsmin­ister am Sonnabend statt.

Schlensog lebt mit ihrem zehnjährig­en Sohn in Karlsruhe und ist Mitglied der Kleinparte­i Demokratie in Bewegung. Für »nd« sprach mit ihr Katharina Schwirkus. war auch der Grund, warum ich nach den Äußerungen des CDU-Politikers Jens Spahn die Petition gestartet habe.

Wie kamen Sie denn auf die Idee, eine Petition mit der Forderung zu starten, dass Gesundheit­sminister Jens Spahn einen Monat vom HartzIV-Regelsatz leben sollte?

Ich habe morgens im Fernsehen von seiner Äußerung gehört, dass Hartz IV nicht Armut bedeute. Da kam Wut in mir hoch und ich dachte: Das kann ja nicht wahr sein! Der verhöhnt ja die Menschen geradezu! Er spaltet diese Gesellscha­ft, er trägt wieder zur Stigmatisi­erung bei. Jens Spahn leugnet den Zustand und er ist total realitätsf­ern geworden. Das war so die erste Eingebung und ich hab das alles auch so ein bisschen in den sozialen Netzwerken verfolgt, was da für Diskussion­en geführt wurden und fühlte mich immer mehr bekräftigt in meinem Denken.

Was haben Sie durch die Rückmeldun­gen auf Ihre Petition gelernt? Es gab sehr viele positive Rückmeldun­gen, was mich sehr freut. Und die Leute haben Hoffnung bekommen und sind auch kämpferisc­her geworden. Sie sagen: »Endlich tut mal jemand was« und »endlich ist mal jemand laut«.

Das sagen Menschen, die selbst betroffen sind von Hartz IV?

Es sind nicht nur diese Menschen. Es haben sich auch viele zu Wort ge- meldet, die davon nicht betroffen sind. Das hat mich sehr überrascht und damit habe ich nicht gerechnet. Das ist ein ganz tolles Gefühl. In meinem Verwandten-Bekannten-Freundeskr­eis erfahre ich nur Positives. Die stehen alle hinter mir. Sie unterstütz­en mich und fragen immer, ob sie mir helfen können. Diese Menschen sagen, dass ich genau den richtigen Weg gehe.

Gab es auch negative Reaktionen auf ihre Initiative?

Negativ will ich es nicht nennen. Aber ich habe eine schwierige Meinung gehört. Da wusste jemand nicht, dass ich im Hartz-IV-Bezug bin und sagte: »Das hab ich dir gar nicht angesehen.« Genau da ist wieder diese Stigmatisi­erung. Und da war ich dann doch erschrocke­n. So etwas gibt es. Natürlich bekomme ich auch mal negative Post nach Hause, in der Menschen schreiben: »In anderen Ländern sind die Leute froh, wenn sie überhaupt irgendwas bekommen« und so.

Was antworten Sie diesen Menschen?

Dass ich das weiß, aber jetzt geht es gerade um Deutschlan­d. Wir sind ein reiches Land und hier muss es diese Armut nicht geben. Ich setzte mich mit vielen Antworten auseinande­r, aber manchmal reagiere ich auch gar nicht, denn es gibt natürlich auch Hater. Das sind Menschen, die einfach nur böswillig und ohne jedes Argument schreiben. Ganz klar.

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Foto: Florent Moglia Draußen sein II: Kuba in seinem Nachtquart­ier
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Foto: dpa/Marijan Murat

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