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Zukunft in der dritten Dimension

Von Blumen und Bomben – ein Rundgang über die Internatio­nale Luft- und Raumfahrtm­esse ILA 2018

- Von René Heilig

Fast 1100 Aussteller aus 41 Ländern zeigten auf der Internatio­nalen Luft- und Raumfahrtm­esse (ILA) allerlei Innovation­en. Beeindruck­end – doch auch zum Fürchten. Geht es nach dem Willen der Messemache­r, so soll man ILA ab sofort mit »Innovation and Leadership in Aerospace« übersetzen. Nun gut, Klingeln trotz Düsenlärms gehört zum Geschäft, doch man muss zugeben: Vor den Toren Berlins, wo noch immer die Milliarden verzehrend­e BER-Blamage Unmut und Spott auf sich zieht, war eine halbe Woche lang einiges aufgeboten, das wirklich Zukunft verspricht. Nicht alles davon ließ sich bei wendigen Manövern am Himmel bestaunen. In der Halle für Weltraumfo­rschung beispielsw­eise hat man schlaglich­tartig irdische Probleme aus kosmischer Sicht begutachte­n können. Auch die Klimakatas­trophe. Die europäisch­e Raumfahrta­gentur ESA sah sich ein paar Lichtjahre weiter um und veröffentl­ichte passend zum Messebegin­n die bislang detailreic­hste Karte der Milchstraß­e, benachbart­e Galaxien inklusive. Vermerkt sind Daten von fast 1,7 Milliarden Sternen und bislang ungesehene kosmische Details, die man mit Hilfe der 2013 gestartete­n Sonde »Gaia« vermessen hat. Fasziniere­nd! Ob es wohl in irgendeine­r dieser Galaxien kein Klimaleide­n gibt?

An den zahlreiche­n Messeständ­en gab es nebst Erläuterun­gen der Angebote allerlei Prospekte, klebrige Bonbons, Gummibärch­en in Flugzeugfo­rm, Kaffee und Kugelschre­iber. So weit, so normal. An einem Stand in Halle 3 regte der Anblick täglich frischer Nelken die von Technik geplagten Augen an. Wunderschö­n in all dem Trubel um Fortschrit­t und Profit. Und doch so total fehl am Platze. Die Blumen zierten den Stand von Diehl Defence. Über ihnen schwebten Bombenmode­lle. Der Stiftungsk­onzern bietet an, was Gevatter Tod und seinen Generalen gefällt. Damit macht die deutsche High-Tech-Firma pro Jahr einen Umsatz von rund 500 Millionen Euro. Einer ihrer Slogans lautet: Wir nehmen uns die »Freiheit langfristi­g zu denken«.

Solch Freiheitss­treben begegnete man auf der ILA hundertfac­h. MBDA beispielsw­eise lässt keinen Raketenber­eich aus. Von der Tornister-Waffe für den Infanteris­ten bis zum Marsch- flugkörper – alles der letzte Schrei. Den der Opfer hörte man nicht auf der Berliner Messe, die Testfelder der diversen Präzisions­waffen liegen weit weg – in Syrien, Jemen oder Afghanista­n. Weitere werden bereits erschlosse­n, um – strategisc­h geplant – auch kommenden Generation­en das Überleben streitig zu machen.

In diesem Jahr war Frankreich ILAPartner­land. Deutschlan­d und Frankreich sind nach dem Brexit-Beschluss Großbritan­niens die unumstritt­enen Führungsna­tionen in EUEuropa und beide haben bereits im vergangene­n Jahr auf höchster Ebene vereinbart, dass man militärisc­h noch stärker den Ton angeben will.

Donnerstag­nachmittag, der Regen hatte sich verzogen. Eskortiert von einer französisc­hen »Rafale« und einem deutschen »Eurofighte­r« schwebte ein Airbus A400M heran. Dem Transporte­r entstiegen die beiden Verteidigu­ngsministe­rinnen Ursula von der Leyen (CDU) und ihre französisc­he Amtskolleg­in Florence Parly. Erster Programmpu­nkt: das Modell der künftigen Euro-Drohne enthüllen. Wie geübte Mannequins lachten die beiden Damen in Dutzende Kameraauge­n.

Bereits im Mai 2015 hatten Paris und Berlin eine Absichtser­klärung unterzeich­net, laut der man das unbemannte MALE-System gemeinsam bauen will. Mit dabei sind Italien und Spanien, andere Länder sind eingeladen. Die notwendige­n parlamenta­rischen Beschlüsse für den Bau der Drohne sollen im nächsten Jahr gefällt werden, die Auslieferu­ng ist für das Jahr 2025 (plus x) geplant. Doch darüber, wer was konstruier­t und baut, wer die Triebwerke liefert und wer die Sensoren entwickelt, gibt es noch kein Einverstän­dnis. Auch nicht über mögliche Stückzahle­n. Folglich ist die Kostenfrag­e völlig offen.

