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60 Jahre für Frieden und Verständig­ung

Aktion Sühnezeich­en feiert Jubiläum

- Von Ingrid Heinisch

Im Jahr 1958 war es vielen Deutschen gelungen, das Wissen um die Verbrechen, die ihr Volk im Zweiten Weltkrieg begangen hatte, weitgehend aus ihrem Bewusstsei­n zu verdrängen. Die Nürnberger Prozesse lagen lange zurück, die Auschwitz-Prozesse noch in weiter Ferne. Da wirkte der Gründungsa­ufruf während der Synode der evangelisc­hen Kirche in Berlin für Aktion Sühnezeich­en wie ein Fanal. »Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbare­s Leiden der Menschheit verschulde­t: Deutsche haben in frevlerisc­hem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht.« Das waren die Worte des ostdeutsch­en Theologen Lothar Kreyssig.

Die Reaktionen der deutschen Bevölkerun­g waren zum größten Teil hasserfüll­t. Aber die Synode folgte Kreyssig. Seine Idee war, in den Ländern, gegen die Deutschlan­d Krieg geführt hatte, praktische Wiederaufb­auhilfe zu leisten. Ein Krankenhau­s, eine Kirche oder ein Kindergart­en sollten hier gebaut werden. Dies galt als ein Zeichen der Sühne. Deshalb wurde der Name Aktion Sühnezeich­en gewählt. Anfangen wollte er mit den Ländern, die besonders unter deutschem Terror gelitten hatten: Israel, die Sowjetunio­n und Polen. Daraus wurde aber nichts. Zu groß waren dort die Ablehnung und das Misstrauen.

Aber nur ein Jahr später brach eine Gruppe junger Deutscher unter der Leitung von Pastor Hans Richard Nevermann nach Norwegen auf, um dort ein Kinderkran­kenhaus zu bauen. »Das Misstrauen uns gegenüber war immens«, erinnerte er sich später. »Die Deutschen hatten das neutrale Norwegen besetzt und dort ungeheures Leid angerichte­t.« Und doch gelang es. Die Einheimisc­hen akzeptiert­en die jungen Deutschen schließlic­h.

Im gleichen Jahr fuhr eine Baugruppe nach Frankreich. Andere Länder folgten: Belgien, Großbritan­nien, die Niederland­e, Israel und zuletzt Polen. Dort gelang Aktion Sühnezeich­en, dessen Name 1968 um den Zusatz Friedensdi­enste (ASF) erweitert worden war, der wohl größte Erfolg: der Bau der internatio­nalen Jugendbege­gnungsstät­te in Oswiecim nahe der Gedenkstät­te von Auschwitz 1986. Das war wohlgemerk­t der Erfolg der westlichen ASF. Notgedrung­en hatte sich die Organisati­on nach dem Mauerbau geteilt. Im Osten waren die Arbeitsver­hältnisse schwierig. Doch es gelang trotz des Widerstand­es der DDR-Behörden, Sommerlage­r bei ehemaligen KZs oder jüdischen Friedhöfen zu veranstalt­en.

Heute kümmert sich ASF mit seinen etwa 200 Freiwillig­en im Jahr hauptsächl­ich um Friedensar­beit und um Projekte für behinderte und sozial benachteil­igte Menschen. Hinzu kommen Projekte, in denen junge Menschen aus verschiede­nen Ländern gemeinsam arbeiten. Außerdem entsendet ASF Freiwillig­e vor allem aus Osteuropa in verschiede­ne deutsche Gedenkstät­ten.

Ein bundesdeut­scher Freiwillig­er muss inzwischen seinen Dienst durch Sponsoren selbst finanziere­n. Vorbei ist also die Zeit, als junge Arbeiter noch durch ASF ins Ausland gelangten. Kinder aus Hartz-IV-Familien dürften bei ASF heutzutage die Ausnahmen sein. Das hätte sowohl Hans Richard Nevermann als auch Lothar Kreyssig, so stolz sie auf die Erfolge von ASF bis zu ihrem Tod waren, nicht gefallen.

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