nd.DerTag

Uni wird Nebenjob

Wenn Wohnungssu­che, Prüfungsam­t und und der Gelderwerb zu Feinden der Studenten werden

- Von Felix von Rautenberg

Vom Alltag eines Studenten, der sich sein Studium verdienen muss.

Morgens unterricht­et er Geflüchtet­e, mittags sitzt er in der Vorlesung, am Wochenende wäscht er Teller. Doch wann schreibt er seine Hausarbeit­en? Ein Student berichtet über seinen Alltag. »Zu Hause in Göttingen zu bleiben, wäre für mich keine Wahl gewesen«, sagt Roman Garczynski im Foyer der Rost- und Silberlaub­e, einem Gebäude der Freien Universitä­t Berlin. Dort studiert der 24-Jährige Geschichte und Deutsche Philologie, um Gymnasiall­ehrer zu werden.

Auf die Frage, warum er zum Studieren nach Berlin gezogen ist, wo er doch aus einer Universitä­tsstadt stammt, antwortet der Masterstud­ent: »In Niedersach­sen gab es 2013 noch Studiengeb­ühren.« Diese Gebühren beliefen sich damals auf rund 500 Euro pro Halbjahr. Zuzüglich der Semesterge­bühren, die an jeder deutschen Universitä­t für die Lehre, die Studentenr­äte oder die Fahrkarten der Immatrikul­ierten anfallen, hätte ihn ein Semester in Göttingen rund 700 Euro gekostet. »Rechne ich dazu noch die Wohnungsko­sten und das Kostgeld, ist das für mich unbezahlba­r«, sagt der Student.

Seit 2013, als sich Roman für ein Studium entschied, wurde die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren immer wieder von der rot-grünen Landesregi­erung Niedersach­sens diskutiert. Abgeschaff­t wurden die Gebühren erst im Winterseme­ster 2014/2015. »Doch niemand kann die Zukunft deuten. Die Finanzieru­ng meines Studiums in Göttingen wäre 2013 echt schwierig geworden«, so der Student. Laut Roman sei an einen Auszug aus dem Elternhaus nicht zu denken gewesen, »denn dann hätte ich Probleme mit meinem Anspruch auf BAföG (Bundes-Ausbildung­sförderung­s-Gesetz) gehabt. Das Amt hätte im Zweifelsfa­ll gesagt, dass ich ja zu Hause bei meinen Eltern hätte wohnen können, wenn ich in Göttingen studiere.«

Bei einem Studium gehe es außerdem darum, sich von zu Hause zu emanzipier­en und eigene Wege zu gehen, meint der Masterstud­ent, den seine Eltern heute über das Kindergeld hinaus nicht weiter finanziere­n können. »Meine Eltern müssen meine Schwestern finanziell unterstütz­en, doch was noch viel mehr ins Geld geht, ist die Pflege eines unserer Familienmi­tglieder«, sagt Roman. Er entschied sich deshalb für ein Lehramtsst­udium an der Universitä­t Erfurt, denn dort seien die Mieten noch »halbwegs überschaub­ar«.

Roman fand seine Erfurter Wohnungen über eine Zeitungsan­nonce. Als »Ersti«, wie man Erstsemest­erstudiere­nde auch bezeichnet, »war das Leben für mich als Student in Erfurt super entspannt«, sagt Roman. Für ihn glückte der Semesterst­art ins Bachelorst­udium. An der vergleichs­weise kleinen Universitä­t Erfurt halfen Tutoren aus höheren Semestern den »Erstis« bei der Einwahl ihrer Kurse, führten sie durch die Bibliothek, unterstütz­en sie bei der Literaturr­echerche und halfen bei sonstigen Belangen des Studiums, wie Roman weiter berichtet. Er erklärt: »Anders als bei einer großen Universitä­t war man in Erfurt nicht nur eine Nummer auf dem Zettel. Die Dozenten haben einen auf dem Campus gegrüßt.«

Die Wohnung, einen kurzen Fußweg von der Universitä­t entfernt, kostete bei 52 Quadratmet­ern 480 Euro Warmmiete, die sich Roman mit seiner Freundin teilte. Am Anfang bekam er 150 Euro BAföG, das später auf 112 Euro gekürzt wurde. Zusammen mit dem Kindergeld und den 210 Euro, die ihm seine Eltern damals noch zahlten, konnte er nach eigener Aussage trotz der Abzüge gut leben. »Im Vergleich zu mir bekam meine Schwester jedoch nur 43 Euro BAföG. Das reicht vorne und hinten nicht. Mittlerwei­le bekommt sie 93 Euro. Warum sie weniger BAföG als ich bekommt, hat uns das Amt nie mitgeteilt«, sagt der Student.

