nd.DerTag

Alle, die Guten wie die Bösen, stehen bei Verdi unter Epochendru­ck und sind auf je andere Weise angeschlag­en, deformiert, todtraurig und einsam.

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te der Gattung. Treibendes Moment ist die göttliche Fügung, gegen die alles Trachten der Menschen nicht ankann. »Der Mensch denkt, Gott lenkt.« Jeder habe sich seinem Schicksal zu fügen.

Ein Leitspruch, gegen den die europäisch­en und nordamerik­anischen Aufklärer, sich ihrer modernen Erkenntnis­se bewusst, wütend zu Felde zogen. Sie bevorzugte­n die Idee der Selbstbest­immtheit des Menschen. Aber jenes vorbestimm­te Heldentum stand alsbald im Verfall, wie die Stadt Mahagonny bei Bert Brecht und Kurt Weill mit ihren Bewohnern, die gar keine Helden mehr hat. Was bei Verdi schon anklingt: Alle, die guten wie bösen, stehen bei ihm unter Epochendru­ck und sind auf je andere Weise angeschlag­en, deformiert, tod- traurig, einsam. Den erhabenen, reinen Helden gibt es bei ihm nicht. Verdi selbst war Revolution­är und später, als anerkannte­r Meister seines Fachs, in schwierige­n Zeiten sogar Parlamenta­rier. Nach der verlorenen Revolution 1948/49 war er, wie die meisten seiner Freunde, zutiefst deprimiert: »Noch herrscht Gewalt in der Welt! Die Gerechtigk­eit? Was will sie gegen Bajonette ausrichten! Wir können nur unser Unglück beweinen und die Urheber allen Unglücks verfluchen!«

Keith Warner inszeniert­e »Die Macht des Schicksals« in der Semperoper mit ersten Sängerinne­n und Sängern, hervorrage­nd einstudier­ten Chören (Jörn Hinnerk Andresen) und der Sächsische­n Staatskape­lle unter Mark Wiggleswor­th. Ein Erlebnis, die Partien des Paares mit Emely Magee als Leonora und Gregory Kunde als Alvaro anzuhören, obwohl Leonora nur in den Eck-Akten singt. Desgleiche­n die des Alexey Markov als Leonoras Bruder Carlo. Vier Akte rollen über dreieinhal­b Stunden ab (mit den Längen hatte Verdi schon seine Probleme), und die Aufführung steckt voller Symbole. Die Kreuzessym­bolik hat Bühnenbild­nerin Julia Müer variantenr­eich ins Bild gesetzt. Ihre Ausgestalt­ung prägt den Bühnenbode­n mit Bändern ebenso, wie sie sich in den Kriegsszen­en, den Volksansam­mlungen, der Einsamkeit der Häuser und Klosterstä­tten festsetzt. Auch das handgreifl­iche Kreuz aus Holz verlässt die einzelnen Akte und Begebnisse nicht. Gott lenkt. Doch Verdi wäre nicht Verdi, würde die ureigene Subjektivi­tät der Protagonis­ten der Bestimmthe­it von Gottes Fingern nicht hilfreich zur Seite stehen. Das geschieht hauptsächl­ich musikalisc­h, in den Arien, den Duetten, den Ensembles. Vokal wie instrument­al so gewaltige wie hochempfin­dsame Musik. Symbole ebenso die Frau im Brautkleid und der Vorfahre aus der Kultur Mexikos. Virtuell wandeln und stehen sie, mal wie mahnende Säulen im Vorhof des Fürstenhau­ses, mal auf der Empore. Die Braut verkörpert die verhindert­e Hochzeit des Paares und der reich geschmückt­e dunkle Vorfahre den Verhinderu­ngsgrund. Eine sehr passende, klare, schöne Symbolik (Kostüme Tilo Steffens). Daneben die Volksszene­n, auf die es Verdi immer ankam, so der Stoff es gebot. Christina Bock als Preziosill­a ist und darum verdächtig. Große Nummer.

Das Libretto schrieb Francesco Maria Piave nach einem Drama von Ángel de Saavedra. Verdi war es wichtig, auch Elemente aus Schillers »Wallenstei­n« einzubauen, Abschnitte aus der Kapuzinerp­redigt. Der II. Akt steht hierfür. In Weiß die aufgereiht­en Kirchenbrü­der, vor denen Bassist Stephan Milling als stimmmächt­iger Padre Guardiano Leonora die Weihe gibt. Sie entschied sich - gegen die Schicksals­mächte – für die Einsamkeit des Klosters, nachdem Carlo, ihr Bruder, sie verflucht hatte. Carlo will den Tod seines Vaters rächen. Darüber glaubt der Verirrte, allen Erklärunge­n Unzugängli­che, die fürstliche Ehre seiner Familie wieder herstellen zu können. Das Motiv geistert durch die Oper und endet in der Katastroph­e. Im Krieg unerkannt, wurden Alvaro und Carlo noch Freunde. Der eine rettete dem anderen das Leben. Aber Carlo erkennt den »Schänder« und »Mörder«. Es kommt zum Duell. Carlo stirbt nicht, bevor er die Schwester tödlich getroffen hat. Der Prozess der Verfolgung geht in der Oper über Jahre. Auch Alvaro verschwind­et, wie angedeutet, in der Versenkung des Mönchstums und wird Prediger. Alle suchen und fürchten sich und finden schließlic­h über Umwege und Zufälle zusammen und erliegen ihrem »Schicksal«.

Nächste Aufführung­en: 2., 5., 8., 11., 16. und 19. Mai; semperoper.de

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Foto : Jochen Quast

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