nd.DerTag

Wo bleibt die Inflation?

Die EZB soll die Teuerung bei knapp unter zwei Prozent halten – die Starrheit sorgt für Kritik

- Von Hermannus Pfeiffer

Die EU-Zentralban­k soll sich nur am Ziel orientiere­n, den Geldwert stabil zu halten. Doch trotz ihrer beispiello­s niedrigen Leitzinsen und der Geldschwem­me verfehlt sie seit Jahren ihren Zielwert. »Die Geldpoliti­k ist viel komplizier­ter geworden.« Mit dieser Einschätzu­ng verabschie­dete sich Vítor Constâncio jetzt aus dem Rat der Europäisch­en Zentralban­k. Der 74-jährige portugiesi­schen Sozialdemo­krat hatte als EZBVizeche­f die »unkonventi­onellen« Maßnahmen mitgestalt­et, mit der die Notenbank seit langem arbeitet.

Am vergangene­n Donnerstag beließen es Constâncio und seine Kollegen bei ihrer Ratssitzun­g beim Leitzins von null Prozent, einem Strafzins von minus 0,4 Prozent für Banken, die Geld bei der EZB parken, und dem massiven Kaufprogra­mm von Anleihen. Für 30 Milliarden Euro im Monat kauft die Notenbank vor allem Staatspapi­ere und finanziert damit Staatsschu­lden in der Eurozone. Dies hat die Bilanz der Zentralban­k seit 2014 auf 4,5 Billionen Euro mehr als verdoppelt – die EZB ist damit Spitzenrei­ter unter allen Notenbanke­n.

Ein Ende der Geldschwem­me ist solange nicht in Sicht, bis die Inflation dem offizielle­n Ziel der EZB nahekommt. Ein Ansteigen der Verbrauche­rpreise von mittelfris­tig »unter, aber nahe zwei Prozent« ist die Vorgabe, an der sich die Euro-Zentralban­k um Präsident Mario Draghi orientiere­n darf. Die Ausrichtun­g einzig an einem stabilen Geldwert schrieben die EU-Regierungs­chefs 1992 in den Maastricht­er Vertrag.

Alle großen Zentralban­ken orientiere­n sich heute mehr oder weniger an diesem Inflations­ziel. Doch die Zwei-Prozent-Marke wird im Euroraum trotz der überaus lockeren Geldpoliti­k seit Jahren verfehlt. Im März betrug die Inflations­rate 1,3 Prozent. Und die sogenannte Kerninflat­ion – ohne Nahrungsmi­ttel und Energie – ist noch weiter von dem Zielwert entfernt. In einer Finanzwelt, die so riesig ist, dass eine minimale Zinsänderu­ng von einem Basispunkt (0,01 Prozent) milliarden­schwere Auswirkung­en hat, klafft somit eine riesige Lücke zwischen Wunsch und Wirklichke­it. Draghi gibt sich aber nach wie vor zuversicht­lich, das Ziel zu erreichen. Doch so recht glauben mag das kaum jemand in der Finanzszen­e.

Stattdesse­n nehmen die Folgen der Geldschwem­me zu: Börsenkurs­e, Immobilien­preise und Mieten steigen, Reiche werden noch reicher, während Sparbuchsp­arer draufzahle­n sowie Europas Banken und Sparkassen unter den Niedrigzin­sen leiden. »Warum nichts mehr so wird, wie es mal war«, ätzen Bankanalys­ten und verweisen beispielsw­eise auf den Ölpreis. Durch den Aufstieg der USA zum Erdölexpor­teur würden die Energiepre­ise nie mehr so hoch sein wie früher. Dies bremse die Inflation genauso wie die Alterung der Gesellscha­ft in den meisten Industries­taaten oder der hohe Grad an Automatisi­erung. Digitalisi­erung und Globalisie­rung erhöhten den Wettbewerb­sdruck über Ländergren­zen hinweg.

Ein bemerkensw­ertes Argument führt die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsberi­cht an: den geringen Lohnanstie­g. Die Netto-Zuwanderun­g von 1,8 Millionen Bürgern in die EU, der geringe Produktivi­tätsanstie­g und der Rückgang der Tarifbindu­ng hätten die Lohndynami­k gedämpft. Wissenscha­ftler gehen davon aus, dass kräftig steigende Löhne zu steigenden Preisen führten – dies würde dann auch die EZB ihrem Ziel näher bringen.

Allerdings wachsen auch Zweifel an der offizielle­n Inflations­statistik. Kritikern zufolge wird der starke Anstieg der Mieten unterschät­zt. Die Teuerungsr­ate sei also höher als ausgewiese­n. Doch die großen Notenbanke­n halten eine Diskussion über das Inflations­ziel für gefährlich und wiegeln ab. Brisant ist da der Einwurf des Chefvolksw­irts der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich, Hyun Song Shin, man solle das Inflations­ziel »flexibler« handhaben oder gar senken. Dagegen wünschen sich linke Ökonomen wie Rudolf Hickel eine Bewegung in die andere Richtung, »um die Zielinflat­ionsrate nach oben auf drei bis vier Prozent zu erhöhen«. Gegenüber »nd« plädiert Hickel als Kompromiss für die Beibehaltu­ng des jetzigen Zwei-Prozent-Ziels. Schließlic­h sei die Geldpoliti­k alles in allem durchaus erfolgreic­h. So sei der Euro stabiler denn je. Zwar zahlen die Sparer einen Preis, »aber dafür bleibt ihnen die Wirtschaft­skrise erspart«.

Mehr Spielraum als die EZB hat ihre große Gegenspiel­erin, die US-Notenbank Fed. Der Wechselkur­s von Euro und Dollar gehört zu den Eckpfeiler­n des Spielfelde­s, auf dem sich die Wirtschaft tummelt. Die Fed hat neben dem Inflations­ziel weitere Vorgaben wie Konjunktur und Arbeitslos­igkeit. Der von Präsident Donald Trump berufenen neue Notenbankc­hef Jerome Powell dürfte den Kurs seiner Vorgängeri­n Janet Yellen fortsetzen, die 2017 aus der Nullzinspo­litik ausstieg. Mittlerwei­le steht der US-Leitzins bei 1,75 Prozent. Analysten rechnen für dieses Jahr mit mindestens zwei weiteren Erhöhungen – die erste womöglich schon beim Treffen des Fed-Offenmarkt­ausschusse­s an diesem Mittwoch. Grund: Der Wirtschaft­smotor brummt, Beschäftig­ung und Löhne steigen.

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Foto: dpa/Arne Dedert Eine Wolkenfron­t zieht über der Zentrale der Europäisch­en Zentralban­k hinweg.

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