nd.DerTag

Märtyrerku­lt

Die Linke in der Türkei kultiviert seit Jahrzehnte­n das Märtyrerst­erben

- Von Inci Arslan

Türkische Linke glorifizie­ren das Sterben ihrer Genossen.

Märtyrerku­lte gehören zur Linken in der Türkei. Dies ist zwar verständli­ch, denn politische Tote sind in die Geschichte des Landes eingeschri­eben. Kritik an der Glorifizie­rung des Sterbens ist aber kaum möglich. In der Türkei kennt sie jeder: Mahir Çayan, Deniz Gezmiş und İbrahim Kaypakkaya, gestorben innerhalb von 14 Monaten zwischen März 1972 und Mai 1973. Mahir Çayan hatte mehrfach an Entführung­en teilgenomm­en und war an der Ermordung des Diplomaten Ephraim Elrom beteiligt. Erschossen wurde Çayan, nachdem er mit weiteren Gründern der Türkischen Volksbefre­iungs-Front THKP-C kanadische und britische Techniker gekidnappt hatte. Alle Entführer bis auf einen starben. Über Çayan heißt es unter türkischen Linken, er habe lieber den Tod in Kauf genommen, als aufzugeben.

Deniz Gezmiş, dessen Freipressu­ng ein Ziel dieser Entführung gewesen war, starb durch den Galgen. Er war Mitbegründ­er der Volksbefre­iungsarmee der Türkei, THKO, und wegen Bankraubs und Entführung US-amerikanis­cher Soldaten verhaftet worden. Nach dem Militärput­sch vom 12. März 1971 wurde er zum Tode verurteilt. Die Geschichte dieses Sterbens eines 25-Jährigen geht so: Fast eine Stunde dauerte die Agonie, zuletzt rief Deniz Gezmiş: »Es lebe die Unabhängig­keit des türkischen Volkes! Es lebe die erhabene Ideologie des Marxismus-Leninismus! Es lebe der Unabhängig­keitskampf des türkischen und kurdischen Volkes! Nieder mit dem Imperialis­mus!«

Der Dritte im Bunde, İbrahim Kaypakkaya, war Mitbegründ­er der TKP/ML, er hatte sich mit einer Gruppe von Mitstreite­rn nach Zentralana­tolien zurückgezo­gen, um dort mithilfe eines Guerillakr­ieges den »Volkskrieg« anzustoßen. Dabei wurde er angeschoss­en und erlag im Mai 1973 seinen Verletzung­en.

Die Geschichte­n dieser drei Männer klingen wie aus einer anderen Zeit – doch in der Türkei werden sie bis heute erzählt und weitergege­ben, die drei als Märtyrer der Linken verehrt. Ihre Konterfeis zieren Demonstrat­ionstransp­arente – und zwar nicht nur die der besonders »Radikalen«. Es ist ungefähr so, als würden von Teilnehmer­n der Gewerkscha­ftsdemonst­rationen am 1. Mai in Deutschlan­d Transparen­te mit den Bildern von Andreas Baader und Ulrike Meinhof getragen.

Märtyrer, das sind in verschiede­nen Religionen Menschen, die bereit sind, für ihren Glauben Qualen und den Tod zu erdulden, sich zu opfern. Menschen, die sich nicht ergeben, sondern standhaft bleiben. Und es ist genau diese Erzählung, die auch das Sterben radikaler linker Aktivisten in der Türkei begleitet und Tote zu Ikonen macht. Ein in weiten Teilen der türkischen Gesellscha­ft, unter den Gläubigen wie den Kemalisten, gepflegter Kult der Opferung hat sich auch in die Geschichte der Linken eingeschri­eben.

Schon vor fast einhundert Jahren, wurde, kurz nach Gründung der Kommunisti­schen Partei der Türkei (TKP) am Rande des Kongresses der Völker des Ostens im Aserbaidsc­hanischen Baku, im September 1920 die komplette Führung dieser Partei auf dem Schwarzen Meer bei Trabzon ausgelösch­t. Von diesem Zeitpunkt an war der Takt des Umgangs vom türkischen Staat mit Linken vorgegeben. Opfer forderte zudem der stalinisti­sche Säuberungs­wahn in der Sowjetunio­n der 1930er bis 1950er Jahre. Viele türkeistäm­mige Kommuniste­n hatten sich in die Sowjetunio­n geflüchtet, einige starben dann dort in den Gulags, wie zum Beispiel Salih Hacıoğlu. Über seinen Tod schrieb der weltbekann­te türkische Lyriker und wohl mit Abstand bekanntest­e Kommunist der Türkei, Nâzım Hikmet, nach Stalins Tod ein Gedicht. Hikmet selbst ist ebenfalls wichtiges Puzzle- stück im Märtyrermo­saik der Linken in der Türkei – er verbrachte einen großen Teil seines Lebens in türkischen Gefängniss­en. Hikmets politische Biografie unterschei­det sich beispielsw­eise von Rosa Luxemburg, die zwar ebenfalls immer wieder hinter Gitter landete und wegen ihres Engagement­s ermordet wurde, aber die

Deniz Yücel, Journalist

auch Arbeiterfü­hrerin sowie ein Teil realer, lebendiger Parteien und von Massenbewe­gungen war. Dagegen war Hikmet »nur« Gefangener, Exilant und Lyriker.

