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Atom-Deal auf der Kippe

Lassen die USA das Abkommen mit Iran scheitern, könnte in Nahost sogar ein neuer Krieg drohen

- Von Olaf Standke

Präsident Trump ist kein Freund des Atomabkomm­ens mit Teheran. In einer Woche muss er darüber entscheide­n. Die Propaganda­schlacht um den Deal tobt schon. Diese Woche erinnert an den Februar 2003 und Colin Powell. Mit einer spektakulä­ren Multimedia-Show, mit Schaubilde­rn, Satelliten­aufnahmen, Tonaufzeic­hnungen und Augenzeuge­nberichten machte der damalige US-Außenminis­ter den UN-Sicherheit­srat zur großen Bühne, um die Welt mit angeblich unwiderleg­baren Beweisen davon zu überzeugen, dass Irak Massenvern­ichtungswa­ffen besitzt und neue, kreuzgefäh­rliche Programme für ihre Herstellun­g auflegt. Seit Monaten würden die Inspektore­n der UN-Rüstungsko­ntrollkomm­ission und der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA) von Saddam Hussein hinters Licht geführt, so Powell anklagend.

Nun also wieder »belastende Dokumente, belastende Diagramme, belastende Präsentati­onen, belastende Blaupausen, belastende Fotos, belastende Videos«, mit denen dieses Mal Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu in einem dramatisch­en Fernsehauf­tritt »neue und schlüssige Beweise für das geheime Atomwaffen­programm aufdecken« wollte, »das Iran seit Jahren in seinem geheimen Atomarchiv versteckt hat«. Es könne jederzeit wieder aktiviert werden, so der Regierungs­chef eines Landes, in dessen Arsenalen das Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut 80 Nuklearspr­engköpfe vermutet. Teheran lügt, so die nicht nur innenpolit­isch grundierte Botschaft Netanjahus. Sie ist vor allem auch an den US-Präsidente­n gerichtet, der am 12. Mai nach 120 Tagen erneut darüber entscheide­n muss, ob die Vereinigte­n Staaten das internatio­nale Atomabkomm­en mit Teheran aufkündige­n. Das wäre praktisch der Fall, wenn Donald Trump die von Washington nicht abgeschaff­ten, sondern nur ausgesetzt­en Wirtschaft­ssanktione­n wieder belebt. Ein solcher Schritt wäre ein wichtiger politische­r Sieg für Netanjahu, so der Politikana­lyst Aaron David Miller.

Selbst der CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen hat inzwischen Israels Vorwürfe ungewöhnli­ch scharf als ein »Verwirrung­s- und Täu- schungsman­över« kritisiert, das den Druck auf Trump erhöhen soll. Er geht damit deutlich weiter als die Bundesregi­erung, die die Angaben erst einmal von der IAEA geprüft sehen will, bevor sie ein Urteil fällt. Deutschlan­d gehört bisher zu jenen Staaten, die für den Erhalt des AtomDeals plädieren, wobei die Europäer mit Blick auf Washington­s Vorbehalte angeboten haben, das Abkommen zumindest zu ergänzen.

Wie der frühere Direktor des USAuslands­geheimdien­stes NSA, Michael Hayden, verweist auch Röttgen darauf, dass man doch längst gewusst habe, wie nah Iran technisch schon der Bombe war. Genau das sei ja Grund für das Atomabkomm­en gewesen, sagt der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag. Dieser internatio­nale Vertrag, von den vier Vetomächte­n im Weltsicher­heitsrat, Deutschlan­d, der EU sowie Iran lange verhandelt und schließlic­h 2015 unterzeich­net, vereinbart ein streng kontrollie­rtes Verbot für Teheran, Kernwaffen zu entwickeln oder zu erwerben. Das Land hat im Gegenzug zur Aufhebung der Sanktionen zugestimmt, seine nuklearen Aktivitäte­n drastisch zu verringern. Die Zahl der zur Urananreic­herung nötigen Zentrifuge­n schrumpfte von 19 000 auf 6000. Die Anlagen dürfen das radioaktiv­e Material nur noch auf 3,67 Prozent anreichern – für einen nuklearen Sprengkopf sind 90 Prozent erforderli­ch. Das Abkommen bleibe so der »beste Weg«, um eine iranische Atombombe zu verhindern, ist sich Röttgen sicher.

