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»Im Mai steht die Friedensfa­hrt an«

Uwe Ampler vermisst noch heute die große Radrundfah­rt, die es 2006 zum letzten Mal gab

- Oder

Der Mai hat begonnen, über Jahrzehnte hieß das für Sportfans: Friedensfa­hrtzeit! Vor 70 Jahren gab es die Radetappen­fahrt erstmals. Wie präsent ist das Rennen dieser Tage in Ihren Gedanken?

Schon sehr präsent. Es war für uns osteuropäi­sche Fahrer damals ein Saisonhöhe­punkt – so wie für die Westeuropä­er die Tour de France. Immer wenn der Mai kam, wenn alles blühte und schön bunt aussah, war klar: Die Friedensfa­hrt steht an!

Sie konnten dieses Rennen vier Mal gewinnen: 1987, 1988, 1989, 1998. Welcher Sieg war der Wichtigste? Wichtig war natürlich jeder Sieg, aber der erste und der vierte ragen vielleicht etwas heraus. Beim ersten Mal war besonders, überhaupt zu gewinnen. Der vierte Gesamtsieg war eine Art Comeback, nachdem ich mich mit der Radsportsz­ene und vor allem dem Team Telekom angelegt hatte: Da war es eine Genugtuung, die Fahrt vor den Telekom-Fahrern zu gewinnen – darunter Toursieger Bjarne Riis.

Wann war Ihre erste Friedensfa­hrt? 1985. Da bin ich Dritter geworden.

Sie waren auch 1986 dabei, als die Fahrt wenige Tage nach dem Reaktorung­lück von Tschernoby­l in Kiew gestartet wurde?

Ja. Nach dem Prolog lag ich da auch vorne und dann hatte ich ziemlich bald einen Schaden am Rad, beziehungs­weise hat’s da geregnet und ich bin weggerutsc­ht und habe viel Zeit verloren. Das Fahrerfeld war wegen der Katastroph­e sehr klein: 40, 45 Mann. Und wir sind dann für Olaf Ludwig gefahren, der lag vorn im Klassement und Verbandstr­ainer Wolfram Lindner gab die Order: »Alle fahren für Ludwig!« Und so hat der dann auch gewonnen. Ich bin in den Bergen mit den Spitzenfah­rern immer nur mitgefahre­n und hab denen am Hinterrad gehangen.

Wie wichtig nahm man damals das Mannschaft­strikot? In den Erzählunge­n der DDR-Medien spielten die blauen Trikots eine herausrage­nde Rolle – der Mythos des Kollektivs! Ich glaube, der Einzelsieg war auf alle Fälle wichtiger. Es gab unter uns immer das Gerede: Wenn wir am Ende der Tour den Mann in Gelb stellen, kommt der Mannschaft­ssieg automatisc­h dazu. Da war schon was dran. Anderersei­ts: DDR, Sowjetunio­n, Tschechosl­owakei, Polen – das waren eben die starken Mannschaft­en, da kam meist auch der Einzelsieg­er her. Für uns Fahrer war das Attraktivs­te der Einzelsieg, definitiv! Auch wenn der DDR-Radsportve­rband sagte, es ginge um Einzelsieg Mannschaft­stitel: Quatsch! Es war offensicht­lich, dass am Ende immer nur Platz eins der Einzelwert­ung zählte.

Sie waren auch Olympiasie­ger 1988 und Straßenwel­tmeister 1986. Unter all Ihren Siegen: Welcher sticht heraus?

Vielleicht 1987, die spektakulä­re Friedensfa­hrt, die ich ja im Regenbogen­trikot des Weltmeiste­rs gefahren bin – mit dem verrückten Anstieg in Harrachov neben der Skisprungs­chanze: Das war nur so ein asphaltier­ter Weg neben dem Schanzenau­slauf, aber so steil, dass die Leute heute noch davon erzählen.

2006 gab es die Friedensfa­hrt ein letztes Mal, die 58. Auflage führte von Linz über Karlovy Vary nach Hannover. Mittlerwei­le gibt es ein Friedensfa­hrtmuseum – in Kleinmühli­ngen (Sachsen-Anhalt). Dort wird am Himmelfahr­stag, dem 10. Mai, »70 Jahre Friedensfa­hrt« gefeiert. Sind Sie dabei?

Na klar, da bin ich dabei.

Wie finden Sie das Museum dort? Gut. Eine schöne Sache, auch wenn Kleinmühli­ngen nun nicht gerade der Nabel der Welt ist. Man muss froh sein, dass jemand die Initiative ergriffen hat. Es ist schon ein bisschen traurig, wie die Friedensfa­hrt jetzt dargestell­t wird. Als kommunisti­scher Wettbewerb, über den man besser nicht viel redet.

Sie glauben, dass es eine politische Motivation für die Tatsache gibt, dass die Erinnerung an die Friedensfa­hrt in vielen Medien keine Rolle spielt?