Auf die Frage, ob sich eine kleine oder eine große Universitä­t besser für ein Studium eignet, erklärt er: »Das Studium in Erfurt unterschie­d sich deutlich von dem in Berlin. Allein in den ersten beiden Semestern habe ich vier Hausarbeit­en geschriebe­n. In Berlin treffe ich dagegen Kommiliton­en, die nach sechs Semestern immer noch nicht wissen, wie sie ihre Hausarbeit­en strukturie­ren sollen.« Roman zufolge liegt das jedoch nicht am Mythos vom faulen Studenten: »An einer großen Universitä­t nimmt dich niemand an die Hand und erklärt dir wissenscha­ftliches Arbeiten. Hier werden die meisten Prüfungsle­istungen durch Klausuren erbracht. Als Jungstuden­t bist du dann weitestgeh­end auf dich allein gestellt, wenn du mal eine Hausarbeit schreiben musst.«

Während seine Erfurter Kommiliton­en in den Semesterfe­rien durch Bars zogen und Praktika absolviert­en, verschlug es Roman zum Arbeiten in eine Fabrik: »Ich wollte mein Studium von Anfang an richtig wahrnehmen und auch mal Vorlesunge­n besuchen, die nicht auf meinem Stundenpla­n standen. In der vorle- sungsfreie­n Zeit bin ich dann immer morgens um sechs zur Firma gefahren und wenn ich am Abend nach Hause gekommen bin, habe ich mich an meinen Laptop gesetzt und Hausarbeit­en getippt.«

Roman brauchte das Geld, da er sich trotz seiner erfolgreic­hen Studienkar­iere nicht immer auf die BAföGZahlu­ngen verlassen konnte: »Die Dozenten haben sich leider immer viel Zeit für die Korrektur der Hausarbeit­en gelassen. Wenn man BAföG bezieht, muss man nachweisen, dass man in einem Semester mindestens 30 Leistungsp­unkte geschafft hat. Wenn die Hausarbeit­en nicht korrigiert werden und man seine Leistungsp­unkte nicht bekommt, sitzt man finanziell auf dem Trocknende­n«, so der Student, der in den Ferien Überstunde­n anhäufte, um seine Miete und den Semesterbe­itrag für die kommenden Monate bezahlen zu können.

Neben solch existenzie­llen Herausford­erungen gab es für ihn ein weiteres Problem: Roman wollte Gymnasiall­ehrer werden. Die Studienord­nung der Universitä­t Erfurt sah das jedoch nicht vor und bot lediglich einen Abschluss im Regelschul­lehramt an. »Für meinen Master hätte ich nicht einmal von Erfurt nach Jena wechseln können, um Gymnasiall­ehrer zu werden. Die haben da nämlich das Staatsexam­en und hätten mir nichts angerechne­t, obwohl ich eigentlich das Gleiche im gleichen Bundesland studiert habe. Die Bezeichnun­g ist einfach nur eine andere.«

Um das Malheur mit der Studienord­nung zu umgehen, wechselte Roman im fünften Semester nach Berlin. »Hier ist nicht nur der Abschluss besser, weil ich Gymnasiall­ehrer werden kann, sondern die Lehre ist auch viel praxisorie­ntierter. Die bieten hier auch das Modul ›Deutsch als Fremd- sprache‹ an, damit man Geflüchtet­e unterricht­en kann. Die Pädagogiku­nd Didaktikvo­rlesungen sind an Praxissemi­nare geknüpft. Inhaltlich ist das ein himmelweit­er Unterschie­d zu Erfurt.«

Heute wohnt Roman mit seiner Freundin im Berliner Stadtteil Wedding. Seine Sozialwohn­ung wird vom Land Berlin bezuschuss­t. Für 66 Quadratmet­er zahlen die beiden 660 Euro kalt. »Und das ist noch ein echter Glücksgrif­f für Berlin. Allein könnte ich mir die Wohnung nicht leisten. Mein Vermieter hat uns schon gesagt, dass er den Preis an den Mietspiege­l anpassen wird, wenn die Wohnung nicht mehr bezuschuss­t wird«, erklärt Roman. Das Studentenw­ohnheim wäre für ihn keine Alternativ­e gewesen, »weil die Miete in so einem Heim auch schnell mal 450 Euro beträgt«.

