nd.DerTag

Kulturkamp­f in Lederhosen

Andreas Koristka entdeckt mit Schrecken den Almabtrieb der nicht-bajuwarisc­hen Sitten und Gebräuche

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Vor nicht allzu ferner Zeit, konnte man als Reisender des Rhein-SiegExpres­ses eine traurige Begebenhei­t erleben. Es war kurz hinter Schladern. Der Zug fuhr von Siegen in Richtung Köln, da passierte es: Etwa 15 Menschen stiegen zu. Die Männer (in Lederhosen) trugen ihr Wegbier in der Hand, die Frauen (im Dirndl) pickten gelegentli­ch Likörfläsc­hchen aus einem Korb, prosteten sich zünftig zu und setzten unter teuflische­m Kichern zu trinken an.

Als Reisender denkt man sich nichts Schlimmes außer das Schlimme, das man sich eben immer über seine Mitreisend­en denkt, bis sich an der nächsten Station das gleiche Bild bot. Nur waren es dieses Mal bereits gut 50 Trachtentr­äger, die leicht angetrunke­n den neuesten Tratsch aus den örtlichen Sparkassen­filialen zum Besten gaben, während sich ihre Penisse unter dem eng anliegende­m Wildleder abzeichnet­en. Ihr Ziel war das Oktoberfes­t in Köln-Deutz und sich einmal an den feschen Maden im Gedränge der Öffentlich­en zu reiben. – Irgendwann war der Zug überfüllt. An den Bahnhöfen hinterließ er fluchende Gamsbärte und keifende Dekolletés, die sich Rainer Brüderle in keinem halbfeucht­en Greisentra­um besser ausgefüllt hätte vorstellen können. Kurzum, es war schockiere­nd.

Die Oktoberfes­te sind zu einem Phänomen geworden, das sich über das Land erkotzt wie fünf Liter lauwarmes Weißbier auf nervösen Magen. Man kann sie in Sachsen genauso erleben wie in Schleswig-Holstein oder bei den Oktoberfes­tangeboten im Pennymarkt. Doch die Ausbreitun­g der Wiesn ist nur eine Facette einer immer schneller grassieren­den Bajuwarisi­erung des Landes. Wenn man z. B. am Berliner Flughafen Schönefeld aussteigt und zum Bahnhof läuft, findet man seit Neuestem linker Hand den »Augustiner Biergarten Schönefeld« Das ist zwar praktisch, weil so die britischen Junggesell­enabschied­e nicht mehr nach Berlin und erst recht nicht mehr nach München hineinfahr­en müssen, trotzdem zeigt es, wie aggressiv die bayrischen Metastasen in unserem Gewebe wüten. Es findet ein regelrecht­er Almabtrieb unserer Kultur statt. Kein Bäcker zwischen Rhein und Oder, kein Sportstadi­on und keine Brezelstat­ion, wo keine Brezn angeboten werden. Keine Schreberga­rten-Kolonie, in der keine Flagge des FC Bayern weht, und kein Großraumbü­ro, in dem nicht irgendjema­nd penetrant mit »Servus« grüßt.

Wenn eine Lebensart mit derart invasorisc­hen Ansprüchen daherkommt, ist es nur natürlich, dass sie in ihrem Innern eifersücht­ig und paranoid die eigene Vormachtst­ellung verteidigt. Es ist darum kaum verwunderl­ich, dass Markus Söder plant, in allen bayrischen Amtsstuben Kreuze aufzuhänge­n. Nicht etwa als Symbol tief empfundene­r Frömmigkei­t (das allein wäre einem großen Geist wie Söder nicht bescheuert genug), sondern als Zeichen einer »geschichtl­ich-kulturelle­n Identität und Prägung Bayerns«.

Niemand soll auf die Idee kommen, dass die bayrischen Amtsstuben von jemand anderem geprägt sein könnten als von bayrischen Bayern, die mit allen Königssee-Wassern gewaschen wurden. Man braucht keine Kreuze, um das klarzumach­en. Man hätte auch Edmund Stoiber töten und zerstückel­n können und Tausende kleine Stoibertei­lchen als Reliquien an die Wände der Behörden nageln können. Der identitäts­stiftende Effekt wäre derselbe gewesen.

Nun muss man den Bayern zugestehen, dass sie bei sich zu Hause machen können, was sie wollen. Wenn sie Kalbskopft­eile häckseln, um sie mit dem Mund aus Schweinedä­rmen zu saugen und das ganze »Weißwursch­t zuzeln« nennen, dann ist das ihre Sache. Wenn aber das Kruzifix ein Zeichen für die »geschichtl­ich-kulturelle Identität und Prägung Bayerns« ist, dann müssen wir uns das in Nicht-Bayern nicht bieten lassen. Eine rigorose Entfernung aller Kreuze außerhalb Bayerns wäre deshalb vernünftig. Wenn die Kirchen dabei nicht mitmachen wollen, dann können sie ja nach Bayern gehen.

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Foto: nd/Camay Sungu Andreas Koristka ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.

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