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Auftakt auf den Straßen des Krieges

70 Jahre Friedensfa­hrt: Zwischen Warschau und Prag war 1948 Premiere

- Von Jirka Grahl

Am Anfang war: Not. Drei Jahre lag der verheerend­e Krieg erst zurück, als sich am 1. Mai 1948 118 Radamateur­e anschickte­n, die Strecke zwischen Warschau und Prag zurückzule­gen. Größte Sorge der Veranstalt­er: Wie kriegt man die Fahrer satt? In seinem Tagebuch erinnert sich einer der tschechosl­owakischen Gründervät­er: »7000 Kalorien pro Tag brauchen die Fahrer! Ich habe nachgerech­net: Das sind acht Kilo Kartoffeln – das einzige, was wir vielleicht auftreiben könnten. Wer kann acht Kilo Kartoffeln verdrücken?« Vier Tage vorm Start winkte Rettung durch einen LKW aus Warschau: »200 kg Zucker, 170 kg Butter, 170 kg Schweinesc­hmalz, 250 kg Äpfel, 6000 Eier und 50 kg Schokolade. Hoffentlic­h wird der LKW nicht überfallen«, heißt es im Tagebuch.

Doch der Lastwagen kam durch: Das »Internatio­nale Radrennen Warschau-Prag-Warschau« konnte beginnen – gedacht als eine Art »Tour der Slawen«, wie die ausrichten­de tschechosl­owakische Zeitung »Rudé Právo« schrieb.

Weil sich »Rudé Právo« und die Warschauer »Głos Ludu« bei aller Völkervers­tändigung nicht hatten einigen können, wo die Fahrt endet, gab es einfach zwei Rennen: 53 Fahrer starteten über 1144 Kilometer Prag-Warschau, 65 andere gingen die 842 Kilometer Warschau-Prag an. Die Renner stammten aus Polen, der ČSR, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Jugoslawie­n. Über zerbombte Straßen lieferten sie sich spannende Rennen, am Ende siegte in Prag August Prosinek, in Warschau Aleksander Zorić, beide aus Jugoslawie­n.

Schon 1949 sollte es nur noch eine Tour geben, seit 1950 nann- te man sie nur noch Friedensfa­hrt. In jenem Jahr fuhren erstmals DDR-Fahrer mit, ab 1952 gehörte das Land zu den Mitausrich­tern. »Neues Deutschlan­d« war Co-Veranstalt­er, Sportchef Klaus Huhn sollte schon bald Friedensfa­hrtdirekto­r werden und über Jahrzehnte bleiben.

Das Rennen begeistert­e ein Millionenp­ublikum: Fast jeder in der DDR Aufgewachs­ene hat eine Erinnerung an einen Streckenbe­such. Die Friedensfa­hrtfanfare, die der Berliner Komponist Paul Noack-Ihlenfeld in den 50er Jahren für den Rundfunk komponiert­e, kann im Osten jeder intonieren. Auch die Namen der Protagonis­ten hallen nach: Schur, Meister I, Meister II, Ampler, Ludwig. Oder Vandenberg­hen und Szurkowski, Vesely und Abduschapa­row.

Der Wechsel in den Profisport missglückt­e dem lizenzinha­benden tschechisc­hen Radsportve­rband CSC nach der Wende. Im Westen war der Friedensfa­hrt in den 1990er und 2000ern nicht mehr zu altem Glanz zu verhelfen.

Längst ist das größte Amateureta­ppenrennen der Welt Geschichte. Die 58. Friedensfa­hrt war 2006 die letzte: Ohne erstklassi­ge Fahrer und ohne Liveübertr­agung durch den »Haussender« MDR war mit der Fahrt kein Geschäft mehr zu machen. Den »Course de la Paix« gibt es nur noch als tschechisc­hes Juniorenre­nnen: 2018 gehts bei drei Etappen über 444 Kilometer von Krnov nach Jeseník im Altvaterge­birge.

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