Gen Westen
Immer mehr Ukrainer arbeiten in Polen, dem Arbeitskräfte fehlen – dies steht nun auch der Ukraine bevor
Die Beziehungen zwischen Kiew und Warschau haben sich seit Amtsantritt der PiS-Regierung stark verschlechtert. Doch die Arbeiter aus der Ukraine sind für Polen mittlerweile wichtiger denn je. Einst war Polen der wichtigste Ukraine-Anwalt in der EU, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern waren glänzend. Doch seit die umstrittene PiS in Warschau an die Macht kam, streiten die beiden Regierungen immer öfter über Geschichtsfragen. Polen sieht es nämlich mit Sorge, dass die Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN), die während des Zweiten Weltkrieges an Massaker in Wolhynien und Ostgalizien beteiligt war, in der Ukraine auf staatlicher Ebene zunehmend verehrt wird. Während es auf beiden Seiten politisch brodelt, sind aber ausgerechnet Ukrainer für die polnische Wirtschaft gerade jetzt wichtiger denn je.
Zur möglichen Zahl der ukrainischen Arbeiter in Polen gibt es unterschiedliche Einschätzungen, sie soll Experten zufolge zwischen 900 000 und zwei Millionen liegen. Sowohl in Polen als auch in der Uk- raine ist man sich einig: Die Zahl ist sehr groß – und wird in den nächsten Jahren noch massiv steigen. Denn das Interesse ist gegenseitig. Einerseits wollen die Ukrainer Geld verdienen, was in einem Land mit einem Durchschnittsgehalt von umgerechnet 230 Euro für die meisten eher schwierig ist. Polen andererseits ist auf die Arbeitskräfte angewiesen.
Zwar hat die polnische Wirtschaft die Finanzkrise gut überstanden und befindet sich mittlerweile auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung. Die Arbeitslosenquote lag ebenfalls noch nie so niedrig wie heute. Doch um das heutige Wachstumstempo beizubehalten bräuchte das mitteleuropäische Land mittel- und langfristig rund drei Millionen neuer Arbeitskräfte. Das Problem dabei: Immer mehr Polen wandern in andere EU-Länder aus, mehr als 2,5 Millionen haben das Land unter anderem zugunsten von Deutschland verlassen. Und so ist es weniger überraschend, dass polnische Unternehmer öfters selbst ihren Blick Richtung Osten werfen.
Die Warschauer Zeitung »Dziennik Gazeta Prawna« platzierte die ukrainischen Arbeiter auf dem zweiten Rang in der Liste der wichtigs- ten Wirtschaftsfiguren Polens – direkt hinter dem Premierminister Mateusz Morawiecki und noch vor dem Präsidenten Andrzej Duda. »Unsere Wirtschaft würde heute zum Stillstand kommen, gäbe es keine ukrainischen Arbeitskräfte in Polen mehr«, schätzt sogar der ehemalige Arbeitsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz. Allerdings ist die Stimmung gegenüber den Ukrainern in der polnischen Gesellschaft nicht immer gut – unter anderem, weil sie angeblich Arbeitsplätze wegnähmen. Deswegen will die polnische Regierung sogar eine PR-Kampagne für das positive Image der Ukrainer auf die Beine bringen – trotz aller politischen Differenzen zwischen Kiew und Warschau.
Ob die Arbeitermigration aus der Ukraine nach Polen aber tatsächlich die Brücke des politischen Dialogs bauen kann ist zweifelhaft, aber nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig zeigt sich Kiew besorgt aufgrund der Abwanderung in Richtung des westlichen Nachbars. Früher sind vor allem Westukrainer nach Polen gegangen, zumal es gerade im Westen des Landes kaum Großunternehmen gab, die viele Menschen beschäftigten. Heutzutage wandern die Menschen aus allen Regionen der Ukraine massenhaft nach Polen aus. »Eine solch große Arbeitermigration stellt eindeutig eine Gefahr für uns dar«, sagt Pawlo Rosenko, der ukrainische Vizepremier, gegenüber BBC Ukraine. »Schon heute klagen viele Arbeitgeber über das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte. Und sehr oft sind sie genau deswegen nicht in der Lage, ihre Unternehmen weiter zu entwickeln.«
Die Migration hat laut der ukrainischen Zentralbank zu einer Verringerung von fünf bis acht Prozent der Gesamtanzahl der ukrainischen Arbeitskräfte geführt. Und es gibt keine Anzeichen, dass die Zahl derjenigen, die nach Polen auswandern wollen, sich in den nächsten Jahren verkleinern wird. Eine Chance für die polnisch-ukrainischen Beziehungen – und eine Gefahr für die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine.
Immer mehr Polen wandern in andere EULänder aus. Polnische Unternehmer werfen nun öfters selbst ihren Blick Richtung Osten.