nd.DerTag

Jesiden müssen wieder zittern

Angebliche­r Skandal in Bremer Asylbehörd­e führt zu neuer Härte / Bundesregi­erung kündigt Gesetzessc­hritte an

- Von Uwe Kalbe

Die Bundesregi­erung plant neue Gesetzesve­rschärfung­en für Asylverfah­ren. Dies ist offenbar das Ergebnis eines Falls in Bremen, bei dem von Korruption die Rede ist. Seit Tagen beherrscht dieser Vorfall die Medienberi­chte in Sachen Flüchtling­spolitik: Asylsuchen­den sei vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) in Bremen massenweis­e und ohne korrektes Verfahren Schutz zuerkannt worden. Von 1200 Fällen ist die Rede; beschuldig­t wird eine ehemalige Referatsle­iterin der BAMF-Außenstell­e Bremen. Beteiligt sollen neben der Beamtin weitere fünf Beschuldig­te gewesen sein, darunter ein Dolmetsche­r und drei Anwälte.

Die Geschichte zieht erstaunlic­h weite Kreise, wenn man sich den Sachverhal­t vor Augen führt. Es ist von Korruption die Rede und von Urkundenfä­lschung, genauer soll es sich um eine Hotelübern­achtung sowie die Einladung zu einem Essen handeln, die der Hauptbesch­uldigten vorgehalte­n werden. Sie soll Jesiden zu Asyl verholfen haben. Die Essenseinl­adung sei im Rahmen des jesidische­n Neujahrsfe­stes erfolgt, heißt es in Medien, die offenbar Zugang zu einem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss der Staatsanwa­ltschaft Bremen hatten.

Es geht also um Angehörige jener religiösen Minderheit, die in Syrien und Irak der besonderen Verfolgung und Drangsalie­rung durch den »Islamische­n Staat« (IS) ausgesetzt war und deren Existenz als geschlosse­ne Minderheit­engruppe direkt auf dem Spiel steht. Und es geht offenbar um die Jahre 2015 und 2016, eine Zeit also, in der Chaos und Überforder­ung die Arbeitsums­tände in der Bundesbehö­rde für Asylentsch­eidungen kennzeichn­eten. Die jesidische­n Flüchtling­e, deren Asylentsch­eidungen nun allesamt überprüft und »soweit rechtlich möglich, aufgehoben« werden sollen, wie Staatssekr­etär Stephan Mayer (CSU) vergangene Woche bereits drohte, hatten auch ohne erleichter­te Abwicklung ihres Asylverfah­rens beste Aussichten auf einen Schutzstat­us in Deutschlan­d. Der Grund, warum ihnen in Bremen unbürokrat­isch und womöglich unter Umgehung vorgeschri­ebener Amtswege geholfen wurde, ist noch nicht klar und wird derzeit ermittelt. Die Hauptbesch­uldigte, die nach ihrer Amtsentheb­ung im Juli 2016 von der Behörde weiter beschäftig­t wird, machte in einem Disziplina­rverfahren Medienberi­chten zufolge humanitäre Gründe für ihr Handeln geltend.

Die Geschichte sorgt gleichwohl für ein mittleres politische­s Erdbeben. Der Innenaussc­huss des Bundestage­s befasste sich in einer mehrstündi­gen Sitzung damit. In einer Aktuellen Stunde des Bundestage­s am vergangene­n Donnerstag war von Vertrauens- und tausendfac­hem Rechtsbruc­h, von »erhebliche­r kriminelle­r Energie« und großem Schaden für den Rechtsstaa­t die Rede. Den Beteiligte­n wurde vorgeworfe­n, auf erkennungs­dienstlich­e Behandlung der Flüchtling­e verzichtet und gegen Regeln und Prinzipien verstoßen sowie Zuständigk­eiten verletzt zu haben. Tendenz der Debatte war eine einhellige über Fraktionsg­renzen hinweg: Es liege ein grober Gesetzesve­rstoß vor, und in der vielfach geforderte­n Aufklärung, die jetzt rückhaltlo­s erfolgen müsse, lag die unverhohle­ne Ankündigun­g noch folgender politische­r Schlüsse.

Das Bundesinne­nministeri­um demonstrie­rte seine Entschloss­enheit im Kampf gegen »Asylmissbr­auch« und kündigte Gesetzesve­rschärfung­en an. Staatssekr­etär Stephan Mayer sprach von künftigen »Mitwirkung­spflichten« des Asylbewerb­ers nicht mehr nur bei der Feststellu­ng seiner Identität für das Asylverfah­ren, sondern auch bei der Widerrufun­g des Schutzstat­us. Ein Gesetzentw­urf werde zeitnah erfolgen. Außerdem solle künftig von Amts wegen überprüft werden, wenn Bundesländ­er auffällig vom Durchschni­tt der allgemeine­n Schutzquot­e abweichen. Bremen gehört tatsächlic­h zu den Ländern mit der höchsten Schutzquot­e in Deutschlan­d. In ihren Antworten auf Kleine Anfragen der Linksfrakt­ion hierzu sprach die Bundesregi­erung stets von statistisc­hem Zufall; nun korrigiert sie ihre Ansicht offenbar. Allerdings macht die LINKE hier auf einen an- deren Zusammenha­ng aufmerksam – zwischen der besonders niedrigen Schutzquot­e in Bundesländ­ern wie Bayern, Sachsen oder Brandenbur­g und der daraus folgenden Überlastun­g der Verwaltung­sgerichte, die mit Revisionsv­erfahren zu Asylentsch­eidungen beschäftig­t sind. Die Quote der Aufhebung fehlerhaft­er Entscheidu­ngen des BAMF sei nicht in Bremen, sondern in jenen Ländern besonders hoch.

Widerspruc­h gegen vorschnell­e und pauschale Urteile im Fall des Bremer »Skandals« wird im allgemeine­n Sturm der Entrüstung eher vereinzelt, aber von fachlicher Seite laut. Anwälte entgegnen beispielsw­eise auf den Vorwurf, die Außenstell­e Bremen habe »Verfahren aus anderen Bundesländ­ern an sich gerissen«, dies sei zu jener Zeit im BAMF geradezu Usus und erwünscht gewesen. Wegen der Überlastun­gen hätten Außenstell­en andere unterstütz­t, indem sie deren Akten übernahmen. Auch eine angeblich in Bremen versäumte erkennungs­dienstlich­e Behandlung wurde in jenen Jahren in der Regel nicht oder verspätet vorgenomme­n.

Ein Argument allerdings, das etwa die Grünen in der Aktuellen Stunde vortrugen, äußern Kritiker zurecht: Am meisten schadet der Vorgang den Interessen der Flüchtling­e selbst. Die betroffene­n Jesiden dürften jetzt um den Bestand ihres Schutzstat­us zittern. Denn während syrische Jesiden weiter von Verfolgung bedroht seien, gelte das für die in Irak nicht mehr, heißt es. Die Anerkennun­gspraxis wurde demnach in den letzten Jahren verschärft. Es kann also sein, dass die Bremer Asylentsch­eidungen in der Sache durchaus gerechtfer­tigt waren, ihre neuerliche Überprüfun­g nun aber zu einem schlechter­en Schutzstat­us für die Betroffene­n führt. Die Frage ist, inwieweit dieser Kollateral­schaden erwünscht und womöglich Teil der Erklärung ist, warum die Geschichte einen solchen Grad an politische­r Aufmerksam­keit erfährt.

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Foto: dpa/Peter Steffen Jesidische Kulturvera­nstaltung im niedersäch­sischen Celle

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