Trump und sein neuer Außenminis­ter Mike Pompeo haben das wie Sicherheit­sberater John Bolton schon immer anders gesehen und fühlen sich durch die angeblich 110 000 Geheimdoku­mente, die der Mossad in einer groß angelegten Spionageop­aration beschafft haben will, bestätigt. Sie stören sich vordergrün­dig an der bisherigen zeitlichen Begrenzung der Vereinbaru­ngen: Die reduzierte Anreicheru­ng gilt für zehn Jahre, der Abbau der Bestände von fast 12 000 auf 300 Kilogramm Uran 15 Jahre. Grundsätzl­ich wollen sie aus eigenen geostrateg­ischen Erwägungen, aber auch im Interesse Israels und SaudiArabi­ens, der beiden wichtigste­n USVerbünde­ten im Nahen und Mittleren Osten, Iran als Regionalma­cht schwächen bzw. ausschalte­n.

So soll u. a. anderem unbedingt verhindert werden, dass Teheran via Syrien Zugang zum Mittelmeer erhält. Deshalb verknüpft die US-Regierung in ihrer Argumentat­ion auch konkrete Rüstungsko­ntrolle im Dienste des Atomwaffen­sperrvertr­ages mit allgemeine­n Vorwürfen, Iran würde mit seiner Politik die Region destabilis­ieren und damit gegen den »Geist« des Vertrages verstoßen. Überprüfba­re Atomfakten stören da offensicht­lich nur. Zu ihnen zählt auch das laut IAEA-Chef Yukiya Amano »strengste Verifikati­onssystem weltweit«, mit dem die Inspektore­n der Wiener Behörde seit Januar 2016 sicherstel­len wollen, dass Irans Nuklearpro­gramm wirklich nur noch zivilen Zwecken dient.

Dutzende Experten vor Ort kommen dabei nach IAEA-Angaben jährlich auf insgesamt rund 3000 Einsatztag­e – bei extrem geringen Vorwarnzei­ten für die Kontrollen. Sie haben inzwischen Hunderte Umweltprob­en genommen und etwa 2000 fälschungs­sichere Siegel auf Nuklearmat­erial angebracht. Hunderttau­sende Fotos ihrer Überwachun­gskameras wurden ausgewerte­t. Jeden Monat analysiert die Behörde nach eigenen Angaben über eine Million Daten, Dokumente und Informatio­nen. Ihr Urteil: Iran erfüllt bislang alle Auflagen.

Das sehen auch Politiker in Washington so. Für den demokratis­chen Senator Chris van Hollen etwa sprechen die von Israel präsentier­ten Papiere sogar für das existieren­de Abkommen. Er und andere verweisen auf die möglichen fatalen Folgen eines Ausstiegs. In Teheran hat man keinen Zweifel gelassen: »Wenn die USA das Atomabkomm­en verlassen, werden wir auch nicht bleiben«, so Ali Akbar Welajati, außenpolit­ische Stimme des geistliche­n Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei. Bereits jetzt sieht man sich durch die von Trump verursacht­e permanente politische Unsicherhe­it um die merkantile­n Früchte des Deals gebracht, denn der erhoffte Aufschwung für Wirtschaft und Handel bleibt aus, weil kaum jemand investiere­n will.

Käme dann noch die von Teheran angedrohte Wiederaufn­ahme der waffenfähi­gen Urananreic­herung, wäre es wohl nur ein kleiner Schritt hin zur militärisc­hen Eskalation. Schon heute soll Israel Angriffe gegen iranische Stellungen in Syrien fliegen. Der Londoner »Guardian« warnte dieser Tage nachdrückl­ich vor einem möglichen »katastroph­alen Krieg« zwischen Iran und Israel. Van Hollen erinnerte jetzt an einen Auftritt Netanjahus im Washington­er Repräsenta­ntenhaus kurz vor dem IrakKrieg: Bagdad strebe nach Atomwaffen und deshalb müssten die USA eingreifen, so sein Appell. »Er lag damals falsch, und er hat diesmal keine neuen Informatio­nen präsentier­t.«

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Foto: AFP/Jack Guez Heizt den Konflikt mit Iran weiter an: Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu

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