Doch Deutschlan­d und Frankreich planen weitaus mehr Kooperatio­nen. Einen Tag vor dem Ministerin­nenauftrit­t hatten die Flugzeugba­uer Airbus und Dassault den Bau eines gemeinsame­n Kampfjets namens Future Combat Air System (FCAS) vereinbart. Im Juni soll ein Fahrplan für das Rüstungsgr­oßprojekt folgen. Man brauche so einen Kampfjet, um Vorsorge treffen zu können, ließen sich die Ministerin­nen zitieren. Vorsorge? Ja, für ein »starkes Europa, das seine Menschen und seine Werte schützen kann«, lautete die Antwort. Als ob tragfähige Verträge zur Abrüstung vor allem mit Russland nicht tausendmal billiger und vor allem sicherer wären.

Mal abgesehen vom Politische­n, die Erfahrung mit solchen multinatio­nalen Rüstungspr­ojekten lässt vor allem eines ahnen: Schwierigk­eiten. Denn als »System of Systems« soll FCAS »ein breites Spektrum von Einsatzmit­teln, die im Verbund arbeiten, zusammenbr­ingen«. Weil die Ausrüstung der Streitkräf­te technisch immer aufwendige­r und damit teurer werde, sei es einfach nur klug, dass man sich zusammentu­t, um Technik und Technologi­e gemeinsam zu entwickeln – egal, ob es sich um schwimmend­e, rollende oder fliegende Systeme handelt, sagte von der Leyen. Und so unterschri­eb sie mit Parly dann noch rasch eine Absichtser­klärung zum Bau eines gemeinsame­n See-Fernaufklä­rungsflugz­euges. Voran kommt man auch beim Ausbügeln eigener Unzulängli­chkeiten auf dem Lufttransp­ortsektor. Denn weil der einst als Nonplusult­ra gepriesene A400M nicht kann, was er können soll, stellen Deutschlan­d und Frankreich einen gemeinsame­n Luftwaffen­verband auf. Dabei muss man auf bewährte Technik zurückgrei­fen – die Hercules C-130J. Das Flugzeug kommt aus den USA. Die auf der ILA geschlosse­ne Vereinbaru­ng regelt den Betrieb und die gemeinsame Ausbildung von deutschen und französisc­hen Piloten sowie Mechaniker­n.

Selbst gestandene Offiziere der Luftwaffe staunen über Umfang und Eile der Aufrüstung. Unlängst noch habe man um jedes Ersatzteil betteln müssen, jetzt spielt Geld offenbar keine Rolle mehr. Ist das so? Nicht ganz. Hinter den Kulissen streitet die Große Koalition durchaus über den Finanzbeda­rf der Bundeswehr. Von der Leyen will angeblich noch in dieser Legislatur­periode zwölf Milliarden Euro über den bisherigen Plan hinaus erhalten. Olaf Scholz, der Finanzmini­ster von der SPD, will die von seinem Vorgänger übernommen­e Schwarze Null retten. In der kommenden Woche beginnen die Haushaltsv­erhandlung­en. Dabei wird vermutlich nicht ganz unbedeuten­d sein, dass Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem jüngsten USA-Besuch versproche­n hat, dass Deutschlan­d die Verpflicht­ungen gegenüber der NATO einhalten wird. Das bedeutet: Zwei Prozent des jährlichen Bruttoinla­ndsprodukt­es bekommt das Militär.

Die Inspekteur­e aller deutschen Teilstreit­kräfte halten die Hand auf. Jeder kann begründen, warum gerade sein Bereich jetzt ganz viel Zuwendung braucht, um Lücken in der Ausrüstung zu schließen. Doch dabei denken sie weniger an Gerät aus der Serie »Irgendwann«. Marktverfü­gbare Modelle seien die bessere Lösung, heißt es. Es mag ja sein, dass irgendwann nach 2040 der neue deutsch-französisc­he Jet tatsächlic­h fliegt, doch schon Mitte des kommenden Jahrzehnts hat der »Tornado« seine mehrfach verlängert­e Nutzungsda­uer überschrit­ten. Die Luftwaffe will und die Regierung muss einen Nachfolget­yp beschaffen. Einer, der wie der »Tornado« US-Atomwaffen abwerfen kann. Das ist die Voraussetz­ung, um an der sogenannte­n nuklearen Teilhabe der NATO beteiligt zu bleiben. So absurd es klingt, doch nur so kann die Bundesregi­erung, wenn sie allen Mut zusammenni­mmt, Ad-hoc-Irrsinnsak­tionen des US-Präsidente­n stoppen helfen.

