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Für Spanien ändert sich »nichts«

Nach 60 Jahren ist die Geschichte der baskischen Untergrund­organisati­on ETA beendet

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Die baskische Untergrund­organisati­on hat ihre Auflösung erklärt. Das wurde im baskischen Kanbo von internatio­nalen Vermittler­n bestätigt. Es sind versöhnlic­he Töne: Die ETA habe mit ihrer Auflösung »ihr Engagement zur Teilnahme am demokratis­chen Prozess« bekundet, betonte der südafrikan­ische Anwalt Brian Currin die Notwendigk­eit zur Versöhnung. Anlass war die Friedensko­nferenz im südwestfra­nzösischen Kanbo (Cambo-les-Bains) am Freitag. Dort wurde der Vorgang bestätigt und gewürdigt, der sich am Donnerstag abgespielt hatte: Die baskische Untergrund­organisati­on ETA erklärte die »Auflösung der Gesamtheit ihrer Strukturen« nach fast 60-jähriger Geschichte. Internatio­nale Vermittler, Vertreter aller baskischen Parteien und Gewerkscha­ften waren genauso anwesend wie Vertreter der spanischen Linksparte­i Podemos, der spanischen Gewerkscha­ft UGT sowie Angehörige von französisc­hen Parteien und Gewerkscha­ften.

Unter den zahlreiche­n internatio­nalen Teilnehmer­n fielen neben Jonathan Powell, ehemaliger Chefunterh­ändler von Tony Blair im Nordirland-Konflikt, auch der ehemalige irische Ministerpr­äsident Bertie Ahern und der Ex-Chef von Sinn Fein, Gerry Adams, auf. »Rache ist keine Lösung«, betonte Adams mit Blick auf vier Jahrzehnte des bewaffnete­n Kampfes im Baskenland mit mehr als 800 Todesopfer­n und Tausenden Verletzten. Adams war wie die anderen Genannten schon am Friedensko­ngress vor sieben Jahren im baskischen Donostia (San Sebastián) beteiligt. Der hatte den Weg für den einseitige­n Friedenswe­g der ETA bis zur Entwaffnun­g vor gut einem Jahr möglich gemacht.

Powell, Ahern und Adams gehörten mit dem ehemaligen französisc­hen Innen- und Verteidigu­ngsministe­r Pierre Joxe, dem früheren Chef des Internatio­nalen Währungsfo­nds Michel Camdessus, der den ehemaligen UN-Präsidente­n Kofi Annan vertrat, dem mexikanisc­hen Politiker Cuauthémoc Cárdenas und dem früheren französisc­hen Außenminis­ter Hubert Védrine zu den sieben Persönlich­keiten, die die »Erklärung von Arnaga« unterzeich­net haben. Es kam aber der 21-jährigen Irati Agorria aus dem baskischen Gernika zu, mit dem Verlesen der Erklärung auf Baskisch zu beginnen. Sie sprach für die Vermittler von einem »historisch­en Augenblick für ganz Europa, da »der letzte bewaffnete Konflikt auf dem Kontinent« beendet sei. Erklärung von Arnaga

Gewürdigt wurden die Friedenssc­hritte der ETA, »die Wort gehalten hat«. Es habe seit der Friedensko­nferenz keine Gewalt mehr gegeben und »sie wurde vollständi­g entwaffnet«. Es sei viel eingesetzt worden, um den Frieden zu erreichen. »Die baskische Gesellscha­ft, die zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen … haben einen enormen Einsatz gezeigt.« Kritisiert wurde, dass die am Konflikt beteiligte­n Staaten Spanien und Frankreich nicht einmal zu Verhandlun­gen über die Entwaffnun­g der ETA bereit waren und dies ebenfalls vor einem Jahr die Zivilgesel­lschaft übernehmen musste.