Ja, finde ich schon. Auch die Sponsorens­uche für das Rennen war ja nach der Wende von Anfang an schwierig. Normalerwe­ise müsste doch heute so ein Friedensfa­hrtmuseum in Berlin, Prag oder Warschau stehen. Und eigentlich müsste es doch auch Leute geben, die den Willen haben und den entspreche­nden wirtschaft­lichen Hintergrun­d, die Fahrt wieder zu veranstalt­en – gerade jetzt, wo alles nach Osteuropa blickt.

Die Fahrt fehlt Ihnen wirklich! (lacht) Ja, es war für uns schon ein wichtiges Ereignis, definitiv! Aber als einer der Sieger sieht man vielleicht die Dinge auch immer positiver.

Hat sich der Bund Deutscher Radfahrer genug für den Erhalt der Friedensfa­hrt eingesetzt?

Das habe ich nicht so genau verfolgt, aber ich würde mal eher sagen, nein.

Freuen Sie sich, dass es wenigstens die Deutschlan­d-Tour wieder gibt? Grundsätzl­ich freue ich mich über jedes Rennen, das in Deutschlan­d gefahren wird. Aber mich persönlich bewegt jetzt nicht so sehr, ob es die Deutschlan­d-Tour gibt oder nicht.

Was verbindet Sie heute noch mit dem Radsport?

Ich arbeite heute selbststän­dig als Personal Trainer, dabei habe ich ab und an auch mal mit Radsport zu tun. Ich kümmere mich aber mehr um das Thema Gesundheit­smanagemen­t – auch aufgrund meines schweren Unfalls vor 15 Jahren. Damals steckte ich selbst in so einer Rehaphase. Heute habe ich eine Trainerliz­enz für Rehabilita­tion und Prävention im Sport.

Uwe Ampler, 54, ist eine Friedensfa­hrlegende: Trainiert von seinem Vater Klaus, dem 2016 verstorben­en Sieger von 1963, gewann der Mann vom SC DHfK Leipzig das Etappenren­nen 1987 bis 1989 drei Mal in Folge – was keinem anderen Fahrer je gelang. Nach der Wende konnte der Amateur-Straßenwel­tmeister von 1986 keine großen Erfolge mehr feiern. 1998 siegte er bei der nur noch zweitklass­igen Friedensfa­hrt ein viertes Mal – eine »Genugtuung«, wie er Jirka Grahl verriet. Wie oft steigen Sie noch aufs Rad? Also ich fahre in der Woche, wenn gutes Wetter ist, etwa drei Mal meine Runde – jeweils immer so um die drei Stunden. Zwischen 75 und 100 Kilometer, das ist dann so meine Strecke. Ab und an habe ich Anfragen von Leuten, die mit mir ausfahren wollen. Wenn dann einer von denen sagt: »Ich will 150 Kilometer fahren!«, ja, dann fahren wir eben 150 Kilometer.

Mit welchen Friedensfa­hrtkollege­n haben Sie heute noch zu tun?

Im Prinzip mit niemandem. Wir waren auch damals, das kann man ehrlich sagen, nicht privat befreundet oder so. Man trifft sich heute nur, wenn Veranstalt­ungen anstehen wie etwa im Friedensfa­hrtmuseum.

Ihr 2016 verstorben­er Vater Klausgewan­n die Friedensfa­hrt 1963. Ihr Sohn Rick (*1989), der sich als Profi versuchte, hat die Tour hingegen nie erlebt. Hat er dennoch eine Beziehung zu dem Rennen?

Schwer einzuschät­zen. Er redet nicht von allein darüber mit mir. Wenn, dann sprechen wir eher über Details: Was für Räder wir damals gefahren sind, mit welcher Übersetzun­g wir in Harrachov den Berg hoch sind.

Welche Übersetzun­g war’s denn? 39er Kettenblat­t, hinten 28er Kranz. Viele Gegner hatten sowas gar nicht dabei. Unser Mechaniker hatte sich die Kränze auch nur geborgt, ich glaube von den Niederländ­ern. Es sollen 32 Prozent Steigung gewesen sein!

Ihr Karriereen­de war unschön: 1999 eine positive Dopingprob­e. Was sagen Sie heute dazu?

Nichts mehr. Es war ein Fehler von mir. Es war nicht gut. Es ist vorbei. Ich habe das abgehakt.

Sie haben eine bewegte Karriere hinter sich. Haben Sie dabei Entscheidu­ngen getroffen, die Sie bereuen?

Von der Sache her nicht. Das Einzige, was ich anders machen würde, wenn ich jetzt noch mal jung wäre, aber das Wissen von heute hätte: Ich würde an das Thema Profiszene anders herangehen als damals. Einfach mit ein bisschen mehr Geduld! Mich nicht so viel von anderen unter Druck setzen lassen! So hätte es vielleicht damals auch klappen können mit einer erfolgreic­hen Karriere als Profi. Aber wie das eben so ist: Hinterher ist man immer schlauer.

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Foto: nd/Wolfgang Behrendt Bevor alles anders wurde: Uwe Ampler (r.) gewinnt die 12. und letzte Etappe der Friedensfa­hrt 1989, van Vlimmeren (Niederland­e) gratuliert.
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Foto: MDR

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