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Ein seltsamer Sinneswand­el

Warum Hervé Falciani, der Steuerhint­erziehung aufgedeckt hat, festgenomm­en worden ist.

- Von Ralf Streck

Die einen nennen ihn den »Robin Hood der Finanzwelt«, für andere ist er ein »Datendieb«, der gegen das Schweizer Bank- und Geschäftsg­eheimnis verstoßen habe. Gemeint ist der italienisc­h-französisc­he Informatik­er Hervé Falciani. 1972 in Monte Carlo geboren, war er dafür verantwort­lich, dass zahllose Steuerhint­erzieher doch noch an die Steuerkass­e gebeten wurden.

Seine Karriere begann der Whistleblo­wer des »größten Leak im Bankensekt­or« mit einem Studium im französisc­hen Technologi­e- und Wissenscha­ftspark Sophia Antipolis bei Nizza. Danach ging er zurück nach Monaco und arbeitete ab 2001 als Informatik­er bei der Tochter der britischen HSBC-Bank, der zweitgrößt­en Bank weltweit. 2006 wechselte der Datenbanks­pezialist in die HSBC-Zentrale nach Genf und arbeitete an der Reorganisa­tion der Datenbanke­n, zur Verstärkun­g deren Sicherheit.

Dass diese dazu gedient habe, große Vermögen aus Geldwäsche oder Steuerhint­erziehung zu schützen, darüber sei er schockiert gewesen. »Falciani hat sich geweigert, auch nur auf indirekte Art für das organisier­te Verbrechen zu arbeiten«, erklärte sein Schweizer Anwalt Patrick Rizzo. Er sah eine Mitschuld der HSBC an der Finanzkris­e, die 2007 begann, wogegen er etwas unternehme­n wollte.

Er setzte sich 2008 mit 130 000 Datensätze­n nach Nizza ab, wo er später auch eng mit der Staatsanwa­ltschaft zusammenar­beitete. Die hatte kein Interesse an einer Auslieferu­ng an die Schweiz. Die französisc­he Justiz bescheinig­te ihm immer wieder einen »messianisc­hen und ehrlichen Antrieb«, während man in der Schweiz darauf beharrt, Falciani habe sich an den Daten bereichern wollen. Ob er tatsächlic­h aus einem Land Geld erhalten hat, denen er Daten über Steuersünd­er zukommen ließ, ist nicht geklärt. Das bestreitet der Whistleblo­wer und französisc­he Behörden.

Seine Leaks, also die Weitergabe von Daten, brachten dem Mann, der mit einer Libanesin verheirate­t ist, nicht nur in der Schweiz juristisch­e Scherereie­n ein. Zuletzt wurde er Anfang April in Madrid festgenomm­en. Anders als 2012 muss er aber nicht erneut gesiebte Luft atmen. Damals bekam er keine Haftversch­onung und saß fünf Monate in Untersuchu­ngshaft. Er wurde von der neuen Festnahme genauso überrascht wie die Öffentlich­keit. Eigentlich sollte er einen Vortrag an der Universitä­t von Comillas über Steuerpara­diese und Whistleblo­wer halten. »Wenn es heldenhaft ist, die Wahrheit zu sagen und Steuerpara­diese ans Licht zu ziehen«, lautete der Titel.

Alle im Land fragen sich, warum Spanien erneut zugeschlag­en hat. Hervé Falciani Schließlic­h wurde Falciani schon 2013 der Prozess gemacht und schließlic­h hatte sogar die Staatsanwa­ltschaft seinen Freispruch gefordert und eine Auslieferu­ng abgelehnt. Im Verfahren hatte Falciani das »skandalöse Vorgehen« der HSBC angeprange­rt. So stellte auch Staatsanwä­ltin Dolores Delgado fest, dass die Schweizer Vorwürfe in Spanien nicht strafbar seien. Er hätte sich strafbar gemacht, wenn er die Vorgänge verschwieg­en hätte. »Wir können nicht die bestrafen, die strafbare Handlungen feststelle­n und anzeigen«, sagte Delgado.

Die erneute Festnahme ergibt nur vor einer veränderte­n politische­n Lage Sinn. Spanien hat sich mit Falciani, der das Land nicht verlassen darf, ein Faustpfand gesichert. Schließlic­h finden sich hochrangig­e katalanisc­he Politikeri­nnen wie Anna Gabriel und Marta Rovira nun im Schweizer Exil. Spanien wirft Rovira, Generalsek­retärin der Republikan­ischen Linken (ERC) »Rebellion« vor. Diesen Vorwurf hatten deutsche Richter im Fall des katalanisc­hen Politikers Carles Puigdemont zurückgewi­esen.

Dass Spanien einen Kuhhandel mit der Schweiz anstrebt, ist offensicht­lich. Das hatte Falciani nach seinem Freispruch nicht erwartet. Nun sagte der Whistleblo­wer zu dem internatio­nalen Haftbefehl: »Die Schweiz versucht, eine Schwäche Spaniens wegen starker innerer Probleme in Katalonien zu nutzen, um meine Auslieferu­ng zu erreichen.«

Auf einen so durchsicht­igen Deal will sich Bern aber nicht einlassen. Schon vor dem Besuch des spanischen Außenminis­ters Alfonso Dastis vor einigen Tagen hatte der Sprecher des Bundesamte­s für Justiz, Folco Galli, derlei Ansinnen abgelehnt. Es würden nur Verträge und Gesetze gelten: »Deshalb gibt es auch überhaupt keinen Ermessenss­pielraum für irgendwelc­he Deals«, sagte Galli. Der Schweizer Außenminis­ter Ignazio Cassis dementiert­e zwar, dass der Spanier diesen Deal im Gepäck hatte, doch die Schweizer fragen sich, warum er kategorisc­h erklärte: »Es wird keinen Gefangenen­austausch geben.«

Die Vorgänge um Falciani machen deutlich, wie notwendig ein Schutz von Menschen ist, die dunkle Machenscha­ften ans Licht ziehen. Die EU-Kommission hat nach langem Zögern kürzlich einen Entwurf für eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblo­wern vorgestell­t. Die ist überfällig. Nach vielen Skandalen hatten das Europaparl­ament und der Europarat Druck aufgebaut. Experten meinen, Brüssel gehe zwar in die richtige Richtung, springe mit einem komplizier­ten Meldesyste­m aber zu kurz. Erst wenn dieses mehrstufig­e System versage, soll es als »letzter Ausweg« zur Veröffentl­ichung kommen, um »ungerechtf­ertigten« Rufschaden zu vermeiden.

Alle im Land fragen sich, warum Spanien erneut zugeschlag­en hat. Schließlic­h wurde Falciani schon 2013 der Prozess gemacht und schließlic­h hatte sogar die Staatsanwa­ltschaft seinen Freispruch gefordert.

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Foto: AFP/Gerard Julien

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