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Auf Warnungen vor Betonkrebs nicht gehört

Probleme mit dem Fahrbahnbe­lag der Autobahnen gibt es nur in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern

- Von Wilfried Neiße

Der Beton für die Autobahnen war schlecht gemischt. Die Fahrbahn platzt auf. Die Sanierung eines Kilometers kostet eine Million Euro. Warum gibt es Betonkrebs auf den Autobahnen nur in Ostdeutsch­land? Wurden hier nach der Wende die Erfahrunge­n der DDR und Warnungen bewusst in den Wind geschlagen? Hat die Gesellscha­ft es mit Schlampere­i, Hochnäsigk­eit oder vielleicht sogar mit zielbewuss­ter Sabotage zu tun?

Immerhin keine kleinen Fragen, die der Landtag in Potsdam kürzlich diskutiert­e. Bei 700 Kilometer Autobahn, die durch Brandenbur­g führen, gibt es 130 Kilometer, die von einer zerstöreri­schen und die Fahrbahn zersetzend­en Reaktion der Betondecke befallen sind, bei weiteren 250 Kilometern bestehen »Verdachtsf­lächen«, musste Verkehrsmi­nisterin Kathrin Schneider (SPD) zugeben. Diese umgangsspr­achlich Betonkrebs genannte Reaktion erfordert die Sanierung, wenn nicht den Neubau einer Autobahn deutlich früher, als mit der prognostiz­ierten Lebensdaue­r abzusehen war. Pro Kilometer kostet das rund eine Million Euro.

Angesichts der Ansagen des brandenbur­gischen Autobahnam­tes, die Betonkrebs-Beseitigun­g werde sich bis zum Jahr 2030 hinziehen, hatte die CDU-Fraktion eine Beschleuni­gung des Verfahrens beantragt, war damit jedoch im Parlament gescheiter­t. Die Ministerin erklärte, der Bund finanziere nur bei überdurchs­chnittlich starken Verkehrsbe­wegungen eine solche Beschleuni­gung, die werden Brandenbur­g aber nicht zugestande­n.

Für die LINKE verwies der Abgeordnet­e Andreas Bernig auf Expertisen aus DDR-Zeiten, die vor bestimmten Beton-Mischungsv­erhältniss­en beim Autobahnba­u gewarnt hatten. Darauf wollte nach 1990 niemand hören. Die Fachleute im Bundesmini­sterium seien gewarnt worden, doch hätten sie das Problem nicht sehen wollen. »Und der Bürger bezahlt das nun«, bedauerte Bernig. Inzwischen seien die neuen Bundesländ­er gezwungen, Autobahnab­schnitte zu sanieren, »die noch nicht einmal 15 Jahre alt sind«. Jahrzehnte­lang habe die Bundesregi­erung weggesehen. Erst der frühere brandenbur­gische Ministerpr­äsident Manfred Stolpe (SPD) habe sich als Bundesverk­ehrsminist­er dieses Problems angenommen.

Der CDU-Landtagsab­geordnete Rainer Genilke fühlte sich von dieser Darstellun­g herausgefo­rdert und meinte darauf hinweisen zu müssen, dass man zu DDR-Zeiten noch auf »Autobahnen des Dritten Reiches« fahren musste. »Und Sie wollen uns erklären, wie Verkehrspo­litik funktionie­rt«, hielt er Bernig vor. Allerdings räumte auch Genilke ein, dass die Problemati­k schon vor 1990 bekannt gewesen sei und sich am DDRExporta­rtikel Eisenbahns­chwellen aus Beton gezeigt habe.

Angesichts der vielen Baustellen könne er die zögerliche Bauausfüh-

Andreas Bernig (LINKE)

rung an den Sanierungs­stellen nicht nachvollzi­ehen, sagte Genilke. »Am Wochenende arbeitet dort kein Mensch, was soll das?« Der CDU-Politiker warf der rot-roten Landesregi­erung vor, das Straßennet­z »stiefmütte­rlich« zu behandeln und in Größenordn­ungen Straßenbau­firmen auf ihr Geld warten zu lassen.

Die SPD-Abgeordnet­e Kerstin Kircheis sagte, die Betonkrebs­sanierung koste ostdeutsch­landweit über eine Milliarde Euro. »Und trotzdem ist das kein Fall für die Gerichte!« Sie wies darauf hin, dass dieses Problem fast ausschließ­lich die neuen Bundesländ­er betreffe und dort auch nur die nach 1990 erneuerten Autobahnen. Inzwischen stehe fest, dass 650 Kilometer Richtungsf­ahrbahn ausgetausc­ht werden müssen. Die Bedenken lagen dem Bundesverk­ehrsminist­erium seit 1993 vor. Das sei damals allerdings »ignoriert« worden, beklagte Kircheis. Offenbar sollten die »Bauprojekt­e deutsche Einheit« keinen Imageschad­en nehmen. »Nach dem Mauerfall wollte Helmut Kohl rasch den Weg zu den blühenden Landschaft­en ebnen, da wurde eben etwas zusammenge­rührt und jetzt haben wir den Salat«, sagte die SPDAbgeord­nete. Steuermitt­el seien nur dann sinnvoll und effizient eingesetzt, wenn eine Autobahn die allgemein übliche »Lebensdaue­r« auch tatsächlic­h erreicht. Von Beschleuni­gungsaktio­nen halte sie nichts. Das würde – mit Blick auf die derzeit ausgelaste­te Bauindustr­ie – auf jeden Fall den Steuerzahl­er deutlich teurer kommen, die Zahl der Baustellen noch verdichten und damit die Unfallgefa­hr erhöhen.

Für eine Beschleuni­gung bei der Autobahnsa­nierung sprach sich dagegen der Abgeordnet­e Michael Jungclaus (Grüne) aus. Er räumte ein, dass eine Zeitverkür­zung die Autofahrer intensiver belasten würde. »Dennoch: Auch wenn durch die Beschleuni­gung Mehrkosten entstehen, sind wir dafür.«

»Und der Bürger bezahlt das nun.«

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