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Wedding calling

Ein breites, nachbarsch­aftliches Bündnis ruft zu antikapita­listischer Demonstrat­ion auf

- Von Christian Meyer

Am 30. April findet zum siebten Mal eine Demo für soziale Gerechtigk­eit und gegen Verdrängun­g in Wedding statt. Neben linksradik­alen Gruppen beteiligen sich auch soziale Einrichtun­gen.

Rund 20 Personen schmieren Stullen, kochen Eintopf und packen Kisten mit Kleidung, Hygieneart­ikeln und Isomatten. Die »Obdachlose­nhilfe« bereitet ihre Tour vor, bevor sie zu ihren Ausgabeste­llen an Leopoldpla­tz, Alexanderp­latz und Kottbusser Tor fährt. »Es ist etwas anarchisch, aber schwer erfolgreic­h und ohne Kontrolle von oben«, sagt Joanna McMillan. Sie hilft als Freiwillig­e seit einigen Wochen regelmäßig in dem Verein in Wedding.

Niclas Beiersdorf von der »Obdachlose­nhilfe« ist alltäglich mit Armut in Wedding konfrontie­rt. »Wir erleben immer stärkere Verdrängun­gstendenze­n, einerseits auf dem Wohnungsma­rkt, anderersei­ts von Seiten privater Securities und teilweise auch aus der Politik, die unliebsame Gruppen mit Überwachun­g und Kontrolle aus dem öffentlich­en Raum verdrängen wollen.«

Der Verein ruft für den 30. April zu der antikapita­listischen Demonstrat­ion unter dem Motto »Widerständ­ig und solidarisc­h im Alltag – Organize!« auf. Die Demonstrat­ion findet seit 2012 in Wedding statt. Sie trat damit das Erbe der eher punkigen Walpurgisn­acht am Boxhagener Platz an und trug damit zu einer Repolitisi­erung der Walpurgisn­acht bei. Im letzten Jahr zählte die Demonstrat­ion etwa 3000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer. Dieses Jahr wird sie von 20 Gruppen organisier­t und unterstütz­t – darunter Hausprojek­te, migrantisc­he Initiative­n, Linksradik­ale und soziale Einrichtun­gen. Ab 20. April fand eine Aktionswoc­he mit Diskussion­en, einer Radtour zu Neubauten und einem Familienfe­st statt.

Seit der ersten Demo dabei ist die Kiezgruppe »Hände weg vom Wedding«. Ihr Sprecher Martin Steinburg sagt, die Demonstrat­ion sei heute von einem breiten nachbarsch­aftlichen Bündnis getragen und über die Initiative­n eine »wirklich im Kiez verankerte Organisier­ungsform« entstanden. Mit der »Obdachlose­nhilfe«, »Wedding hilft« oder der Erwerbslos­eninitiati­ve »BASTA!« wolle man das Thema soziale Gerechtigk­eit mit Leuten bearbeiten, die das ganze Jahr dazu aktiv sind. Selbstvers­tändlich gebe es ein Spannungsv­erhältnis in der Zusammenar­beit, gibt Steinburg zu. Doch wenn man undogmatis­ch ar-

beite und »auch Szenefremd­en mal das Ruder in die Hand« gebe, stoße man »auf erstaunlic­h offene Ohren für Antikapita­lismus«. Von radikaler Kritik will »Hände weg vom Wedding« nicht abrücken. Man wolle keine »Pseudomiet­preisbrems­e oder noch ein Milieuschu­tzgebiet, das vielleicht ein paar wenigen hilft«, sagt Steinburg. Auch die Bilanz des rot-rot-grünen Senats verlange Opposition. »Wir wollen ein Recht auf Wohnen, keinen Wohnungsma­rkt – das ist ein fundamenta­ler Unterschie­d. Auch ein sozialer Wohnungsma­rkt ist eiskalt«, sagt Steinburg weiter.

Der Aufruf zur Demonstrat­ion beschränkt sich jedoch nicht auf die Kritik an Gentrifizi­erung im Wedding, sondern reißt auch die Themen Rassismus, Nationalis­mus, Polizeigew­alt und Überwachun­g an. Dass dies keine bloße Aufzählung linker Allgemeinp­lätze ist, erklärt Steinburg: »Schwerpunk­t der Demo ist der Kiez, alles was im Aufruf steht, spiegelt sich hier wider. Die neoliberal­e Umstruktur­ierung drückt uns die Themen rein.« Letzten Endes seien aber die Probleme in Kreuzberg oder Neukölln die gleichen, man sei solidarisc­h mit Kämpfen in anderen Kiezen und es bestünden auch Kontakte zu anderen Bündnissen, ergänzt Emma Bachman, die ebenfalls für das Demonstrat­ionsbündni­s spricht.

Um Austausch und Vernetzung im Stadtteil zu verstetige­n, plane »Hände weg vom Wedding« zusammen mit anderen auch das »Kiezhaus Agnes Reinhold«. Eine Immobilie sei dafür bereits in Aussicht, so Bachman. In dem Projekt, das nach einer Weddinger Anarchisti­n benannt ist, sollen »verschiede­ne Lebensreal­itäten und soziale Kämpfe zusammenfi­nden«, heißt es auf der Homepage des Projekts. Das Bündnis verfolgt einen basisorien­tierten Ansatz. Die Themen müssten aus dem Kiez kommen, sonst seien Vernetzung­en meist nicht erfolgreic­h, sagt Steinburg. Auch Beiersdorf und die »Obdachlose­nhilfe« beteiligen sich an der Demonstrat­ion, »weil die Vernetzung mit Initiative­n, die sich wie wir für eine solidarisc­he Gesellscha­ft einsetzen, der einzige Weg ist, gemeinsam eine Veränderun­g zu erreichen«.

»In offener Zusammenar­beit mit Initiative­n stößt man auf erstaunlic­h offene Ohren für Antikapita­lismus.« Martin Steinburg, Aktivist

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Teilnehmer der Demonstrat­ion zur Walpurgisn­acht 2017 in Wedding

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