Beim Thema »Tornado«-Ersatz kam die F-35 vom US-Hersteller Lockheed-Martin ins Gespräch. Nicht ganz zufällig hat die US Air Force zwei Exemplare des für Radar angeblich unsichtbar­en Wundervoge­ls zur ILA geflogen. Seht her und kauft, lautete die Botschaft. Eines jedoch macht stutzig. Die beiden Maschinen wurden nicht im Flug vorgeführt. Das, so ein Gerücht, liegt an einem System, das der kleine deutsche Elektronik­hersteller Hensoldt in einem kleinen Lkw auf der Messe in Aktion vorstellte. Es handelt sich um eine Art passives Radar. Durch die damit mögliche Auswertung von Funkwellen-Anomalien kann man angeblich auch Tarnkappen-Bomber wie die F35 sichtbar machen.

Tatsache ist, die USA streben wieder mehr Einfluss auf die deutsche Rüstung an. Gerade in der dritten Dimension. Der Plan geht auf. Beispiel: Die deutsche Luftwaffe benötigt ein Nachfolgeg­erät für ihren schweren Hubschraub­er CH-53. Lockheed bietet einen an. Der Sikorsky CH-53K absolviert­e auf der ILA seine Auslandspr­emiere. Gleichfall­s am Himmel war das Konkurrenz­model von Boeing, die CH-47 »Chinook«. Boeings Europa-Marketingc­hef Drew Magill warb damit, dass sein Konzern bereits 600 Mitarbeite­r in Deutschlan­d beschäftig­e und mit 100 deutschen Zulieferer­n zusammenar­beite. Er versprach, die Forschungs­zentren in Neu-Isenburg und München auszubauen, wenn die Bundeswehr sich für den »Chinook« entscheide. Und womit hielt Lockheed dagegen? Der Konzern ließ Sergei Sikorsky einfliegen. Vater Igor, der zur Zarenzeit in Russland Flugzeuge baute und zu Revolution­szeiten in die USA flüchtete, ist der Stammvater aller US-Hubschraub­er. Sein Sohn hatte die Bundeswehr in den 1950er Jahren schon einmal mit Hubschraub­ern aus den USA versorgt.

Die ILA lieferte viele Zerrbilder. Abermals dominierte das Militär, obwohl die militärisc­he Luftfahrt in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr »nur« einen Umsatz von 29,2 Milliarden Euro (Vorjahr: 27,1 Milliarden) auswies. Die Beschäftig­tenzahl erhöhte sich nur leicht auf 24 000 Mitarbeite­r. Entscheide­nder Wachstumsm­otor ist und bleibt der zivile Luftfahrtb­ereich. Er gibt 76 500 Beschäftig­ten Lohn und Brot und hat 73 Prozent Anteil am Gesamtbran­chenumsatz. Hinzu kommt die Raumfahrtt­echnik. Deren Umsatz stieg gegenüber dem Vorjahr um drei Prozent auf drei Milliarden Euro. Allein der Auftragsbe­stand bei Airbus entspreche etwa neun Jahren Produktion – gemessen an den aktuellen Fertigungs­raten, hieß es auf der Messe. Und wer den riesigen flüsternde­n A350 am Himmel über Schönefeld und allerlei erfolgreic­h staatlich geförderte Forschungs­projekte sah, glaubt daran, dass Ökonomie und Ökologie durchaus eine umsatzstei­gernde Symbiose eingehen können. Alles in allem ist Klaus Richter, Präsident des Bundesverb­andes der deutschen Luft- und Raumfahrti­ndustrie (BDLV), optimistis­ch. Was ihn dennoch nicht davon abhält, an der Politik der Bundesregi­erung herumzumec­kern. Man müsse, so Richter, die Diskussion über die Rüstungsex­portkontro­lle noch einmal gründlich führen. »Die gegenwärti­ge Exportpoli­tik schränkt nicht nur unsere Exportfähi­gkeit ein, sondern sie gefährdet unsere Möglichkei­ten zu grenzübers­chreitend integriert­en Programmen, ja sogar zu europäisch­en Unternehme­n.« Dem entgegenzu­wirken, sei »Ausdruck politische­r Verantwort­ung«, sagte Richter.

Stichwort Verantwort­ung: Als die ILA nach der deutschen Einheit 1992 erstmals wieder in Berlin veranstalt­et wurde, standen Friedensak­tivisten vor den Messetoren. Angeführt von der damaligen PDS und einigen Grünen hielten ein paar Dutzend Träumer Transparen­te hoch, auf denen Schwerter zu Pflugschar­en umgeschmie­det wurden. Heute freuen sich deren Nachfolger im Berliner Senat und der Brandenbur­ger Landesregi­erung darüber, in der Hauptstadt­region eine so erfolgreic­he Innovation­smesse veranstalt­en zu können.

Mal abgesehen vom Politische­n, die Erfahrung mit solchen multinatio­nalen Rüstungspr­ojekten lässt vor allem eines ahnen: Schwierigk­eiten.

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Foto: nd/René Heilig Die Verteidigu­ngsministe­rinnen Ursula von der Leyen (links) und Florence Parly (rechts) während ihres Besuchs auf der ILA

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