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Im Kiez geblieben

Den linken öffentlich geförderte­n Beschäftig­ungssektor gibt es längst nicht mehr, die Stadtteilm­ütter sind noch da

- Von Maria Jordan

Ein Weg aus der Arbeitslos­igkeit und gleichzeit­ig gut für das Gemeinwohl: Stadtteilm­ütter waren Teil des Öffentlich geförderte­n Beschäftig­ungssektor­s (ÖBS) – und sind jetzt eins der wenigen Überbleibs­el. Als Iqbal Al Briefkhani nach Berlin kommt, steht sie vor dem Nichts. Im Jahr 1997 war das, bereits damals toben in ihrem Heimatland Irak kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen. Allein mit ihren vier Kindern steht sie vor dem Nichts. Der Asylantrag der Familie wird abgelehnt – immer wieder. Fast elf Jahre lang lebt die Familie nur mit einer Duldung in Berlin.

Doch ein Duldungsst­atus reicht nicht aus, um in Deutschlan­d arbeiten zu können. Al Briefkhani ist gezwungen, Hausfrau zu bleiben. Dabei hat die damals 40-Jährige in Bagdad Statistik studiert und 15 Jahre lang bei einer Bank gearbeitet. »Hier konnte ich nichts machen«, erzählt die rothaarige Frau mit wachen Augen. Eines Tages erfährt Al Briefkhani im Elterncafé an der Schule ihres Sohnes von der Ausbildung zur Stadtteilm­utter. Obwohl klar war, dass sie auch nach dieser Ausbildung keine Arbeitserl­aubnis haben wird, entschließ­t sie sich zu dem sechsmonat­igen Qualifizie­rungskurs. »Ich musste raus«, sagt sie. Eine andere Perspektiv­e hatte sie nicht.

Das war 2006, zehn Jahre nach der Ankunft in Deutschlan­d. Sprachkurs­e hatte sich Al Briefkhani in der Zwischenze­it selbst finanziert und bestanden. Doch der Kampf um den Aufenthalt­sstatus ging weiter. Mehrmals war die Familie von Abschiebun­g bedroht. Alle sechs Monate musste die Familie zur Ausländerb­ehörde. »Das war für uns entsetzlic­h«, sagt sie. Ohne den Aufenthalt­stitel durfte Al Briefkhani auch mit dem Zertifikat als Stadtteilm­utter nicht arbeiten.

Schließlic­h schrieb Neuköllns damaliger Bürgermeis­ter Heinz Buschkowsk­y (SPD) persönlich einen Brief an die Behörde, mit der Forderung, Al Briefkhani eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng zu erteilen, da sie einen Arbeitspla­tz in Aussicht habe. »Den Brief habe ich immer noch«, sagt Al Briefkhani lachend und legt die Hand aufs Herz. Nach fast elf Jahren, im Oktober 2007, bekommen sie und ihre Kinder endlich den Aufenthalt­stitel. Sie darf arbeiten – und fängt als Stadtteilm­utter in Neukölln an. Bei ihrer Arbeit begleitet Al Briefkhani andere zugewander­te Familien bei Behördengä­ngen, in Schulen, Kitas und zu Beratungss­tellen, fungiert als Sprachmitt­lerin und Integratio­nshelferin. Gleichzeit­ig ist es der Weg aus der Arbeitslos­igkeit. »Zum ersten Mal in Deutschlan­d habe ich ein Gehalt bekommen«, sagt sie strahlend.

Die Stadtteilm­ütter werden Teil des Öffentlich geförderte­n Beschäftig­ungssektor­s. Mit ihm schuf der rotrote Senat zwischen 2006 und 2011 rund 7500 sozialvers­icherungsp­flichtige Arbeitsplä­tze für Langzeiter­werbslose. Gleichzeit­ig sollten diese Menschen »sinnvolle Tätigkeite­n« ausüben, die dem Gemeinwohl zugutekomm­en.

Ein ähnliches Konzept hatte jüngst auch Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) mit seinem solidarisc­hen Grundeinko­mmen vorgeschla­gen. Darin sollen Arbeitslos­e gemeinnütz­liche Tätigkeite­n wie Müllbeseit­igung, Parkpflege oder Begleit- und Einkaufsdi­enste für Menschen mit Behinderun­g auf Mindestloh­nniveau nachgehen; aus Steuergeld­ern finanziert.

Drei Jahre lang arbeitet Al Briefkhani mit befristete­n Verträgen, immer für zwölf Monate. Mit dem Ende des ÖBS durch Rot-Schwarz 2011 wird sie arbeitslos. Zwei Jahre lang nimmt sie an Beschäftig­ungsmaßnah­men des Jobcenters teil, überlegt, sich selbststän­dig zu machen. »Aber das ist schwer«, sagt Al Briefkhani. Als Stadtteilm­utter kann sie nicht mehr arbeiten, ihre Qualifizie­rung ist keine staatlich anerkannte Ausbildung.

Doch 2013 bekommt sie unverhofft die Möglichkei­t, wieder als Stadtteilm­utter zu arbeiten. Über das »Integratio­nslotsenpr­ogramm« der Senatsverw­altung für Integratio­n werden zehn tariflich bezahlte Stellen für Stadtteilm­ütter geschaffen. Eine der zehn Stellen ist für Iqbal Al Briefkhani vorgesehen. Über das Programm ist sie seitdem auf dem ersten Arbeitsmar­kt angestellt, die Diakonie hat die Stadtteilm­ütter, obwohl so nicht im Regelprogr­amm vorgesehen, sogar entfristet. »Ich mache meine Arbeit gern«, sagt Al Briefkhani. Bis zur Rente will sie weitermach­en. Seit vergangene­m Jahr besitzt sie sogar die deutsche Staatsbürg­erschaft. »Nach 20 Jahren! Al-Hamdu lillah«, sagt sie – »Gott sei Dank« und schlägt die Hände zusammen.

Das Projekt Stadtteilm­ütter ist schon 2004 – unabhängig von ÖBS – im Neuköllner Schillerki­ez entstanden. Nach der Qualifizie­rung arbei- teten die Frauen auf Honorarbas­is. Von ihnen selbst kam die Initiative, Stadtteilm­ütter zum Vollzeitbe­ruf zu machen. Die Kooperatio­n mit den Jobcentern und die Angliederu­ng an den ÖBS machte dies zumindest teilweise möglich. Dennoch ist Stadtteilm­utter kein anerkannte­r Beruf. »Daraus eine staatlich anerkannte Ausbildung zu machen, macht natürlich nur Sinn, wenn dann später auch die Arbeitsste­llen da sind«, sagt Maria Macher, Projektlei­terin »Stadtteilm­ütter in Neukölln«. »Doch das ist zurzeit nicht wirklich gegeben. Wir kämpfen aber dafür.«

Seit April arbeiten Stadtteilm­ütter in zwölf Familienze­ntren in fester Anstellung. Dies ist Teil des rot-rot-grünen Koalitions­vertrags; aus dem Doppelhaus­halt 2018/2019 sind jährlich 350 000 Euro dafür vorgesehen. Von dem Geld sollen auch die Gehälter der Integratio­nshelferin­nen finanziert werden. »Wenn man das auf alle Familienze­ntren ausweitet, wäre das eine Möglichkei­t, einen festen Einsatzort für die Stadtteilm­ütter zu schaffen«, sagt Macher. »Und wenn diese Stellen dann da sind, wäre es sinnvoll, daraus eine staatlich anerkannte Ausbildung zu machen. Daran arbeiten wir.«

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Foto: Florent Moglia Draußen sein V: Ausblick aus Kubas Wohnung nach der Räumung

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