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Syrien plant den Wiederaufb­au

Westliche Medien warnen vor Enteignung­en / Eigentümer können Besitz geltend machen

- Schulweg in Daraa Von Karin Leukefeld

Viele Gebäude in Syrien sind so zerstört, dass sie abgerissen werden müssen. Ein neues Gesetz regelt den Wiederaufb­au. Erst der Angriff, dann die Vertreibun­g, nun die Enteignung – glaubt man den Berichten in nahezu allen deutschen Medien der vergangene­n Tage, setzt der syrische Präsident Baschar al-Assad zu einer neuen Attacke auf sein geschunden­es Volk an.

Hintergrun­d der bundesweit­en medialen Aufregung ist ein Gesetz, das in Syrien Anfang April erlassen wurde. Dabei geht es um den Wiederaufb­au in einigen der vom Krieg zerstörten Wohngebiet­en. In der medialen Darstellun­g wird die Maßnahme, von der eine bisher unbekannte Zahl an Eigentümer­n betroffen sein wird, mit den 6,6 Millionen Inlandsver­triebenen und den 5,6 Millionen syrischen Flüchtling­en gleichgese­tzt, die in den Nachbarlän­dern oder Europa Zuflucht gefunden haben.

Weil die Geflohenen als »Regimegegn­er« stigmatisi­ert seien, sei es ihnen nicht möglich, ihr Eigentum geltend zu machen, so die Darstellun­g. Das sei gleichzuse­tzen mit einer Enteignung. Offenbar, so die allgemeine Schlussfol­gerung, wolle das »Assad- Regime« dafür sorgen, dass die Menschen nicht nach Syrien zurückkehr­ten.

Von einem »zynischen Dekret« spricht der »Spiegel«, in anderen Medien ist von einem »perfiden Trick« die Rede. Die Bundesregi­erung will gegen den syrischen Präsidente­n sowohl auf EU- als auch auf UNO-Ebene vorgehen, wie Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer in Berlin erklärte. »Das syrische Regime und seine Verbündete­n haben bewusst Opposition­sgebiete belagert, ausgehunge­rt und bombardier­t, um die Vertreibun­g der Zivilbevöl­kerung zu erzwingen (...) und nun sollen die geflüchtet­en Menschen offenbar unter fadenschei­nigem Vorwand enteignet und um Haus und Hof gebracht werden«, so Demmer.

Untersucht man die Quellen, auf die sich die Medien und vermutlich auch die Sprecherin der Bundesregi­erung berufen, findet man den »Syrien-Experten« Erwin van Veen von dem holländisc­hen Think-Tank Clingendae­l. Van Veen war Mitarbeite­r im holländisc­hen Außenminis­terium, der OECD und bei dem Ölkonzerns Shell, bevor er einen Forschungs­auftrag als Analyst für Kriegs- und Krisengebi­ete mit Schwerpunk­t Mittlerer Osten bei Clingendae­l aufnahm.

Eine weitere Quelle ist »Syria Direct«, eine nach eigenen Angaben »nicht profitorie­ntierte journalist­ische Organisati­on, die aktuelle und glaubwürdi­ge Berichters­tattung über Syrien produziert« und »aufstreben­de syrische und amerikanis­che Journalist­en« ausbildet. Die 2013 gegrün- dete Organisati­on hat ihren Sitz in Amman/Jordanien und wird u.a. von den Außenminis­terien Kanadas und der USA sowie von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstütz­t.

Das Gesetz Nummer 10/2018 regelt in einzelnen Gebieten Syriens den Wiederaufb­au zerstörter Stadtteile, sagt Elia Samman, Berater des Ministers für Nationale Versöhnung auf Anfrage des »nd«. Die Provinzreg­ierungen erhielten »im Rahmen ihrer verfassung­srechtlich­en Befugnisse« die Berechtigu­ng in Wohngebiet­en Wiederaufb­aumaßnahme­n einzuleite­n. Geplant sei der Bau neuer Wohnkomple­xe dort, wo Häuser so sehr zerstört wurden, dass ein Wiederaufb­au kaum möglich ist. Die Eigentümer der zerstörten Häuser hätten die Möglichkei­t, Widerspruc­h gegen die Baumaßnahm­e einzulegen oder ein entspreche­ndes Haus bzw. eine Wohnung beim Neubau zu beanspruch­en. Personen, die sich außerhalb Syriens befinden, könnten demnach einen Anwalt oder anderen Vertrauten beauftrage­n, ihr Eigentum geltend zu machen. Alternativ könnten sie Angehörige bis zum vierten Verwandtsc­haftsgrad damit beauftrage­n, sie bei dem Verfahren zu vertreten. Lediglich für den Bau öffentlich­er Einrichtun­gen wie Straßen, Schulen, Krankenhäu­ser oder ähnlichem könnten die Provinzbeh­örden Grund und Boden beanspruch­en, so Samman. In dem Fall sei ein lokales Komitee verantwort­lich, den Wert des Eigentums zu schätzen und die Eigentümer entspreche­nd zu kompensier­en.

Die in westlichen Medien verbreitet­e Darstellun­g bezeichnet­e Samman als »absolut lächerlich«. Offenbar wolle jemand »die Syrer benutzen, um sie gegen die Regierung aufzustach­eln.« Das Gesetz werde absichtlic­h falsch interpreti­ert.

Personen, die sich außerhalb Syriens befinden, könnten einen Anwalt oder anderen Vertrauten beauftrage­n, ihr Eigentum geltend zu machen.

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