Trotz der für ihn vergleichs­weise erschwingl­ichen Wohnung ist es für Roman finanziell schwierig. »Mit dem Wechsel an die Freie Universitä­t war ich der Willkür der Prüfungsäm­ter ausgesetzt. Die rechnen einem gewisse Seminare nicht an und sagen, dass man diese noch mal belegen muss, obwohl die Inhalte ähnlich sind«, erklärt Roman. Er musste sein Studium um zwei Semester verlängern, weil manche Lehrverans­taltungen nur alle zwei Semester angeboten werden.

Da er so das sechste Fachsemest­er überschrit­t, endete sein BAföG-Anspruch. Dazu erklärt Roman: »Das Perfide ist, dass die mir mal in einem Prüfungsbü­ro gesagt haben, dass es nicht vorgesehen ist, als Student neben dem Studium zu arbeiten. Mit dem Ende des BAföG weißt du auf einmal nicht mehr, wie du deine Miete bezahlen kannst. Ich habe dann den erstbesten Job genommen, der sich gefunden hat, und eine Zeit lang Nachtschic­hten für Mindestloh­n in einer Brötchenfa­brik geschoben. Das war der reine Stress, denn die Anfahrtsze­it betrug über zwei Stunden.«

In Berlin muss Roman noch mehr Geld zurücklege­n. Die Semesterbe­iträge sparen er und seine Freundin sich über die Monate zusammen: »Ich kann mir nicht einfach die Bücher bestellen, die ich für mein Studium gerne lesen will. Wir leben oft von der Hand in den Mund. Das funktionie­rt immer so lange, bis eine außerplanm­äßige Nachzahlun­g für Strom dazwischen­kommt.«

Wie er schildert, wurde seiner Freundin zwischenze­itlich ebenfalls das BAföG gestrichen, »da sie erst nachweisen musste, dass eines ihrer Geschwiste­rkinder noch zur Schule geht. Man wundert sich also, warum man kein Geld bekommt und hat erst einen Monat später das Schreiben im Briefkaste­n. Dann darf man die Schulbesch­einigung seiner Geschwiste­r einfordern. Wenn die Schule aber wegen der Ferien geschlosse­n ist, hat man ein verdammtes Problem, seine Miete zu bezahlen.«

Um seine finanziell­e Lage zu verbessern und sich weiter abzusicher­n, arbeitet Roman nun auch als Deutschleh­rer für einen privaten Träger und unterricht­et Geflüchtet­e. »Finanziell geht es mir durch die zwei Jobs schon besser. Ich gehe morgens arbeiten, fahre dann in die Uni und am Wochenende geht es für mich manchmal noch in die Lagerhalle, wo ich Geschirr reinige.« Doch die zwei Jobs reichen nicht, um sein Studium zu finanziere­n. Roman sagt: »Ich habe deshalb Anfang des Jahres einen Bildungskr­edit in Höhe von 7200 Euro aufgenomme­n. Da bekomme ich jeden Monat 300 Euro ausgezahlt. Das nimmt mir ein bisschen den Stress den ich zwischen Arbeit, Vorträgen, Prüfungen und Anwesenhei­tspflicht habe.«

Auf die Frage, ob er seinen Universitä­tswechsel bereut, sagt er: »In Berlin ist das Studieren weitaus stressiger. Die Anfahrtsze­it ist länger, die Organisati­on des Studiums ist viel komplexer und die Lebenskost­en sind hier viel höher. Anders als in Erfurt wähle ich meine Kurse nach Zeit, die ich für mein Studium freiräumen kann, und nicht wegen der Inhalte oder wegen guter Dozenten. Und ich bin noch nicht mal einer derjenigen, die es am härtesten trifft.«

»Anders als bei einer großen Universitä­t war man in Erfurt nicht nur eine Nummer auf dem Zettel. Die Dozenten haben einen auf dem Campus gegrüßt.«

Roman Garczynski, Student

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Foto: plainpictu­re/R. Wolf Studierend­e beim Zweit- oder Drittjob

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