Die Last mit der Arbeit
Alleinerziehende schuften ähnlich viel wie Manager, leben aber mit einem hohen Armutsrisiko
Berlin ist die Hauptstadt der Minifamilien. In einem Drittel der Haushalte leben Kinder nur mit einem Elternteil. Davon sind rund 40 Prozent auf Hartz IV angewiesen. Betroffen sind vor allem Frauen. Sofie R. ist alleinerziehend und hat drei Kinder. Ihre 41 Jahre sieht man ihr kaum an: kurzer Zopf, ein dreijähriges Mädchen auf dem Arm, um sie herum toben zwei Achtjährige. Sie wirkt wie eine zu kurz gekommene ältere Schwester, mädchenhaft. Klingt wie ein Kompliment, ist aber auch ein Manko: im Gespräch mit Erziehern, Jugendämtern und anderen Eltern bekommt sie das Besserwissertum oft zu spüren. Dabei ist sie eine Frau, die viel durchgestanden hat. Eine besonnene Abenteuerin, die Nordamerikanistik und Publizistik studierte, Studentensprecherin war, durch Mexiko wanderte auf Recherchetour, in Venezuela noch als Stipendiatin den Lehrstuhl Germanistik neu aufbaute und – zurück in Berlin die Band des Vaters ihrer Kinder organisierte, von dem sie sich aus guten Gründen schließlich getrennt hat.
Allein Verantwortung übernehmen, unbequeme, gar lebenswichtige Entscheidungen zu treffen, zeugt von Führungsqualität. Ans Anknüpfen an die Karriere, die so vielversprechend begann, ist jedoch auf Jahre hinweg nicht zu denken, abgesehen davon, dass ihre frühere Tätigkeit in der Uni eine Leitungsposition war, jedoch als Stipendium kaum bezahlt wurde und nicht einmal für die Rente zählt. »Solche Einstiegs-Positionen zahlen sich nur aus, wenn man dran bleibt!«
Sofies Potenzial bleibt deshalb unausgeschöpft. Mit den Kindern kam auch die Armut. Bereits im Wochenbett eine Räumungsklage wegen Eigenbedarf im Briefkasten, zwischen Gerichtsterminen, Kämpfen mit dem Arbeitsamt, weil die neue Wohnung ein bisschen zu teurer ist, Mediationsterminen mit ihrem ExPartner, Ergotherapie, Kindergartenverbindlichkeiten und Rechtfertigungen (»Wenn man zu spät kommt, machen die dicht!«), ist eine Erwerbstätigkeit kaum zu schaffen.
»Alleinerziehende wuppen alles, sind multitaskingfähig, im spontanen Reagieren auf Unvorhergesehenes sind sie topfit! Die könnten mit links jeden Top-Manager-Job übernehmen. Tun sie aber nicht. Die werden zuhause dringender gebraucht. So überlassen sie es dann den Männern, die Welt zu retten«, sagt Sofie lächelnd. Arbeiten könne sie später noch, wenn die Kinder größer seien, denn die bräuchten sie jetzt dringender. Sie klingt gelassen – aber der Gedanke an tadelnde Blicke von anderen Müttern, weil die Zeit nicht mehr dafür gereicht hat, den Anorak der Tochter vom Matsch des Waldausflugs sauber zu waschen, lassen ihre Stimme zuweilen dann doch leicht zittern.
Bettina G. wirkt bodenständiger. Sie arbeitet 30 Stunden pro Woche in der Altenpflege. Ein ebenso verant- Sofie R.
wortungsvoller Job wie das Alleinerziehen – unterm Strich bleiben ihr 1000 Euro im Monat übrig. Beim Arbeitsamt kann sie aufstockend ALG II beantragen – ein umständlicher Akt, bei dem sie jede Lohnabrechnung einreichen muss. »Das ist wie ’ne monatliche Steuererklärung plus Nachweise und Rechtfertigung. Und wenn du Pech hast, verschlampt das Amt noch deine Quittungen, die dir dann für das Finanzamt fehlen!« Leichter wäre es, gar nicht zu arbeiten und »die Beine hochlegen«, sagt sie achselzuckend, »aber nicht arbeiten gehen ist ein No-Go!«
Der Berliner Senat versucht, Alleinerziehende in der Arbeitswelt zu stärken, besonders in den Bezirken Marzahn und Lichtenberg, in denen die meisten Alleinerziehenden leben. Für erweiterte und flexiblere Kinderbetreuung über die Kernbetreuungszeit in den Kitas bzw. in der Tagespflege hinaus* gab der Senat seit Herbst vergangenen Jahres knapp 450 000 Euro aus. 50 Familien mit nur einem Elternteil profitierten davon, die Mehrheit weiß nicht einmal von dieser Option.
Alleinerziehende sind in Berlin eine Minderheit – aber eine beachtlich große. Laut Statistischem Landesamt leben in einem Drittel der Familien Kinder nur mit einem Elternteil. Das Armutsrisiko ist hoch. Nach Angeben des Landesverbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) sind rund 40 Prozent der Minifamilien auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) angewiesen. Der Weg zurück in den Job ist für viele Betroffene schwer. Michael Grunst (Linkspartei), Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, will vor allem jene Alleinerziehenden stärken, die keine Ausbildung haben. Bis 2020 soll das Jobcenter mindestens 200 von ihnen durch eine Berufsausbildung oder Weiterbildung für den Arbeitsmarkt vorbereiten. Ein Tropfen auf den heißen Stein, denn allein in Lichtenberg zählt die amtliche Statistik 20 507 Alleinerziehende. Grunst sieht deshalb auch den rot-rot-grünen Senat in der Pflicht. In Marzahn und in Lichtenberg gebe es Netzwerke und Initiativen für Alleinerziehende, die praxistaugliche Ideen entwickelt hätten, »da brauchen wir als Bezirksamt eigentlich nur noch die Gelder vom Senat, um die Vorschläge umzusetzen!«
Sofie R. bleibt skeptisch. Mehr als zwei Tage in der Woche zu arbeiten funktioniere zurzeit für sie nicht. »Das Problem ist, dass viele Arbeitgeber sagen: Entweder ganz oder gar nicht. Es gibt zu wenig Stellen, die man sich mit jemand teilen kann«. Viele Betriebe kalkulierten einfach nicht ein, dass Alleinerziehende häufiger als Elternpaare ausfallen, weil sie sich etwa um kranke Kinder kümmern müssten. Diese prophylaktische Sorge zeugt jedoch von mütterlichem Denken zum Wohle aller – im Gegensatz zur oft anzutreffenden karriereorientierten Selbstüberschätzung eigentlich kein schlechtes Einstellungskriterium.
»Alleinerziehende wuppen alles, sind multitaskingfähig, im spontanen Reagieren auf Unvorhergesehenes sind sie topfit! Die könnten mit links jeden Top-Manager-Job übernehmen.
* Mehr Infos bei SHIA e.V. Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender, Rudolf-Schwarz-Straße 31, 10407 Berlin,
Telefon: (030) 42 80 09 01