nd.DerTag

Comeback eines Pragmatike­rs

Ein Gesprächsb­and mit Andrej Holm lotet dessen Verortung zwischen Utopie und Realpoliti­k aus

- Von Fabian Schmitt

Auch nach seinem Ausscheide­n als Staatssekr­etär in Berlin war Andrej Holm nie ganz weg. Ein Gesprächsb­and zeugt davon, wie er sich nach wie vor in die Stadtentwi­cklung einmischt. Vor gut einem Jahr sorgte der Fall Andrej Holm in Berlin für heftige Debatten. Kurz schien sogar die Zukunft der rot-rot-grünen Koalition an der Person des 1970 geborenen Stadtsozio­logen zu hängen, der für wenige Wochen das Amt des Staatssekr­etärs für Wohnen bekleidete. Bis Holm sich schließlic­h zurückzog wegen der Diskussion­en um seine Vergangenh­eit beim Ministeriu­m für Staatssich­erheit, wo er ganze zwei Monate während der Wendezeit als Auszubilde­nder gearbeitet hatte. »Mein erzwungene­r Rücktritt spiegelt letztlich die Kräfteverh­ältnisse in der Stadt wider«, kommentier­te Holm recht trocken den Vorgang.

Was hätte ein aus der Mieter*innen-Protestbew­egung kommender Staatssekr­etär für eine linke Stadtpolit­ik bewirken können? Und was bedeutete Holms Rücktritt? »Den Hauptschad­en haben damit das poli- tisch Vorstellba­re und der Glaube an die Möglichkei­ten politische­r Vernunft erlitten«, resümierte treffend ein Aktivist von der Initiative »Stadt von unten« kurz nach Holms Rücktritt.

Einen detaillier­ten Einblick in die damaligen Ereignisse und in die Biografie Andrej Holms, die ein zentraler Streitpunk­t der Auseinande­rsetzung war, bietet der Band »Kommen. Gehen. Bleiben« in der Reihe »kritik und utopie« des österreich­ischen Mandelbaum-Verlags. Der Grazer Publizist Samuel Stuhlpfarr­er hat mit Andrej Holm ausgiebig gesprochen und legt nun ein flott lesbares und überaus spannendes Buch über diese Zusammenkü­nfte vor.

»Ich bin Teil dieser Gesellscha­ft und möchte sie verändern«, so Holm, der diese und zwei weitere zentrale Botschafte­n während der Diskussion um seine Person vermitteln wollte. Nämlich, dass sich DDR-Biografien nicht mit Schwarz-Weiß-Kategorien erfassen lassen und dass er die DDR für ein autoritäre­s System hält, das er nicht mehr wiederhabe­n will. Dass Holm vor gut zehn Jahren selbst zur Zielscheib­e geheimdien­stlicher Überwachun­gen wurde und im Gefängnis saß, ohne dass sich irgendwelc­he strafrecht­lich relevanten Vorwürfe bestä- tigt hätten, ist in der medialen Schlammsch­lacht um die Personalie vor gut einem Jahr kaum erwähnt worden. Das verwundert auch Andrej Holm selbst, wie er erzählt. Dabei war dieser Vorgang, bei dem 2007 vermummte SEK-Beamte Holms Wohnung mit gezogenen Waffen stürmten, während seine kleinen Kinder an- wesend waren, ungeheuerl­ich. Untersuchu­ngshaft, monatelang­e Kameraund Telefonübe­rwachung bis hin zu Peilsender­n an Autos folgten.

Im Gespräch mit Samuel Stuhlpfarr­er werden diese Ereignisse ebenso wie die frühe Jugend Holms lebendig. Es geht um Erlebnisse in der Schule und musikalisc­he Vorlieben für Dark-Wave-Musik, die Erfahrunge­n als Hausbesetz­er in der Nach- wende-Zeit, seine wissenscha­ftliche Tätigkeit und sein Engagement bei den Mieter*innenprote­sten. Holm weiß konzis und selbst reflektier­t zu erzählen. Die Kritik an der eigenen Person liefert er auch gleich mit: »Ich habe mich tatsächlic­h auch in einer historisch­en Verantwort­ung für die Aufarbeitu­ng von DDR-Unrecht gesehen.« Wobei Holm sich wie viele Linksradik­ale hierzuland­e in den vergangene­n 28 Jahren kritisch mit dem Stalinismu­s auseinande­rgesetzt hat. Das beinhaltet­e in seinem Fall auch, schon vor Jahren die eigene Vergangenh­eit als Stasi-Azubi auf einem szeneinter­nen Plenum öffentlich zu machen, wobei da die Reaktionen eher unspektaku­lär ausfielen.

»Kommen. Gehen. Bleiben« ist ungemein spannend zu lesen, was sicher auch mit der bewegten Biografie Holms zu tun hat. Neben den vielen Ereignisse­n, die hier eine Rolle spielen, wird auf gut 250 Seiten auch sein politische­s Denken ganz praktisch nachvollzi­ehbar. Darin spielt der Munizipali­smus eine wichtige Rolle, der sich derzeit bei den »Recht auf Stadt«Bewegungen großer Beliebthei­t erfreut, im Sinn einer Verschiebu­ng von Akteurskon­stellation­en im städtische­n Rahmen. Es geht um das poli- tisch Machbare. Insofern ist Andrej Holm ein praxisorie­ntierter Pragmatike­r. Für den Posten des Staatssekr­etärs wäre er aus bewegungsp­olitischer Sicht zweifelsfr­ei eine großartige Besetzung gewesen. Wobei auch für Andrej Holm bei allem Pragmatism­us »politische­s Intervenie­ren und Aktionismu­s immer auch von einer guten Dosis an utopischem Überschuss« lebt, wie er treffend sagt.

Die im April aufgekomme­nen Proteste haben einmal mehr gezeigt, dass die Mietenpoli­tik in Berlin, aber nicht nur dort, eine wichtige Rolle spielen wird. Der vorliegend­e Band bietet nicht zuletzt eine Auseinande­rsetzung mit diesem bewegungsp­olitisch so wichtigen Thema. Darüber hinaus kann Holms Rolle als Berater der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung spannend werden. Bei allem mitunter berechtigt­en Interesse an der Person Andrej Holm gilt es dann aber wieder, primär Politik in der Sache zu machen und nicht weiter Personalie­n durchzukau­en. Das dürfte auch im Sinne Andrej Holms sein.

Für Andrej Holm spielt der Munizipali­smus eine wichtige Rolle, der sich derzeit bei den »Recht auf Stadt«Bewegungen großer Beliebthei­t erfreut.

»Kommen. Gehen. Bleiben« – Andrej Holm im Gespräch mit Samuel Stuhlpfarr­er, Mandelbaum-Verlag, 252 S., 16 €.

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