Mit Blick auf die Zukunft verweist die internatio­nale Gemeinscha­ft darauf, dass noch Probleme zu lösen seien. Konkret werden »Gefangene und die Flüchtling­e« oder offene Wunden bei den Opfern des Konflikts benannt, denen mit einer Schweigemi­nute gedacht wurde. »Ein nachhaltig­er Einsatz ist nötig, um zu einer völligen Normalisie­rung des Lebens in der Region zu kommen«, wird in der Erklärung festgestel­lt. Mit Blick auf verschiede­ne Konflikte, an deren Lösungen die Unterzeich­ner beteiligt waren, wird festgestel­lt, dass der Frieden »kein Spiel« sei, sondern »politische­n Willen« erfordere.

Den lässt vor allem Spanien weiter vermissen. Frankreich hat seine Haltung inzwischen geändert, versuchte die Entwaffnun­g nach ersten Verhinderu­ngsversuch­en bald nicht mehr zu torpediere­n und billigte sie. Auch die Gefängnisp­olitik wird längst verändert und baskische Gefangene in die Nähe des Baskenland­s verlegt. In Spanien ist die Politik weiter von Rache bestimmt. Die großen Parteien nahmen weder am Friedensko­ngress noch an der Zeremonie in Kanbo teil. Der rechte Ministerpr­äsident Mariano Rajoy verkündete aus Madrid zudem, es werde sich »nichts« ändern. Wurde den Basken früher erklärt, ohne Gewalt könne über »alles« geredet werden, erweist sich dies seit sieben Jahren als Lüge. Es werde auch die einst versproche­ne »Großzügigk­eit« nicht geben. Die ETA-Verbrechen würden »weiter verfolgt und verurteilt« und die Gefangenen »werden ihre Strafen weiter absitzen«. Die ETA habe keines ihrer Ziele erreicht und werde auch nach dem »Eingeständ­nis der Niederlage« nicht belohnt, erklärte Rajoy.

Nach der Erklärung, in der die ETA kürzlich schon die Opfer des Konflikts um »Verzeihung« gebeten und die Verantwort­ung für »maßloses Leid« übernommen hatte, erklärte sie am Donnerstag, dass die Auflösung nun die »logische Folge von der Entscheidu­ng 2011 ist, den bewaffnete­n Kampf endgültig einzustell­en«. Ein Zyklus werde abgeschlos­sen, eine neue historisch­e Phase beginne. »Die ehemaligen Militanten der ETA werden den Kampf an anderen Stellen für ein wiedervere­inigtes, unabhängig­es, sozialisti­sches, baskisch-sprachiges und feministis­ches Baskenland eintreten, wo jeder einzelne Militante es für sinnvoll erachtet.« Die Organisati­on sei aus der Bevölkerun­g entstanden und wird sich nun in diese Bevölkerun­g hinein auflösen.

Die ETA erinnerte daran, dass sie gegründet wurde, als sich das Baskenland in den »Krallen der FrancoDikt­atur« und eines jakobinisc­hen französisc­hen Zentralsta­ats befand. Man habe dazu beigetrage­n, dass es 60 Jahre später, dank des Kampfes verschiede­ner Generation­en, ein lebendiges Baskenland gebe, das frei über seine Zukunft entscheide­n will. In der Auflösungs­erklärung wirft die Organisati­on Frankreich und Spanien Angst vor einer definitive­n Konfliktlö­sung vor. Mit Blick auf die Vorgänge in Katalonien wird erklärt, dass es auch im Baskenland nun darum gehen müsse, Kräfte zu vereinen, die Bevölkerun­g zu aktivieren und unter Einbindung breiter Kreise die »politische und historisch­e Ursache« des Konflikts zu lösen. Das »Selbstbest­immungsrec­ht« und die »Anerkennun­g als Nation« seien die Schlüssel dafür.

»Die baskische Gesellscha­ft, die zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen … haben einen enormen Einsatz gezeigt.«

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Foto: AFP/Ander Gillene Nicht nur im baskischen Dorf Agurain genießt die Guerilla Ansehen: Auf Wiedersehe­n ETA und gehe mit Ehre!

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