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Ökonomie in Nordsyrien

- Von Alp Kayserilio­ğlu

Realität und Potenzial der Wirtschaft­sordnung im Rojava genannten Norden Syriens werden in der Linken kontrovers diskutiert. Zur Debatte steht dabei, ob die im Rahmen des »Demokratis­chen Konföderal­ismus« angestrebt­e Wirtschaft­sordnung eine Überwindun­g des Kapitalism­us darstellt oder ihn allenfalls modifizier­en kann. Der Demokratis­che Konföderal­ismus wird von seinen Anhänger*innen als Theorie zur Erreichung eines nichtstaat­lichen, herrschaft­sfreien Gemeinwese­ns verstanden, das auf Prinzipien der radikalen Demokratie, der Ökologie und des Feminismus beruht.

Schaut man sich die Schriften Abdullah Öcalans, zentraler Theoretike­r des Demokratis­chen Konföderal­ismus, an, so lassen sich darin unterschie­dliche Elemente ausfindig machen: einerseits klassisch liberale Denkfigure­n, die entlang einer Entgegense­tzung von natürliche­r, demokratis­cher Gesellscha­ft und repressive­m, autoritäre­m Staat argumentie­ren. Diese Passagen nehmen sich korporatis­tisch aus und stellen sich explizit gegen eine Thematisie­rung von Klassengeg­ensätzen. Anderersei­ts finden sich ebenso antikapita­listische Elemente, die auf eine Aufhebung oder Einschränk­ung der profitwirt­schaftlich organisier­ten kapitalist­ischen Produktion­sweise hin zu einer kooperativ­en und kommunalen Ökonomie zielen.

Der Verfassung Rojavas aus dem Jahre 2014 sieht man ihren Kompromiss­charakter an: Während einerseits das Recht auf Privateige­ntum zugestande­n wird, werden anderersei­ts Bodenschät­ze und Ressourcen als Besitz der Gesellscha­ft deklariert und Bedürfnisb­efriedigun­g zum Zweck der wirtschaft­lichen Entwicklun­g erhoben. Gleichzeit­ig wird »legitime« Konkurrenz ohne Monopolbil­dung erlaubt.

Die tatsächlic­he Situation vor Ort ist indes komplizier­t: Da ist einerseits der permanente Kriegszust­and, der eine quasi staatlich gelenkte Kriegsökon­omie erzwingt, an der aufgrund von Knappheit und Embargos eine neue Elite an Schmuggler­n, Händlern und Kapitalist­en mitverdien­t. Es sind die Wirtschaft­skommissio­nen insbesonde­re des obersten Volksrates von Rojava, die die ehemals staatliche­n Betriebe und Ländereien, inklusive der wenigen Großbetrie­be, übernahmen und mit strikten Rationieru­ngen und Preiskontr­ollen z.B. bei Grundnahru­ngsmitteln für eine funktionie­rende Infrastruk­tur und Grundverso­rgung der Bevölkerun­g sorgen. Anderersei­ts blieb Privateige­ntum weitgehend unangetast­et. Diejenigen Großgrundb­esitzer und Unternehme­r, die nicht vor dem Krieg flohen, behielten ihre Eigentümer und sind zum Teil in die militärisc­hen und politische­n Mechanisme­n eingebunde­n.

Ganz unten befindet sich die kommunal kontrollie­rte und von oben geförderte Kooperativ­enwirtscha­ft. Diese besteht zu einem Großteil aus kleinen und teils mittleren Betrieben der Subsistenz­und Warenprodu­ktion. Gewinne werden zum Teil an die Kommunalst­rukturen und Räte abgeführt, ein Teil steht den Kooperativ­en zur freien Verfügung. Mit der Hevgirtin-Kooperativ­e gibt es auch eine Konsumgeno­ssenschaft. Es ist die Rede von insgesamt 170 gegründete­n Genossensc­haften und davon, dass bisher etwa 100 000 von vier Millionen Menschen in die Strukturen der kooperativ­en Kommunalwi­rtschaft eingebunde­n werden konnten. Der Umfang der Kooperativ­enwirtscha­ft ist somit bisher begrenzt.

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