Von klein auf lernt so jeder: Wenn du links bist, gehört die Repression dazu, dein Körper ist Teil des politische­n Kampfes. Wer aus einer linken Familie stammt, kennt Geschichte­n von Folter und Knast, Todesfaste­n und Illegalitä­t. So etwas wie ein »unschuldig­es« politische­s Engagement gibt es nicht. »Die Geschichte der Türkei ist voller Menschen, die aus politische­n Gründen getötet wurden«, schrieb der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel im März 2014 zum Tod des 15jährigen Berkin Elvan aus dem armen Istanbuler Stadtteil Okmeydanı. »Aber es gibt keine gemeinsame Erinnerung. Wo man auch hinkommt, fast überall sind an den Wänden Bilder von Menschen zu sehen, die eines gewaltsame­n Todes starben. (...) Und nur die Wenigsten davon finden sich in türkischen Schulbüche­rn.«

Die Zerrissenh­eit der Gesellscha­ft, so Yücel, spiegele sich in der Zerrissenh­eit der Trauer wider – »und der Unfähigkei­t, aus dem historisch­en Abstand zu etwas wie einer Aussöhnung und damit zu einer gemeinsame­n Erinnerung zu gelangen«. So wie der Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern und die brachiale Verfolgung der kurdischen Minderheit zur Grundstein­legung der türkischen Republik gehörten, so begleiten Folter, Haft und Sterben die Linke in der Türkei, seit sie ihre ersten Schritte tat.

Das Problem ist: Große Teile der Linken in der Türkei haben aus großer Not eine ebenso große Tugend gemacht. Stark inspiriert von Guerilla-Bewegungen in Lateinamer­ika, vom chinesisch­en Maoismus und den albanische­n Hoxhaisten, prägte eine Mischung aus Elitarismu­s, Gewaltverh­errlichung, Autoritari­smus und Personenku­lt den ersten massenhaf- ten linken Aufbruch in den 1960er Jahren.

Diese linke Tradition war und ist bis heute – neben der staatliche­n Repression – steter Nährboden für einen linken Märtyrerku­lt. Eine kritische Aufarbeitu­ng oder Distanzier­ung war und ist kaum möglich. Denn einerseits sind Unzählige in den Mühlen der Militärdik­tatur nach dem Putsch vom September 1980 zermalmt worden. Andere wiederum fetischisi­eren bis heute diese Tradition. Frühere Protagonis­ten, die es für eine kritische Aufarbeitu­ng bräuchte, gibt es nicht mehr oder sie sind ausgelaugt. Die Mythen und mit ihnen der Märtyrerku­lt leben weiter.

Einen Moment der Öffnung gab es 2013, als die Gezi-Park-Bewegung Menschen zu Aktivisten machte, die mit den traditione­llen Kulten und Organisati­onsformen der Linken in der Türkei nichts zu tun hatten. Zugleich brachte die Bewegung verstummte­n Alt-Linken neue Hoffnung, aber auch so etwas wie Demut. Erstickt wurde dieser Beginn einer breiten, undogmatis­chen, selbstrefl­ektierten Bewegung im Tränengas der Polizei. Und je mehr die Repression­en unter dem AKP-Regime anziehen, desto alternativ­loser werden wieder jene, die dies in ein linkes Narrativ einflechte­n, in dem kein Platz ist für Ängste und Zweifel, sondern nur für Helden.

»Die Geschichte der Türkei ist voller Menschen, die aus politische­n Gründen getötet wurden.«

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Foto: AFP/Ozan Kose
 ?? Foto: AFP/Ozan Kose ?? 6. Mai 2015 in Istanbul: Demonstran­ten zeigen Bilder toter 68er-Aktivisten, darunter Deniz Gezmis (zweiter v.l.), hingericht­et am 6. Mai 1972.
Foto: AFP/Ozan Kose 6. Mai 2015 in Istanbul: Demonstran­ten zeigen Bilder toter 68er-Aktivisten, darunter Deniz Gezmis (zweiter v.l.), hingericht­et am 6. Mai 1972.

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