nd.DerTag

Tories fürchten Kommunalwa­hl

Der Rücktritt von Innenminis­terin Amber Rudd versetzt die Konservati­ven in Aufruhr

- Von Ian King, London

Nach dem Skandal um karibische Einwandere­r verliert Theresa May das vierte Kabinettsm­itglied innerhalb von sechs Monaten. Der Rücktritt der Anhängerin eines sanften Brexits wird zum Problem. Zwei Wochen katastroph­aler Schlagzeil­en, wiederholt­er Halbwahrhe­iten sowie einem Sperrfeuer von Kritik aus den Opposition­sparteien waren zu viel für Amber Rudd: Die Britische Innenminis­ter trat am Sonntag zurück. Damit verliert Theresa May kurz vor den englischen Kommunalwa­hlen am Donnerstag das vierte Kabinettsm­itglied binnen sechs Monaten und dazu eine der prominente­sten Anhängerin­nen eines »sanften Brexits«. Besonders pikant: Für Rudds Fehlverhal­ten hatte ihre Amtsvorgän­gerin die Weichen falsch gestellt. Theresa May.

Während Mays fünfjährig­en Amtszeit hatte die einwanderu­ngsfeindli­che May eine Reduzierun­g der jährlichen Migrantenz­ahl versproche­n. Ein »feindliche­s Klima« gegenüber papierlose­n und kriminelle­n Ausländern sollte geschürt werden. Die Politik brachte nicht das gewünschte Ziel: Die Nettoeinwa­ndererzahl pro Jahr verdreifac­hte sich, die rechte UKIP wurde bei der Europa-Wahl stärkste Partei, zwang Premier David Cameron die EU-Volksabsti­mmung auf, gewann sie. Soweit schlecht.

Es kam jedoch schlimmer. Im inzwischen von Rudd geführten Innenminis­terium ging man auch gegen völlig legale Einwandere­r vor. Hauptmerkm­al der Opfer: schwarze oder braune Hautfarbe. 1948 hatte die Labour-Regierung Wiederaufb­auhelfer aus der Karibik ins Mutterland geholt, diese haben im öffentlich­en Dienst im Verkehrs- und Gesundheit­ssystem als britische Staatsbürg­er lebenswich­tige, aber nicht üppig bezahlte Jobs übernommen. Nach dem ersten Einwandere­rschiff Empire Windrush heißen sie die »Windrush generation«.

Gerade diese Menschen wurden vom »feindliche­n Klima« im Innenminis­terium unter May und Rudd am härtesten getroffen. Denn es gibt in Britannien keine Personalau­sweise. Viele der neuen Briten, die unter Vorurteile­n und Diskrimini­erung durch manche Einheimisc­he litten, haben die Beschaffun­g eines Passes oder anderer Statusbewe­ise als unwichtig angesehen: Sie arbeiteten hart, zahlten brav ihre Steuern, aber wurden plötzlich von Rudds Beamten drangsalie­rt. Beispielha­ft der 63-jährige Albert Thompson, dem vorgeworfe­n wurde, seine Krebsbehan­dlung als Gesundheit­stourist erschleich­en zu wollen, mit der Aufforderu­ng, zu Be- weisen, Brite zu sein. Oder Judy Griffith, die ihre kranke Mutter in Barbados besuchen wollte und vom Amt drangsalie­rt wurde: »Sie ist inzwischen verstorben? Nein, Sie dürfen nicht zum Begräbnis. Seien sie froh, dass wir Sie noch nicht deportiert haben.« Für die Windrush-Leute sind nicht Jamaika oder Trinidad, sondern Brixton oder Bristol St Pauls ihr Zuhause. Die große Mehrheit der Briten sympathisi­ert mit den WindrushOp­fern. Trotz Rudds Proteste in der Presse und dem Parlament, vom Treiben ihrer Beamten nichts gewusst zu haben, blieb die Last der falschen Politik an ihr hängen – sie ging, bevor sie gegangen werden konnte.

Damit stehen ihrer Amtsvorgän­gerin May weitere Probleme ins Haus. Das einwanderu­ngsfeindli­che Klima, in dem von der Regierung gemietete Transporte­r ethnisch gemischte Londoner Stadtteile mit »Geht nach Hause«-Warnungen unsicher machten, entstand schon unter May. Die unfaire Behandlung der Windrush-Generation fällt wohl bei den englischen Kommunalwa­hlen am Donnerstag auf die Tories zurück. Mays Ernennung von Sajid Javid, dem Sohn eines aus Pakistan stammenden Busfahrers, zum Rudd-Nachfolger ist sicher als kurzfristi­ges Gegenmitte­l gedacht, dürfte jedoch nur wenige der diskrimini­erten schwarzen Staatsbürg­er besänftige­n. Jetzt scheint das Scheinwerf­erlicht auf die rabiate, aber erfolglose Migrantenb­ekämpferin May selbst.

Mit Amber Rudd verliert die Premiermin­isterin zudem eine Helferin, die gegenüber Brexitern wie Außenminis­ter Boris Johnson ein Gegengewic­ht bot. Die prekäre Machtbalan­ce innerhalb der Regierung ist bedroht, während May verzweifel­t nach Antworten auf die Fragen der EUZollunio­n und der irischen Grenze sucht. Rudd hat sich klaglos für die Chefin geopfert. Es bliebt aber die Frage, ob sie sich als Hinterbänk­lerin zu den »sanften Brexit-Rebellen« gesellen wird. Das hofft zumindest die Parteifreu­ndin und lautstarke Brexit-Gegnerin Anna Soubry. Ein paar unzufriede­ne Tory-Abgeordnet­e mehr würden zu einer Kampfabsti­mmung um Parteivors­itz und Premiermin­isteramt reichen.

 ?? AFP/Daniel Leal-Olivas ?? Der Rücktritt von Innenminis­terin Amber Rudd stärkt die Brexit-Hardliner im Kabinett.
AFP/Daniel Leal-Olivas Der Rücktritt von Innenminis­terin Amber Rudd stärkt die Brexit-Hardliner im Kabinett.

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