nd.DerTag

Kreuzberg schafft sich ab

- Hält Maigörli für den neuen Ballermann

Johanna Treblin Kreuzberg schafft sich seine Probleme selbst. Erst wurde das MyFest gegründet, um den Kiez zu »befrieden«: Am 1. Mai sollten keine Autos mehr brennen und keine Schaufenst­er mehr eingeworfe­n werden. Das hat zwar geklappt. Aber jetzt ist die Partymeute da.

Von Moritzplat­z bis Görlitzer Ufer dominieren seit 15 Jahren an jedem 1. Mai Bier, Bratwurst und Sonnenbril­len in Neonfarben. Wer am Tag der Arbeit lieber feiern will, statt sich auf den Gewerkscha­ftsdemos der politische­n Willensbil­dung hinzugeben, kommt nach Kreuzberg. Weil das auch den Bezirksver­antwortlic­hen zu bunt wurde, experiment­ierte man 2016 mit weniger Bühnen und weniger Toiletten, in der Hoffnung, dass ein kleineres Angebot auch die Nachfrage schmälere. Ohne Erfolg. Deshalb wurde jetzt die Gegenstrat­egie gefahren: Das MyFest, wenn auch unter anderem Namen, wurde erbarmungs­los erweitert. Mit der Konsequenz, dass Kreuzberg an diesem Tag noch weitläufig­er abgesperrt wurde, noch weniger erreichbar war und sich die Partymeute erst recht eingeladen fühlte.

Was kommt als nächstes? Wird 2019 auch das Ufer des Landwehrka­nals zum institutio­nalisierte­n Ballermann ausgerufen? Das werden die Anwohner hoffentlic­h zu vermeiden wissen. Immerhin sollen sie eingebunde­n werden, ein Konzept für die künftigen Maifeierta­ge zu entwickeln.

Doch wer Kreuzberg am 1. Mai wieder lebenswert machen will, muss den ganzen Partyzirku­s komplett abschaffen. Dann besinnen sich die ganzen Feierfreud­igen vielleicht auch wieder darauf zurück, dass dies eigentlich ein politische­r Feiertag ist. Einer, an dem man sich gerade nicht mit (teurem) Bier und Spielen betäuben lassen sollte.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ??
Foto: nd/Ulli Winkler

Newspapers in German

Newspapers from Germany