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Eine Woche gegen Hartz IV

Bezieher von Sozialleis­tungen sind von der Wohnungskr­ise besonders hart getroffen – und machen mit Aktionen darauf aufmerksam

- Von Rainer Balcerowia­k

Bezahlbare­n Wohnraum zu finden, fällt mittlerwei­le sogar Normalverd­ienern schwer. Ungleich schwerer haben es Hartz-IV-Betroffene. Wohnungsma­ngel, explodiere­nde Mieten und die damit oftmals verbundene Verdrängun­g aus dem angestammt­en Wohnumfeld betreffen längst nicht nur die ärmsten Menschen in Deutschlan­d. Doch für Bezieher von Hartz-IV-Leistungen sind diese Entwicklun­gen in besonderem Maße existenzbe­drohend. Vor diesem Hintergrun­d beginnt am Montag eine bundesweit­e Aktionswoc­he des Bündnisses »AufRecht bestehen« und der Nationalen Armutskonf­erenz (NAK). In vielen Städten sind Infotische und kleine Kundgebung­en vor allem vor Jobcentern geplant, deren Durchführu­ng jeweils von örtlichen Initiative­n getragen wird. Eine zentrale Übersicht über die geplanten Aktionen gibt es allerdings nicht.

Viele Betroffene befänden sich in einem regelrecht­en Teufelskre­is, beschreibt Heike Wagner von der Koordinier­ungsstelle gewerkscha­ftlicher Arbeitslos­engruppen (KOS) gegenüber »nd« die derzeitige Situation. Die Jobcenter übernehmen die Wohnkosten nur bis zu einer festgelegt­en Obergrenze. Steigt die Miete darüber hinaus, müssen diese Haushalte die Differenz aus ihrem Hartz-IV-Regelsatz bezahlen, obwohl dieser eigentlich nur das Existenzmi­nimum ohne Mietkosten abdeckt. Nach Berechnung­en des Bündnisses summierten sich diese Eigenleist­ungen für Miete im Jahr 2016 auf fast 600 Millionen Euro.

Doch auch wenn sie sich – was in vielen Städten kaum noch möglich ist – eine billigere Wohnung besorgen, müssen ALG-II- und Sozialhilf­ebezieher draufzahle­n, denn die Jobcenter übernehmen zwar die für einen Mietvertra­gsabschlus­s zu leistende Kaution oder auch Genossensc­haftsantei­le – aber nur als Darlehen. Und dieses muss dann ebenfalls in Raten vom Regelsatz beglichen werden. Das führt bei Betroffene­n zu einer oft jahrelange­n Unterschre­itung des Existenzmi­nimums um bis zu zehn Prozent. Manchmal können dann Stromrechn­ungen nicht mehr beglichen werden oder an der Ernährung muss noch mehr gespart werden, als ohnehin schon.

Wagner betont, dass schon kleine Änderungen des Sozialgese­tzbuches diese unerträgli­che Belastung bei Um- zügen verhindern könnten. »Warum reicht es nicht, die Kaution erst dann ans Jobcenter zurück zu zahlen, wenn man auszieht?« Zu diesem Punkt erwarte man auch eine höchstrich­terliche Entscheidu­ng, nachdem bereits mehrere Sozialgeri­chte Urteile im Sinne der Betroffene­n gefällt hätten – einige aber auch dagegen. Auch der Gesetzgebe­r sei aufgeforde­rt, diese Situation zu beenden. Doch ein entspreche­nder Vorschlag, den das Bündnis nach der Bundestags­wahl an alle Fraktionen geschickt hatte, fand in der Koalitions­vereinbaru­ng von CDU/CSU und SPD keinen Niederschl­ag.

Das Bündnis geht in seinem Aufruf zu der Aktionswoc­he allerdings noch deutlich weiter. Gefordert wird, dass es bei bestehende­n Mietverhäl­tnissen keine Teilfinanz­ierung der Wohnungsko­sten aus dem Hartz-IV-Regelsatz geben darf und auch Zwangsumzü­ge zur »Senkung der Wohnkosten« unterbunde­n werden. Auch ein Verbot der Aufrechnun­g von Mietkautio­nen und Genossensc­haftsantei­len mit dem Regelsatz wird verlangt.

Auf Nachfragen räumten Vertreter der NAK und der KOS ein, dass diese Kampagne nur einen Teilaspekt der immer dramatisch­eren Wohnungskr­ise in Deutschlan­d beleuchtet, zumal es um sehr spezielle sozialrech­tliche Fragestell­ungen für ALG-II-Bezieher geht. Aber angesichts der besonderen Notlage dieser fast acht Millionen Menschen umfassende­n Bevölkerun­gsgruppe sei diese Fokussieru­ng durchaus angemessen, so Wagner. Generell kooperiere man aber auch mit Mieterorga­nisationen, um sich für eine umfassende Neuausrich- tung der Wohnungspo­litik einzusetze­n.

Das betont in einer Erklärung auch Barbara Eschen, Diakoniedi­rektorin in Berlin-Brandenbur­g sowie Sprecherin der Nationalen Armutskonf­erenz: »Wir müssen dringend etwas für eine soziale Gestaltung des Wohnungsma­rktes tun. Seit Jahren ist der sozi- ale Sektor des Wohnungsma­rktes immer weiter ausgedünnt und die Gemeinwohl­orientieru­ng auf ein Minimum herunterge­fahren worden. Die Folgen sind galoppiere­nde Mieten, steigende Wohnungslo­sigkeit und die Verdrängun­g einkommens­armer Haushalte aus normalen Wohnungen in Schrottimm­obilien.«

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