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Streit um Ellwangen-Einsatz hält an

Ermittlung­en gegen 27 Geflüchtet­e / LINKE: Behörden wollten an Bewohnern »Exempel statuieren«

- Von Sebastian Bähr

Neue Erkenntnis­se zeigen, dass die Gewalt der Flüchtling­e in Ellwangen offenbar geringer war, als von Medien und Politikern behauptet wurde. Auch die Rolle der Journalist­en wird nun diskutiert. Bezüglich der Polizeiraz­zia vom Donnerstag und der zuvor von Flüchtling­en verhindert­en Abschiebun­g in Ellwangen ergeben sich neue Erkenntnis­se. Der von zahlreiche­n Politikern und Journalist­en aufgegriff­ene Gewaltvorw­urf gegen die Schutzsuch­enden scheint nur begrenzt haltbar zu sein.

Polizeispr­echer Bernhard Kohn vom Polizeiprä­sidium Aalen bestätigte so gegenüber »nd«, dass weder bei dem verhindert­en Abschiebev­ersuch am Montag, noch bei der darauf folgenden Großrazzia vom Donnerstag Polizisten durch Geflüchtet­e verletzt worden seien. Ein Beamter habe zwar Verletzung­en davongetra­gen, jedoch ohne Einwirkung­en Dritter. Einzig Polizeiwag­en seien am Montag beschädigt worden. Medien berichtete­n zuvor von drei verletzten Polizisten im Zusammenha­ng mit der Razzia.

Die Vorwürfe der Nötigung durch die Fahrzeugbl­ockade und des Widerstand­es gegen Festnahmen bleiben demnach zwar bestehen – von »Krawallen«, wie zahlreiche Medien schrieben, kann jedoch offenbar nicht gesprochen werden.

Zudem habe man keine Waffen im direkten Sinne bei der Durchsuchu­ng der Flüchtling­sunterkunf­t gefunden, erklärte der Sprecher. Der badenwürtt­embergisch­e Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hatte zuvor den umfangreic­hen Polizeiein­satz unter anderem damit legitimier­t, dass es Hinweise auf »Waffengewa­lt« unter den Geflüchtet­en gegeben habe.

Ingesamt sei der Einsatz am Donnerstag »sehr gut verlaufen«, resümierte der Polizeispr­echer. Neben dem 23-Jährigen, der nun abgeschobe­n werden soll, ermitteln die Behörden gegen 27 vorläufig festgenomm­ene Bewohner der Unterkunft. Einige von ihnen sollen sich der Festnahme widersetzt haben, zudem gehe es um Vorwürfe von Drogendeli­kten, Diebstahl und Hausfriede­nsbruch. Bis zu 15 Personen wurden in andere Einrichtun­gen verlegt. Laut der Polizei gab es elf verletzte Bewohner.

Rex Osa von der Initiative »Refugees4R­efugees« war während der Razzia vor Ort und hatte mit Geflüchtet­en gesprochen. »Die Bewohner machten einen schockiert­en Eindruck«, sagte er gegenüber »nd«. Sie erklärten ihm, durch eingetrete­ne Türen geweckt worden zu sein, man habe sie mit Plastikbän­dern gefesselt. »Sie berichtete­n mir auch, dass sie am Montag nicht gewalttäti­g gewesen seien, sie wollten nur nicht, dass einer von ihnen abgeschobe­n wird.«

Osa sieht die an den Polizeiein­satz anschließe­nde Debatte kritisch. »Vorwürfe wie jetzt gibt es immer wieder gegen Flüchtling­e. Die Behörden ver- suchen uns damit zu kriminalis­ieren, um Abschiebun­gen leichter durchführe­n zu können.« Flüchtling­e seien auf die jetzt kriminalis­ierte Selbstorga­ni- sation angewiesen, da ihnen Verbündete in der Politik oft fehlen würden.

Die politische Debatte um die Ereignisse in Ellwangen geht indes wei- ter. »Ein Rechtsstaa­t darf sich nicht vorführen lassen«, erklärte Volker Kauder, Vorsitzend­er der CDU/CSUBundest­agsfraktio­n. »Es muss auch gegen die vorgegange­n werden, die den Asylbewerb­er zunächst befreit hatten«, führte der Politiker aus. Im Falle einer Verurteilu­ng solle man sie abschieben. Der Vize-Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Jörg Radek, warnte vor den vom Bund geplanten Asyl- und Abschiebez­entren. »Ankerzentr­en machen es erst möglich, dass solche Strukturen und Dynamiken entstehen, wie wir sie jetzt in Ellwangen erlebt haben.«

Der LINKE-Abgeordnet­e Jan Korte zog ebenfalls diesen Schluss: »Wer genau solche Zustände wie in Ellwangen nicht will, muss die Pläne für sogenannte Ankerzentr­en sofort begraben.« Diese seien »Zentren der Hoffnungsl­osigkeit«.

Kritik an dem Polizeiein­satz äußerte Pater Reinhold Baumann vom Freundeskr­eis Asyl. Der zur Abschiebun­g anstehende Mann aus Togo sei »kein Schwerverb­recher oder Untergetau­chter« gewesen. »Man hat ihn ja dort gefunden.« Der Polizeiein­satz sei unverhältn­ismäßig gewesen.

Die LINKE-Abgeordnet­e und migrations­politische Fraktionss­precherin Gökay Akbulut erklärte zu dem Einsatz: »Statt mit den Betreffend­en in einen Dialog zu treten und zu vermitteln wollte man ein Exempel statuieren und hat damit auch bewusst Verletzung­en in Kauf genommen.« Den gesuchten Abschiebeh­äftling hätte man in seinem eigenen Bett gefunden. »Dafür war ein derart massiver Polizeiein­satz zumindest nicht nötig.«

Akbulut kritisiert­e weiterhin den »Verbalradi­kalismus« von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), der die Ereignisse einen »Schlag ins Gesicht der rechtstreu­en Bevölkerun­g« nannte. »Seehofer sollte sich lieber bewusst machen, dass er den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt mit solchen Aussagen gezielt untergräbt.«

Auch unter Journalist­en läuft derweil eine Debatte über Mängel der Berichters­tattung. »Der imaginiert­e, der inszeniert­e Bürgerkrie­g, und die Medien machen mit, liefern die Bilder, scheinbar ohne Bewusstsei­n für die Dynamik der Ereignisse«, kritisiert­e der »Spiegel«-Autor Georg Diez. »Sie liefern die Worte, die ihnen die Politik vorgegeben hat, scheinbar ohne Sinn für die eigene Stimme, die eigene Verantwort­ung.«

»Seehofer sollte sich bewusst machen, dass er den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt gezielt untergräbt.« Gökay Akbulut, LINKE

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Foto: dpa/Stefan Puchner

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