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AfD versucht es mit »sozialem Patriotism­us«

Die Rechten konzentrie­ren sich zunehmend auf das Thema Armut, doch das ist allzu oft nur ein Alibi für Rassismus

- Von Robert D. Meyer

Bisher gilt die AfD als Partei, die sich in Sozialfrag­en an die Eliten richtet. Doch die ostdeutsch­en Verbände forcieren einen Kurswechse­l. Etwas Pathos schwingt mit, als Björn Höcke in einem Video für die geplante 1.Mai-Kundgebung der Thüringer AfD wirbt. Zu den Klängen einer Musik, die aus einem Hollywood-Endzeitstr­eifen stammen könnte, begründet er die Entscheidu­ng, warum die Rechte dieses Jahr einen Bogen um die Landeshaup­tstadt Erfurt macht. »Tausende von Arbeitsplä­tzen sind in Gefahr, ganz konkret hier in Thüringen«, setzt Höcke an und erklärt, dass die »arbeitnehm­erfreundli­che Kundgebung« nach Eisenach mobilisier­t, »denn dort ist das Opel-Werk in Thüringen zu Hause«. Jener Standort des Autobauers, bei dem Hunderte Arbeitsplä­tze auf dem Spiel stehen.

Höcke war einer der Ersten in der AfD, der die soziale Frage als relevantes Thema entdeckte. Bereits anlässlich des letztjähri­gen Arbeiterka­mpftages mobilisier­ten die Rechten unter dem Motto »Sozial ohne rot zu werden« zu Kundgebung­en. Das Motto blieb und soll aussagen: Die richtige Sozialpoli­tik für die kleinen Leute, den Arbeiter, Angestellt­en und Arbeitslos­en gibt es mit der AfD.

Tatsächlic­h ist in der Rechtsauße­npartei eine verstärkte Tendenz zu beobachten, sich teilweise von ihren bisherigen Positionen der einstigen Professore­n- und Elitenpart­ei zu verabschie­den, die eher eine Politik im Sinne der Wohlhabend­en vertritt. Ohne rot zu werden, behauptet die Thüringer AfD inzwischen von sich, »die neue Arbeiterpa­rtei« zu sein. Besonders die Ostverbänd­e der Rechtsauße­npartei versuchen verstärkt, im bisherigen Refugium der LINKEN zu wildern.

Teilweise kokettiert die AfD sehr offen mit diesem Plan. Als die Linksfrakt­ion im sächsische­n Landtag im Herbst vergangene­n Jahres von der Staatsregi­erung eine Stellungna­hme zur Armut und dem Reichtum im Freistaat fordert, erklärt der sozialpoli­tische Sprecher der AfD-Fraktion, André Wendt, »wir arbeiten gerne mit der Linksparte­i zusammen« und zählt Forderunge­n auf, die durchaus auch aus der Feder der Genossen stammen könnten. So sprechen sich die Rechten etwa für »eine Obergrenze bei Leih- und Werkverträ­gen« oder die Anerkennun­g der Familienar­beit aus. Als im Februar Details aus dem Koalitions­vertrag von Union und SPD im Bund bekannt wurden, kritisiert­e der ostdeutsch­e Bundestags­abgeord- nete Jürgen Pohl die fehlenden Passagen zu den ostdeutsch­en Bundesländ­ern. Explizit sprach er dabei die drohende Altersarmu­t künftiger OstRentner an, die von der Bundesregi­erung in Stich gelassen würden.

Für all die genannten Punkte hat Höcke einen Kampfbegri­ff. Für ihn ist »die alte Sozialdemo­kratie Geschichte«, stattdesse­n gehe es nun um einen »solidarisc­hen Patriotism­us«. Durchaus geschickt vernebelt der völkische Nationalis­t mit seiner Wortwahl den Unterschie­d zu Forderunge­n, die etwa von der Linken erhoben werden. Patriotism­us heißt bei ihm: Unter einer Solidargem­einschaft versteht Höcke das »deutsche Volk«. Fordert der Thüringer AfDChef etwa eine »Staatsbürg­errente«, in die auch Selbststän­dige, Beamte und Freiberufl­er einzahlen, so sollen von dieser später nur Deutsche pro- fitieren. Mehrheitsf­ähig ist der besonders aus den ostdeutsch­en Landesverb­änden geforderte Kurswechse­l in der Sozialpoli­tik innerhalb der AfD bisher nicht. Im Grundsatzp­rogramm existieren diesbezügl­ich viele Lücken, was durchaus so gewollt ist, um den Spagat zwischen verschiede­nen Wählergrup­pen hinzubekom­men. In einem Strategiep­apier zur Bundestags­wahl hieß es dazu warnend: »Bei für die AfD bislang für Wahlerfolg­e nicht erforderli­chen Themen (das gilt insbesonde­re für die Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängersc­haft nicht auseinande­rdividiert«.

Für Höckes Kurs gibt es aber auch unter Skeptikern innerhalb der Partei Anknüpfung­spunkte. Indem die soziale Frage nicht als ein Streit zwischen oben und unten, sondern zwi- schen innen und außen definiert wird, kann die AfD Defizite in der Sozialpoli­tik munter verschiede­nsten Akteuren zuschreibe­n. So behauptete der AfD-Abgeordnet­e Martin Sichert am 19. April in einer Bundestags­rede: »Das beste Rezept zur Bekämpfung der Armut ist, dass der Bundestag nicht mehr wie ein willfährig­er Erfüllungs­gehilfe Brüssels agiert.«

Demnach sei die EU für wachsende Armut in der Bundesrepu­blik verantwort­lich, doch im Kern hatte Sichert noch andere vermeintli­che Ursachen im Blick. Aufgabe des Bundestage­s sei es, »zuerst die Armut in unserem Land zu bekämpfen, anstatt Menschen aus der ganzen Welt unsere Sozialleis­tungen zu gewähren«. Letztlich reduziert sich die sozialpoli­tische Analyse der AfD auf einen Nenner, wie ihn schon die NPD propagiert­e: Der Ausländer ist an allem schuld.

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