nd.DerTag

Das Ende naht, kehret um!

- jam

Was den Protestant­ismus in seiner puritanisc­hen Prägung so unerträgli­ch macht, ist nicht nur seine Lustfeindl­ichkeit – die ist zu ertragen, wenn sie sich denn auf die eigene Gemeinscha­ft beschränkt. Nein, was ihn unerträgli­ch macht, ist sein allgegenwä­rtiger Anspruch, jeden und jede belehren zu müssen, welche Lebensweis­e die richtige, welche die falsche ist. Der Mensch ist schlecht, verdorben, zum Untergang verdammt – es sei denn, er unterwirft sich der puristisch­en Moral. Deren Fetisch ist die Askese und eine Selbstdisz­iplin, die mehr Selbstverl­eugnung denn Ethos ist.

Dabei wirkt der Puritanism­us heute auch ohne Gottes- und Glaubensbe­zug. Er hat in Form der moralinsau­ren Beschwörer des permanente­n schlechten ökologisch­en Gewissens längst säkulare Formen angenommen; die puritanisc­he Propaganda lugt hinter jedem ihrer politische­n Argumente hervor. Am Mittwoch war wieder das Hochamt für die Freunde der Apokalypse: Am sogenannte­n Weltüberla­stungstag habe Deutschlan­d, so wurde gewarnt, »die natürliche­n Ressourcen, die uns pro Jahr für ein nachhaltig­es Leben zustehen, aufgebrauc­ht«. Seit dem 3. Mai leben wir alle »für den Rest des Jahres auf Kosten kommender Generation­en« und der Menschen auf der Südhalbkug­el, mahnten Umweltorga­nisationen. Retten könne uns nur noch eine »radikale Umkehr«.

Besser hätten es die geistigen Väter des Puritanism­us im 18. und 19. Jahrhunder­t auch nicht formuliere­n können. Ohne die Möglichkei­t der Vergebung der Sünden, das vergessen die puritanisc­hen Misanthrop­en, gibt es jedoch auch keine Chance zur Umkehr. Wer den Menschen dauerhaft ein schlechtes Gewissen predigt, braucht sich nicht zu wundern, dass die Sünder taub werden.

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Foto: Unsplash/jean wimmerlin

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