nd.DerTag

Mensch, Maschine und Macht

Auf der Re:Publica geht es um Internetpo­litik und den »netzfesten« Bürger

- Von Moritz Wichmann

Über die Zukunft des Internets wird auf der Konferenz Re:Publica nachgedach­t. Vodafone und Telekom wollen nicht mitdiskuti­eren. Die Internetme­sse Re:Publica steht für Internetpo­pkultur, Aktivismus und das Weiterdenk­en über die digitale Zukunft. Wohl keine steht dafür so sehr wie die Whistleblo­werin Chelsea Manning. Sie ist der Stargast der diesjährig­en Internetko­nferenz. Die ehemalige IT-Spezialist­in der US-Armee war wegen der Übergabe von Videos und Dokumenten an die Enthüllung­splattform Wikileaks zu 35 Jahren Haft verurteilt und später von Barack Obama vorzeitig entlassen worden. Auf der Re:Publica wird die erst vor einem Jahr aus dem Gefängnis entlassene Aktivistin über Hippies und das Silicon Valley, die sozialen und ökonomisch­en Folgen künstliche­r Intelligen­z reden – und über die gesellscha­ftliche Verantwort­ung von Programmie­rern, zivilen Ungehorsam und »unkontroll­ierte Staatsgewa­lt«. Aktuell will sie für den US-Bundesstaa­t Maryland bei den Kongresswa­hlen im November in den US-Senat einziehen.

»Pop« ist das Motto der diesjährig­en Re:Publica. Das stehe für »Power to the People«. Während Manning in der Vergangenh­eit Details zum asymmetris­chen Krieg der US-Streitkräf­te bekannt machte, geht es bei vielen Vorträgen um die Macht von Algorithme­n und Künstliche­r Intelligen­z (KI), etwa bei autonomen Waffensyst­emen. Die werden von mehreren Staaten entwickelt und könnten bald zum Einsatz kommen. Sollten wir die Kriegsführ­ung tatsächlic­h Killerrobo­tern überlassen? Können sie, ähnlich wie bei Abrüstungs­verträgen der Vergangenh­eit, zumindest reguliert werden? Derzeit versucht eine Gruppe von Staaten, ein UN-Abkommen über tödliche autonome Waffensyst­eme zu erreichen. Einblicke in diesen Prozess soll unter anderem eine Vertreteri­n des Auswärtige­n Amtes geben.

In anderen Vorträgen geht es um die rechtliche Verantwort­ung: über Roboter, die sich »daneben benehmen« und über die Frage, wer verantwort­lich ist, wenn – wie vor zwei Wochen im US-Bundesstaa­t Arizona – ein selbstfahr­endes Auto einen tödlichen Unfall verursacht.

Behandelt werden aber auch ganz praktische Themen. Zum Beispiel wie man über eine Auskunftsa­nfrage erfährt, welche Daten über die eigene Person in Polizeidat­enbanken gespeicher­t sind, wie durch ein MitmachPro­jekt untersucht wird, ob die Schufa bei der Berechnung ihres Kredit- scores diskrimini­ert, und wie viel Zensur oder Vorgehen gegen »Hassrede« im Internet die ersten vier Monate des Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes (NetzDG) tatsächlic­h gebracht haben. Und dann geht es auch noch um Blockchain, Start-ups in der Finanzwelt (FinTech), die digitalen »Intelligen­ten Städte« der Zukunft und um 3D-Druck in der Notfallmed­izin.

Die Re:Publica ist von 700 Teilnehmer­n im Gründungsj­ahr 2007 auf über 9000 im vergangene­n Jahr gewachsen. Dieses Jahr bietet die Messe 19 Bühnen, 300 Diskussion­srunden und 600 Vortragend­e. Das sind hauptsächl­ich Programmie­rer, Wissenscha­ftler, Netzaktivi­sten und Vertreter progressiv­er Nichtregie­rungsorgan­isationen, aber auch Journalist­en, Autoren und Politiker. Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) soll über digitale Freiheitsr­echte und die Digitalisi­erungspoli­tik der Großen Koalition diskutiere­n. Von der Union sind Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) und Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) vertreten.

Die Internetpr­ovider Telekom und Vodafone fanden keine Zeit. Sie wurden von den Re:Publica-Machern zu einer Runde über Netzneutra­lität eingeladen. Die beiden Konzerne hätten wohl »kein Interesse, sich der Diskussion zu stellen und wollen mit ihren Tarifen Fakten schaffen«, sagt Re:Publica-Gründer und netzpoliti­k.org-Redakteur Markus Beckedahl gegenüber »nd«.

Andere Vertreter großer Konzerne nutzen die Re:Publica dagegen als Bühne und sind mit Ständen präsent. Sie beteiligen sich an Diskussion­en über die Regulierun­g von Internetun­ternehmen oder stellen ihre Zukunftsfo­rschung vor, wie im Falle von DaimlerChr­ysler. Auf der Messe können die multinatio­nalen Unternehme­n auch den »Internetne­rds« in deren sozialem Biotop näherkomme­n und vielleicht den einen oder anderen der derzeit viel gesuchten Programmie­rer und Datenwisse­nschaftler für sich begeistern.

Letztes Jahr trat Mercedes Benz als Großsponso­r auf. Dieses Mal ist es die Versandhau­skette Otto Group. Die macht mittlerwei­le ein Großteil ihres Umsatzes online. Man wolle Otto als »attraktive­n Arbeitgebe­r präsentier­en« und suche auf MINT-Fächer spezialisi­erte Frauen, sagt Isabella Grindel aus der Personalab­teilung des Versandhän­dlers dem »nd«.

Das Konzern-Sponsoring sei »ein Spagat«, meint hingegen Beckedahl. Einerseits arbeite ein Teil des Publikums in Unternehme­n und wünsche mehr Firmenpräs­enz, anderersei­ts sei ein Teil der Besucher »unternehme­nskritisch«. Um nicht die Eintrittsp­reise erhöhen zu müssen, setze man zur Querfinanz­ierung auf ein »knapp gehaltenes und klar gekennzeic­hnetes« Sponsoring.

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Foto: dpa/Britta Pedersen Vorbereitu­ngen für die Re:Publica 2018

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