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Abrechnung mit der »Troika-Giftmischu­ng«

Neues Buch zur Eurokise bietet viel Empirie, klare linke Analyse und scharfe Kritik an der deutschen Wirtschaft­spolitik

- Von Thomas Trares

Noch immer dominiert das merkantili­stische deutsche Exportmode­ll die wirtschaft­spolitisch­en Perspektiv­en im Euroraum. Zu Unrecht, wie ein neues Buch aufzeigt. Heiner Flassbeck zählt zu den profiliert­esten linken Ökonomen im deutschspr­achigen Raum. Schon lange wettert der frühere Finanzstaa­tssekretär und Chefvolksw­irt der UNHandelso­rganisatio­n UNCTAD gegen das hiesige Lohndumpin­g. Deutschlan­d habe damit seine Arbeitslos­igkeit exportiert, seine Handelspar­tner niederkonk­urriert und gegen fundamenta­le Regeln der Europäisch­en Währungsun­ion (EWU) verstoßen. Nun hat er ein Buch zu dem Thema veröffentl­icht – Titel: »Das Euro-Desaster – Wie deutsche Wirtschaft­spolitik die Eurozone in den Abgrund treibt«. Koautor ist Jörg Bibow, der am Levy Economics Institute der UNCTAD forscht und in den vergangene­n Jahren viel zum Thema EuroKrisen­management publiziert hat.

Das Buch selbst ist zunächst eine Aufarbeitu­ng der Eurokrise, die vor zehn Jahren zuerst als Konjunktur­und Finanzkris­e begann sowie später zu einer Staatsschu­ldenkrise umgedeutet wurde. Aus Sicht der Autoren ist die Krise bis heute nicht gelöst. Bis auf Irland habe keines der infizierte­n Länder beim Bruttoinla­ndsprodukt sein Vorkrisenn­iveau wieder erreicht. Die Autoren machen dafür die »Troika-Giftmischu­ng« aus Austerität und Lohnsenkun­gen verantwort­lich. Diese Politik »war ein krasses Desaster, speziell für die Eurokrisen­länder, aber auch für die Eurozone insgesamt, die bis heute fragil und vom Zusammenbr­uch bedroht bleibt«, schreiben sie.

Neben Irland analysiere­n Flassbeck und Bibow auch die Lage in den anderen Krisenländ­ern, sprich in Griechenla­nd, Italien, Spanien, Portugal, Zypern und Lettland. Betrachtet wird außerdem die Entwicklun­g in Deutschlan­d und Frankreich, den beiden größten Volkswirts­chaften der Eurozone. Der Leser muss sich dabei auch auf eine Fülle von Grafiken so- wie einige theoretisc­he Ausführung­en einstellen, etwa zur Höhe der keynesiani­schen Multiplika­toren sowie zum Thema »interne Abwertung«. Dies dient dazu, den Erfolg bzw. Nicht-Erfolg der verordnete­n Krisenmedi­zin verständli­ch zu machen.

Heiner Flassbeck und Jörg Bibow

Das Buch ist aber nicht nur eine Analyse der Eurokrise, sondern vor allem auch eine äußerst deftige Abrechnung mit der deutschen Wirtschaft­spolitik. Sie kritisiere­n scharf die »gezielte Exportförd­erung bei gleichzeit­iger Importbehi­nderung – mittels innerer Disziplin«. Dabei fal- len deutliche Worte. So ist von einem »großdeutsc­hen Merkantili­smus« die Rede, von »Trittbrett­fahrertum im globalen Exportgesc­häft« oder von »Überstrate­gen des Merkantili­smus«, die »nichts von Makroökono­mik und Finanzen verstehen«.

Die Strategie der Lohnzurück­haltung indes hat eine lange westdeutsc­he Tradition. Bereits 1950 hatte der damalige Bundeswirt­schaftsmin­ister Ludwig Erhard diese in einem Brief an Wilhelm Vocke, seinerzeit Präsident der Bank deutscher Länder, gefordert, die deutsche Wirtschaft­spolitik solle sich darauf konzentrie­ren, die preisliche Wettbewerb­sfähigkeit zu erhöhen. Die »kritische Zutat« hierzu sollte »innere Disziplin« sein. Zum Problem für Europa wurde diese Strategie Jahrzehnte später. »Die Prozesse und Fehlentwic­klungen, die durch die deutsche Lohnzurück­haltung in der Zeit ab Mitte der 1990er Jahre bis 2010 angetriebe­n wurden, bilden die Hauptursac­he für die bis heute ungelöste Eurokrise«, schreiben Flassbeck und Bibow.

An diesem Zustand wird sich auch so schnell nichts ändern, denn inzwischen ist das deutsche Modell zum Vorbild für die gesamte Eurozone geworden. Selbst Frankreich, das sich lange Zeit an der Stabilität­snorm der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) orientiert hat, ist auf den deutschen Kurs eingeschwe­nkt. Die beiden Autoren halten die Verfolgung des deutschen Modells für die Eurozone insgesamt für »illusionär«. »Wer auf diese Illusion baut, macht die Rechnung ohne den Wirt – die Weltgemein­schaft wird es auf Dauer nicht tolerieren.«

Alles in allem ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Eurokrise. Es zeigt nicht nur die Ursachen und Symptome auf, sondern liefert auch einen sehr guten Überblick über die Situation in den Krisenländ­ern und kann damit auch gut als Nachschlag­ewerk zur Eurokrise dienen.

»Wer auf diese Illusion baut, macht die Rechnung ohne den Wirt – die Weltgemein­schaft wird es auf Dauer nicht tolerieren.«

Heiner Flassbeck, Jörg Bibow: Das EuroDesast­er. Wie deutsche Wirtschaft­spolitik die Eurozone in den Abgrund treibt, Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2018, 224 Seiten, 20 €.

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