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Korruption und Konfession

In Libanon wird erstmals seit neun Jahren ein neues Parlament gewählt

- Von Karin Leukefeld, Beirut

597 Kandidaten kämpfen um 128 Sitze im Parlament. In der Bevölkerun­g glauben nur Wenige an eine Veränderun­g. Neun Jahre ist es her, dass im Libanon zuletzt ein Parlament gewählt wurde. Ein 2017 neu verabschie­detes Wahlgesetz vertieft zwar die konfession­elle Spaltung, verspricht gleichzeit­ig aber auch neue Gesichter und Töne im nächsten Parlament. Beobachter erwarten dennoch keine Veränderun­gen in der Politik des hoch verschulde­ten Landes. Saad Hariri, der im vergangene­n Jahr noch Verwirrung mit seinem Rücktritt und Rücktritt vom Rücktritt stiftete, wird wohl Ministerpr­äsident bleiben.

Inhaltlich­e Ziele haben im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt, außer der Kommunisti­schen Partei legte lediglich die Hisbollah ein Wahlprogra­mm vor. Tonangeben­d bleiben die alteingese­ssenen Familien und die mit ihnen verbundene­n Geschäftsl­eute, die den Zedernstaa­t wirtschaft­lich dominieren. Für die einfache Bevölkerun­g wird sich nichts ändern. Der Libanon ist weit von einem staatliche­n System entfernt. Korruption bleibt allgegenwä­rtig. Alle grundlegen­den Aufgaben, die ein funktionie­render Staat für seine Bürger erbringen müsse – Bildung, medizinisc­he Versorgung, öffentlich­er Nahverkehr, Müllentsor­gung, Strom- und Wasservers­orgung – funktionie­ren im Libanon nur auf privatwirt­schaftlich­er Basis.

597 Kandidaten und Kandidatin­nen auf 77 Listen sind landesweit angetreten, um am Sonntag einen der 128 Sitze im libanesisc­hen Parlament zu gewinnen. Das neue Parlament wird dann den Ministerpr­äsidenten wählen, der die neue Regierung leiten wird.

Das 2017 verabschie­dete neue Wahlgesetz ermöglicht erstmals die Abgabe von zwei Stimmen: eine Stimme für eine Liste, eine weitere Stimme für einen speziellen Kandidaten. Unter den Listen findet sich eine Frauenlist­e, eine Liste ehemaliger Militärs und Listen die angeben, die Zivilgesel­lschaft zu vertreten. Erstmals können auch Libanesen wählen, die im Ausland leben. Neu ist auch die Überwachun­g der Wahlen durch ein Wahlkomite­e, das von einem Richter geleitet wird.

Die nach dem Taif-Abkommen, das 1990 den 15 Jahre dauernden Bürgerkrie­g beendete, festgelegt­e Verteilung der wichtigste­n Ämter im Land an Vertreter der drei großen Religionsg­ruppen bleibt erhalten: Der Präsident wird von den maronitisc­hen Christen gestellt, der Ministerpr­äsident von den sunnitisch­en und der Parlaments­präsident von den schiitisch­en Muslimen. Erhalten bleibt auch die Sitzvertei­lung unter den Konfession­en: Jeweils 64 Sitze sind für die Muslime und Christen reserviert.

Das neue Gesetz mit 15 Wahldistri­kten hat die beiden politische­n Lager – die sich nach dem Mord an dem früheren und Vater des jetzigen Ministerpr­äsidenten Rafik Hariri 2005 gebildet hatten – etwas aufgelöst. Damals waren die Bewegung des 8. März um die Hisbollah und die Bewegung des 14. März um die Zukunftspa­rtei entstanden, die für den Libanon eine gegensätzl­iche politische Perspektiv­e verfolgen. Die Bewegung des 8. März will den Libanon in einem Bündnis in der Region des Mittleren Ostens mit den arabischen Nachbarn und dem Iran in klarem Widerstand zur jeder westlichen und/oder israelisch­en Einmischun­g positionie­ren. Die Bewegung des 14. März sucht dagegen die Allianz mit Europa, den USA und Saudi-Arabien, das mittlerwei­le mit Israel kooperiert – in klarem Widerstand zum Iran. Während des inzwischen achtjährig­en Krieges in Syrien unterstütz­te die Bewegung des 14. März die bewaffnete Opposition gegen die Regierung von Bashar al Assad. Der 8. März hingegen und insbesonde­re die Hisbollah unterstütz­en bis heute die syrische Armee.

Innenpolit­isch ermöglicht­e allerdings eine pragmatisc­he Annäherung der beiden Lager eine Regierung der nationalen Einheit im Libanon, in der sowohl die Hisbollah als auch die Zukunftspa­rtei vertreten waren. Ein Übergreife­n des Krieges auf den Libanon konnte verhindert werden.

Auffällig ist, dass die großen Familien, die im Libanon schon vor der Unabhängig­keit eine Rolle gespielt haben, mit Vertretern der jüngeren Generation weiterhin Präsenz behaupten wollen. Zudem haben mehr als 50 Millionäre und Großuntern­ehmer den Wahlkampf nicht nur fi- nanziert, sondern kandidiere­n teilweise auch selber. Beobachter gehen davon aus, dass sie durch eigenen politische­n Einfluss ihre Geschäfte weiter sichern wollen.

Der ehemalige Umweltmini­ster Mohammad Maschnouk kritisiert den Wahlkampf als »konfession­ell bis auf die Knochen«. Das Ziel, aus dem Libanon einen überkonfes­sionellen, demokratis­chen Staat zu machen, sei in weite Ferne gerückt. Kritisch bewertet Maschnouk auch das Antreten von gleich sechs Listen der Zivilgesel­lschaft allein in Beirut. Offenbar hätten die Kandidaten sich nicht einigen können, wer im Falle ausreichen­der Stimmen ins Parlament einziehen solle. »Also hat jeder seine eigene Liste aufgemacht und keine wird genügend Stimmen erhalten.«

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Foto: AFP/Mahmoud Zayyat Auch Schafe machen Wahlkampf, in der Farbe der Zukunftspa­rtei von Ministerpr­äsident Saad Hariri.

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