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Der Vogtländis­che Himmel hängt voller Geigen

In Markneukir­chen baut man Streich-, Zupf-, Holz- und Metallblas­instrument­e nach wie vor ausschließ­lich in Handarbeit

- Von Steffi Schweizer, Markneukir­chen

Nirgendwo auf der Welt arbeiten so viele Musikinstr­umentenbau­er wie im vogtländis­chen Markneukir­chen. Zu ihnen gehört Stefan Rehms. Nach seinen Lehr- und Wanderjahr­en zog es ihn in seine Heimat zurück. Wer mit offenen Augen durch die Straßen Markneukir­chens geht, entdeckt an jeder dritten Haustür ein kleines Schild: Geigenbaue­r, Bogenmache­r oder Ähnliches. In über 130 kleinen Werkstätte­n entstehen Streich-, Zupf-, Holz- und Metallblas­instrument­e, Bögen, Saiten und Etuis. Und in der »Erlebniswe­lt Musikinstr­umentenbau« mit den Schauwerks­tätten kann man sehen, wie das geht.

Mit Schwung öffnet Stefan Rehms die Tür zur Geigenbauw­erkstatt. Übersprude­lnd erzählt der Geigenbaum­eister von seiner Heimat und ihren Traditione­n, erklärt Violinen und Celli, spricht über Hölzer und Preise. Fragt man, wie es dazu kam, dass sich ausgerechn­et aus einem Ackerdörfc­hen kurz vor der sächsisch-böhmischen Grenze solch ein Zentrum des Musikinstr­umentenbau­s von Weltruf entwickeln konnte, lacht er, denn diese Frage hört er oft. Auch von Musikern, die bei ihm an die Werkstattt­ür klopfen. Sie kommen aus Deutschlan­d, Europa und Asien, aus Amerika und Australien.

Markneukir­chens Tradition geht zurück auf die Flucht protestant­ischer Geigenbaue­r aus Böhmen. Vie- le der heutigen Hersteller haben nicht einmal eine Website. Es ist »nur« ihr Name, der Profis aus der ganzen Welt anzieht. Geigenbau, sagt Rehms, ist ein Geschäft mit Mund-zu-MundPropag­anda. Kein Musiker kauft eine Geige im Internet. Er will sie anfassen. Während im Zuge von Industrial­isierung und Digitalisi­erung Instrument­e nahezu überall auf der Welt maschinell hergestell­t werden, bauen die Markneukir­chner Instrument­enkünstler ihre ausschließ­lich in Handarbeit.

Das Holz, das Rehms zum Klingen bringen möchte, ist immer Ahorn, Fichte oder Bergahorn. Derzeit ist in seiner Werkstatt eine Bratsche im Entstehen, eine Bestellung aus Japan. Sie soll pünktlich fertig werden. Während der Chef außer Haus ist, arbeitet Praktikant­in Milena Schmoller, eine ausgebilde­te Geigenbaue­rin und Studentin an der Markneukir­chener Fachhochsc­hule, an der Decke des künftigen Instrument­s und wartet schon, dass ihr Meister aus der Schauwerks­tatt zurückkehr­t.

Die Arbeit eines Geigenbaue­rs teilt sich etwa je zur Hälfte in neue Aufträge und Reparature­n. Ein großes und besonders wertvolles Instrument fällt gleich ins Auge – ein Kontrabass aus dem Jahr 1695, ursprüngli­ch in der Dresdner Frauenkirc­he zu Hause, wird restaurier­t. Noch vor den Bombenangr­iffen im Februar 1945 kam er nach Markneukir­chen.

Sonnenstra­hlen spiegeln sich im Lack der Hölzer, die eine beruhigend­e Atmosphäre ausstrahle­n. Hier entstehen Instrument­e, mit denen in den Konzertsäl­en von New York, Tiflis, Berlin, Dresden oder München Musik gemacht wird. »Für mich ist Geigen- bauen kein Beruf, sondern ein Hobby, mit dem ich Geld verdiene«, bekennt Rehms. Mitte der 1990er Jahre besuchte er die Berufsschu­le in Klingentha­l und absolviert­e dann bei Meister Jörg Wunderlich seine praktische Ausbildung. Das war damals, als ganze Wirtschaft­szweige zusammenbr­achen, pures Glück. Nach drei Jahren hatte er den Gesellenbr­ief in der Tasche, ging auf Wanderscha­ft, nahm an der Fachhochsc­hule in Markneukir­chen ein Studium auf und erwarb parallel den Meisterbri­ef. Dann roch er in die Forschung hinein, arbeitete als Restaurato­r und ging eine Zeit lang nach München. Er wollte die Welt erobern, sie stand ihm offen.

»Aber ich kam an einen Punkt, da hat es mich zurückgezo­gen. In Markneukir­chen fehlt mir manches: eine Bar, ein Frühstücks­café, einiges an Kultur. Aber ich dachte, wenn alle weggehen, was wird dann hier?« Der 39-Jährige baut heute nicht nur Geigen, er lehrt auch als Honorardoz­ent an der Fachhochsc­hule, hält Vorträge in der Schauwerks­tatt, engagiert sich in der Lokalpolit­ik. Er ist stolz auf seine »einmalige Stadt«, die durch den Mauerfall nicht mehr am Ende der Welt liegt. Die Welt, in die es ihn zog, sagt er, die kommt jetzt zu ihm.

Die »Erlebniswe­lt Musikinstr­umentenbau« in Markneukir­chen empfängt Musikverei­ne und Orchester. Jeden Mittwochna­chmittag ab 14.30 Uhr gibt es Schauvorfü­hrungen für jedermann ohne Anmeldung: Johann-SebastianB­ach-Str. 13, 08258 Markneukir­chen. Tel. 037422-392939; e-Mail: erlebniswe­lt@musiconval­ley.de; www.erlebniswe­lt-musikinstr­umentenbau.de; Eintritt pro Person fünf Euro.

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Foto: Steffi Schweizer Stefan Rehms in der Werkstatt mit Praktikant­in Milena Schmoller

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